Folter in Grand Theft Auto V: Gewaltfreaks sind immer die anderen

Enthemmung, Mord und Folter – die Debatte um Gewalt in GTA V nimmt ihren Lauf. Fördert das Spiel Brutalität? Nein, problematisch ist der europäische Blick.

Das personifizierte Klischee Trevor: Szene aus Grand Theft Auto V. Bild: ap

Eine zu eng gebundene Krawatte sorgt dafür, dass das Gehirn schlecht durchblutet wird. Und so ist eine Empfehlung fällig an den Zeit-Online-Redakteur David Hugendick, doch bitte erst die Krawatte zu lockern und dann für seinen durchaus lesenswerten und differenzierten Artikel über Grand Theft Auto V eine Überschrift zu suchen und zu finden, die weniger klischiert ist als „Fantasialand für Intensivtäter“.

Dass Zeit-Redakteure Krawatten tragen ist ein Klischee. Es hat mit der Realität so viel oder so wenig zu tun wie die Behauptung, dass gewaltbereite Intensivtäter den ganzen Tag lang Grand Theft Auto spielen. Was dem einen sein Windsor- oder Prattknoten, ist dem anderen sein Playstation- oder Xbox-Controller.

In der seit Jahren anhaltenden Debatte um Gewalt in der Grand-Theft-Spielereihe sind weitaus mehr Klischees verbreitet worden als Argumente. An Klischees kommt also niemand vorbei, der sich der gegenwärtigen, seit dem Erscheinen von GTA V neu befeuerten Gewaltdebatte stellen will.

Dabei braucht es die Gewalt erstmal gar nicht: Die Grand-Theft-Reihe ist die spielgewordene „Soziologie des Rackets“ von Max Horkheimer, ein Meta-Klischee des Alltags in der mal mehr, mal weniger organisierten Kriminalität. Groß- und Kleinkriminelle machen was sie wollen, nehmen sich, was sie brauchen und drangsalieren, wen sie können. Die Spieler wiederum können sich in Grand Theft in all jene Rollen begeben, die den meisten von ihnen im Leben jenseits der Spielkonsole dank Strafrecht, Polizei und Über-Ich verwehrt bleiben.

Grand Theft Auto V! Gewalt! Verrohung der Sitten! Wir können es nicht mehr hören. Dabei ist alles nur ein Missverständnis. Hier geht es zur wahren Geschichte von GTA V.

Und so fliegen Passanten durch die Luft, während ein schöner Sportwagen mit Tempo 140 durch Los Santos rast, dem digitalen Abbild von Los Angeles. Es werden Cops erschossen und Gegner zu Tode malträtiert. GTA V ist ein Spiel, in dem Hemmungen und rote Ampeln auf den ersten Blick die gleiche Funktion haben. Sie sind Zierrat, Dekor, Ornament.

Moral-Update war erfolgreich

Die derzeit vieldiskutierte Folterszene in GTA V zeigt, dass das nur auf den ersten Blick gilt. Während der Spieler rote Ampeln auch dann nicht zu beachten braucht, wenn die Polizei direkt daneben steht, ist das bei Hemmungen angesichts bestimmter Gewaltformen anders. Wenn Trevor, das personifizierte Klischee des skrupellosen und soziopathischen US-Agenten, die Szenerie betritt, dauert es nicht mehr lange, bis Folterinstrumente zum Einsatz kommen.

Zum Einsatz kommen müssen. Die Folterszene lässt sich nicht umgehen, es gibt kein „opt-out“, keine Alternativszene, um zur nächsten Mission zu gelangen. Viele Spieler beschreiben online, wie sie gelitten haben, als sie Elektroschocks verabreichten und Zähne zogen, und ein gestandener Redakteur des Bayrischen Rundfunks – bekanntlich alles andere als ein redaktioneller Hort des Pazifismus – schreibt: „Ich habe (...) gezittert, mir war schlecht vor Ekel. Ab da hatte ich null Bock mehr auf 'GTA V'.“

Rockstar Games, die Firma, die mit GTA reich geworden ist und jedes Klischee über die Spielereihe kennt, hat gewusst, was nach dieser Mission an Emotionen und Reaktionen kommt. Der Spieler, der in die Rolle des Trevor geschlüpft ist, muss sich nun einen Monolog seiner eigenen Spielfigur anhören: „Die Medien und die Regierung wollen, dass wir glauben, Folter sei notwendig und dass wir die Infos brauchen, die wir bekommen können.“ In der Folterszene aber habe sich gezeigt, dass Folter nur dem Folterer „eine gute Zeit“ verschaffe. Sie sei „nutzlos als Mittel der Informationsbeschaffung“.

Da geht der Spieler dann in sich, bereut sein verwerfliches Tun und mit ihm schütteln auch alle Folterer der Welt den Kopf und schlittern auf blutigen Kacheln in eine Identitätskrise. Moral-Update beendet. Wollen Sie den nächsten Auftrag inklusive Ethik-Upgrade annehmen?

Besser als nichts und doch zu wenig

Jede Kritik von Menschenrechtsorganisationen, die hier ansetzt, ist richtig. GTA V ist nicht das erste Videospiel, in dem gefoltert wird, und es wird auch nicht das letzte bleiben. Rockstar Games hat versucht, eine zweite Ebene einzuziehen, die von der US-Armee und US-Geheimdiensten in vielen Ländern der Welt praktizierte Folter anzuprangern und ihr die Legitimität zu entziehen. Das ist besser als nichts und doch zu wenig.

Die Folter in GTA V passt sich somit perfekt ein in die von vielen Rezensenten und Spielern so geschätzte realistische Szenerie des Spiels. Los Santos steht dabei als vermeintlich typische US-Großstadt, in der Verfall, Enthemmung und Gewalt um sich greifen. Franklin, einer der drei GTA-V-Protagonisten, wird bei einem Einbruch im wohlhabenden Teil von Los Santos von der Dame des Hauses und ihrem Tennislehrer ertappt. Ihr Problem mit dem Einbrecher ist nicht, dass er ein Einbrecher ist, sondern: „Er ist schwarz!“

Das ist Klischee und Realismus zugleich – Realismus für Tausende schwarze US-Amerikaner und Klischee für all jene Europäer, die Rassismus nur dann als real empfinden, wenn er Tausende Kilometer entfernt ist. Böser Rassismus in den USA, aber die Ablehnung des neuen Flüchtlingswohnheims im eigenen Stadtviertel ist nicht rassistisch, sie macht nur städtebaulich keinen Sinn.

Viele Rezensenten in Europa machen beim alten Gewalt-im-Videospiel-Bashing nicht mehr mit. Ein Spiel, das ab 18 Jahren freigegeben ist, wird in eine Reihe von Büchern, Filmen und Theaterstücken gestellt, die ebenfalls wissen, dass es Gewalt gibt und das es keinen Sinn macht, sie in der Kunst nicht zu zeigen. Was aber in der europäischen Rezeption bleibt, ist der seltsame Impuls zu behaupten, dass Gewalt zu Amerika gehöre wie Hamburger oder Baseball.

Ein Grand Theft Auto VI, in dem ein Spieler als Regierungsberater in Athens City gezwungen ist, einem Staat nur dann finanzielle Hilfen zu gewähren, wenn er seine Bürger ökonomisch und sozial in den Suizid treibt, wäre eine gute Fortsetzung. Jenseits der Klischees ließe sich dann endlich auch in Europa eine realistische Debatte über die vielfältigen Formen von Gewalt führen – inner- und außerhalb von Videospielen.

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