Foodfluencer Jonathan Stodtmeister: „Die Speisekarten sind eigentlich Geschichtsbücher“
Jonathan Stodtmeister besucht alteingesessene Lokale in ganz Deutschland. Auf Instagram zeigt er, was fehlt, wenn es nur noch ums schnelle Foto geht.
taz: Herr Stodtmeister, Sie besuchen Wirtshäuser und Imbisse mit jahrzehntelanger Tradition in deutschen Städten und machen daraus kurze Videos, die auf Instagram und Tiktok Hunderttausende schauen. Woher stammt Ihre Liebe zum Essen und zur Gastronomie?
Jonathan Stodtmeister: Ich bin ein Gastro-Kind. Meine Mutter war alleinerziehend und hat oft in Caterings im Service mitgearbeitet. Da gab es oft keinen Babysitter und ich wurde hinten bei den Köchen geparkt. Ich hatte es mit denen dann lustig und durfte in jungen Jahren schon besondere Sachen probieren. Ich muss 3 oder 4 gewesen sein, als ich auf einer Küchenanrichte saß und ein Kalbsrahmgulasch hingestellt bekommen habe, das ich nie mehr vergessen habe – klingt überzogen, aber so ist es.
Der 29-Jährige lebt in München, kocht in verschiedenen Restaurants und hat ein eigenes Marketing-Unternehmen für Gastronomiebetriebe. Auf Social Media postet er kurze Videos von seinen Besuchen in Traditionslokalen und über andere kulinarische Inhalte – auf Instagram als @jounisto und auf Tiktok als @jonathankocht.
taz: Und wie kamen Sie dazu, sich für Social Media speziell Traditionslokale anzuschauen?
Stodtmeister: Das habe ich schon vorher getan, ohne Content draus zu machen. Man besucht mal Freunde, ist dann irgendwie in Frankfurt, und da erzählt dir ein Freund: In der Kleinmarkthalle steht bei einem Wurststand die Ilse Schreiber, eine Frau, die das seit 60 Jahren macht. Das interessiert mich einfach total! Und dann habe ich gesehen, dass das auf Social Media noch eine freie Nische ist und einfach angefangen. Dabei will ich nicht laut und auf die Fresse sein. Mein Content soll entschleunigen und daran erinnern, dass auf Social Media nicht alles schnell und hektisch sein muss.
taz: Was fasziniert Sie an solchen Traditionsläden?
Stodtmeister: Dass kein Gericht dafür konzipiert ist, dass es instagrammable ist, also sich gut für ein Foto für den eigenen Social-Media-Feed eignet – sondern dafür, dass du für deine Mahlzeit und den Austausch herkommst. Diese greifbare Gemütlichkeit und, mein Gott, vielleicht ist die Kellnerin etwas mürrisch, aber da ist trotzdem gleichzeitig so eine Herzlichkeit drinnen. Und dazu einfach diese Tradition, alleine die Speisekarten sind ja eigentlich Geschichtsbücher! Da steh ich dann in Köln und da steht ein rheinischer Sauerbraten auf der Karte … und der ist vom Pferd. Warum ist der vom Pferd? Weil Pferdefleisch in der Region durch Kriege und so weiter früher halt besser verfügbar und günstiger war. Eine superspannende Geschichte.
taz: Welche Erfahrung haben Sie von Ihren Reisen mitgenommen?
Stodtmeister: Bei mir ist noch mehr Bewusstsein dafür entstanden, dass hinter dem, was wir auf dem Teller haben, echte Menschen stehen, echte Familien, echte Existenzen. Mit jeder Mahlzeit, die wir draußen zu uns nehmen, können wir eine Entscheidung treffen. Ich bin der festen Überzeugung, dass es immer die Möglichkeit gibt, bei einem Traditionsbetrieb zu essen, eine gute Zeit zu haben, einen fairen Preis zu bezahlen. Und eben nicht das Geld einer Fast-Food-Kette zu geben oder einem schnell hochgezogenen Laden, der irgendein Hype-Food verkauft und hinter dem Investoren und Venture Capital stecken, die irgendwo in Irland Steuerbetrug begehen.
taz: Ist Ihnen eine Begegnung besonders im Kopf geblieben?
Stodtmeister: Ich habe bei einem Gyrosimbiss in Köln lange mit dem Inhaber Micha geredet, und der hat gesagt: Hey, mir steht’s Wasser bis zum Hals. Früher haben sich die Leute hier in der Mittagspause eine Gyros-Pita geholt, jetzt gehen sie auf die andere Straßenseite zum Döner, weil es halt auch ein ewiges Preisdumping ist. Er hat riesige Sorgen und Existenzängste. Das hat er so nicht genau gesagt, weil er ja auch ein stolzer Mann ist und keine Schwäche zeigen will, aber zwischen den Zeilen könnte man das so heraushören. Das saß mir echt in den Knochen.
taz: Den Traditionslokalen geht es nicht gut?
Stodtmeister: Viele müssen kämpfen oder gar schließen. Die Foodszene ist generell im Umbruch, und da ist sicherlich Social Media mitverantwortlich, einfach durch Konzepte, die auf Fotografierbarkeit ausgelegt sind und nicht darauf, 30, 50, 100 Jahre am Markt zu sein. Die Investoren wissen genau, wie sie zum Beispiel eine erfolgreiche Netflix-Serie wie „Haus des Geldes“ nehmen und daraus Lokale machen: Haus des Döners. Solche Hype-Läden werfen kurz Geld ab und verschwinden dann wieder. Allerdings: Dass Traditionslokale wegsterben, liegt natürlich auch nicht nur daran. Da spielt auch der Mangel an Arbeitskräften eine wichtige Rolle, die steigenden Energiekosten und Lebensmittelpreise, dazu ein perverser Verwaltungsapparat. So geht insgesamt viel Altes verloren. Aber immerhin – durch das Neue wird es auch diverser.
taz: Inwiefern diverser?
Stodtmeister: In der deutschen Foodszene sind schon viele geile internationale Einflüsse reingekommen. Wir verstehen manchmal nicht, wie weit wir schon sind, auch bei der Qualität. Ich war kürzlich in New York und dachte so: Boah, hier muss es ja den gestörtesten Burger geben! Und dann habe ich gemerkt, die kochen auch nur mit Wasser. Da war kein Burger geiler als einer, den ich hier schon gegessen habe.
taz: Zurück nach Deutschland. Haben Sie bei Ihren Reisen zu Traditionslokalen denn auch mal Enttäuschungen erlebt?
Stodtmeister: Bisher glücklicherweise nicht. Ich würde aber wahrscheinlich das Video dann auch nicht hochladen. Manche machen das ja. Ich muss aber keinem struggelnden Gastronomen damit wirklich den letzten Boden unter den Füßen wegreißen. Vielleicht bin ich gerade an einem schlechten Tag dagewesen. Und dann werde ich nicht hunderttausend Leuten auf Social Media davon berichten, dass irgendwas zäh war oder ein bisschen kalt. Da spüre ich auch eine gewisse Verantwortung.
taz: Sie waren ja schon viel unterwegs. Können Sie ein Lieblingslokal von Ihren Reisen nennen?
Stodtmeister: Der Schelling-Salon in München ist ganz oben dabei. Das ist ein ganz altes Lokal, in dem man Billard und im Keller Tischtennis spielen kann und auch noch wirklich gute bayerische Hausmannskost bekommt. Ich fand aber auch das Maultaschenhäusle in Stuttgart super stark, weil es eben wirklich genau das ist: eine von außen absolut nicht schöne, kleine, sehr rustikale Hütte. Und drinnen ist es an Herzlichkeit nicht zu übertreffen, es ist familiengeführt, und es gibt halt einfach die besten Maultaschen, die ich je hatte. Mich begeistert ohnehin immer die Einfachheit eines Produkts, also: Je weniger Zutaten ein Gericht hat, desto wichtiger ist ja die Qualität der einzelnen Komponenten. Und bei einer Maultasche hast du ein Stück Brät in einem Pastateig. Da schmeckst du einfach sofort, ob das ein handwerklich ordentlicher Pastateig ist.
taz: Auch Traditionslokale waren irgendwann mal neu. Was bräuchte denn eine Neueröffnung heute, dass Sie denken: Das hat das Potenzial, nicht so zu werden wie viele andere?
Stodtmeister: Man darf ein Traditionslokal nicht gleichsetzen mit einem Restaurant, das tradionelle Küche anbietet. Um ein Traditionslokal zu werden, entscheidet gar nicht in erster Linie, was auf den Teller kommt, sondern die Haltung dahinter. Bei Hype-Läden geht es nur um Profite, die sind deshalb auch oft megaanonym und gesichtslos. Bei Traditionslokalen hast du meistens Leute, die das Gastgebertum im Blut haben. Im Gegensatz zu gebrandeten Läden haben sie meist ehrlich keine Lust, die Preise zu erhöhen, weil sie Stammkunden haben. Kunden, die fast wie Freunde sind, die dreimal die Woche kommen und sich auf einen Schnack hinsetzen.
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