Forscher über Rechte in Österreich: „Die politische Kultur ist zerstört“

Die FPÖ und auch die ÖVP adressieren das Thema Migration permanent und schüren Ressentiments, sagt Rechtsextremismusexperte Andreas Peham.

Demo der Identitären Bewegung in Berlin. Es sind zahlreiche Flaggen der IB zu sehen

Moderner Rechtsextremismus ist sowohl in Deutschland als auch in Österreich ein Problem: Identitären-Demo in Berlin Foto: dpa

Die österreichische Justiz verzeichnete in den vergangenen drei Jahren einen starken Anstieg bei Verurteilungen von rechtsradikalen Delikten wie Verhetzung und Verbrechen nach dem Verbotsgesetz. Das geht aus dem vor kurzem präsentierten Sicherheitsbericht 2017 des Innen- und des Justizministeriums hervor. Gleichzeitig gab es 2017 1.063 Straftaten mit rechtsextremen und menschenfeindlichem Hintergrund. Das sind zwar ein Fünftel weniger als im Jahr 2016, aber immer noch mehr als vor dem Jahr der Flüchtlingskrise 2015/16.

Herr Peham, ist Rechtsextremismus in Österreich noch ein aktuelles Thema?

Andreas Peham: Ja und das nicht erst seit heute. Die Zahlen rechtsextremer Fälle sind insgesamt betrachtet in den vergangenen Jahre deutlich nach oben gestiegen – mit Ausnahme 2017. Die gute Nachricht ist, dass es zu mehr Verurteilung gekommen ist. Was bedeutet, dass sich bei der Justiz etwas geändert hat. Die Bereitschaft Verfahren gegen solche Delikte einzuleiten und solche Fälle anzuzeigen, ist deutlich größer geworden.

Um welche Art von Delikten handelt es sich primär?

In den vergangenen drei Jahren sind rechtsradikale Delikte im Internet stark angestiegen. Mehr als 90 Prozent aller rechtsextremen Straftaten in Österreich betreffen antisemitische und rassistische Hetze im Netz. Die Verurteilung solcher Taten hat sich im Jahr 2017 gegenüber dem Jahr 2015 verdreifacht. Das Interessante daran: während rechtsextreme Gewalttaten hauptsächlich von Männern ausgehen, sind Frauen bei rassistischer Hetze im Internet fast gleich auf.

Welche Unterschiede gibt es zwischen den Nachbarländern Deutschland und Österreich, bezogen auf rechtsextreme Straftaten?

In Deutschland gibt es mehr rassistisch und antisemitisch motivierte Gewalttaten. In Österreich gibt es vor allem Propagandadelikte, die gewalttätigen Formen von Rechtsextremismus sind hier deutlich weniger. Die Freiheitliche Partei Österreich (FPÖ) weiß auch warum.

Und warum?

Die FPÖ sagt, sie sei der Garant dafür, dass sich diese „rechten Proteste“, wie sie es nennen, in Österreich nicht gewalttätig äußern. Und es ist da schon etwas Wahres dran, es gibt weniger rassistische Gewalttaten. Dafür eine im Kern rassistische Partei in der Regierung. Und ndirekt sagt diese damit, dass die Motive, die FPÖ zu wählen, dieselben sind, wie ein Flüchtlingsheim anzuzünden. Ansonsten macht die Aussage ja keinen Sinn. Bei der vergangen Wahl gaben 80 Prozent der FPÖ-Wähler Migration, Asyl und Flucht als Wahlmotiv an.

Der 51-Jährige gilt als einer der führenden Experten für Rechtsextremismus im deutschsprachigen Raum. Peham studierte von 1990 bis 2000 Politikwissenschaften an der Universität Wien. Seit den 1990er-Jahren arbeitet er für das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes.

Oft erweckt es den Eindruck, Rechtsextremismus sei in Österreich gesellschaftlich akzeptiert.

Es stellt sich schon die Frage, inwieweit Rechtsextremismus in Österreich inzwischen zur Normalität gehört. Das liegt auch an den aktuellen Regierungsparteien. Nicht nur die FPÖ, auch die Österreichische Volkspartei (ÖVP) halten das Migrationsthema am köcheln und schürt entsprechende Ressentiments. Das hat man auch zuletzt bei der Reform von Führerscheinprüfungen gesehen, wo Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) von „arabischen Clans“ gesprochen hat. Also egal was, sei es Umwelt oder Verkehr, sie bringen immer wieder die Themen Migration oder Geflüchtete auf.

Gibt es auch historische Gründe für diese Akzeptanz?

Die Nichtaufarbeitung des Nationalsozialismus hat die politische Kultur in Österreich nachhaltig zerstört. Während es in Deutschland gelang, nach 1945 eine demokratische politische Kultur zu etablieren, hat die Tabuisierung des Nazismus hierzulande das Politische überhaupt zerstört. Zudem hat sich Österreich lange als Opfer des Nationalsozialismus gesehen. Dieser Bruch mit der politischen Realität ist fatal. Und ich glaube schon, dass solch eine Lebenslüge auch Einfluss darauf hat, wie sich die Politik heute allgemein mit Themen auseinandersetzt.

Ab wann wird denn eigentlich nicht mehr von rechts, sondern von rechtsextrem gesprochen?

Da gibt es große Unterschiede zu Deutschland, wo rechtsextremistisch gleich verfassungsfeindlich bedeutet. In Österreich hat der Begriff „Rechtsextremismus“ nicht das Merkmal, dass er die liberale Parteiendemokratie frontal ablehnt. Bei uns kann eine Partei laut Begriff durchaus sich mit der Demokratie als Form abgefunden haben und gleichzeitig rechtsextrem sein. Es gibt nur ein Verbotsgesetz, das richtet sich gegen den Neonazismus. Was wir als neonazistisch bezeichnen, ist in Deutschland rechtsextremistisch.

Andreas Peham, Rechtsextremismusexperte

Gerade populistische Parteien mit rechtsextremen Inhalten wissen mittlerweile genau, wie sie Themen formulieren müssen, um sich nicht strafbar zu machen

Inwiefern hat sich das Gedankengut von Rechtsextremen in den vergangen Jahrzehnten gewandelt?

Da gab es auf jeden Fall so etwas wie eine Modernisierung. Es hat sich weniger das Gedankengut gewandelt, vielmehr das Feindbild und die Themenwahl. Gerade populistische Parteien mit rechtsextremen Inhalten wissen mittlerweile genau, wie sie Themen formulieren müssen, um sich nicht strafbar zu machen. Und sie wissen auch, womit sie mehr Erfolg haben und womit weniger. Die heutige Generation Rechtsextremer hat im Gegensatz zu der Vorgängergeneration mit dem Nationalsozialismus zumindest von außen betrachtet weitgehend abgeschlossen. Der Rassismus ist nicht neu, aber die Verbindung dessen mit dem Feindbild Islam und Muslime. Das was früher „Überfremdung“ geheißen hat, heißt heute „Islamisierung“.

Wie haben Faktoren wie das Internet und Social Media die rechtsextreme Szene beeinflusst?

Das hat viele neue Möglichkeiten eröffnet. Und da stellt es sich schon die Frage: ist es Zufall, dass gerade die rechten Parteien auf Facebook die meisten Likes haben? Ich glaube, der Erfolg liegt an der Art und Weise wie rechtsextreme Texte einerseits und Social Media andererseits funktionieren: beide weisen eine oratorische Struktur auf, wirken wie direkte Ansprachen. Sie adressieren weniger die Vernunft sondern die Emotionen der Leser. Dafür sprechen auch die vielen Ausrufezeichen, die Leute sollen in einem bestimmten Erregungszustand gehalten werden.

Wer ist vor allem anfällig für rechtsextreme Tendenzen?

Das ist schwer zu sagen. Aber wir wissen, dass Zeiten von massiven – sozialen, politischen und persönlichen – Krisen uns beeinflussbarer für so etwas machen. Wie etwa Krankheit, sozialer Abstieg oder der Verlust eines wichtigen Menschen. In den mir bekannten Fanatisierungsverläufen gibt es oft massive Brüche in der Biographie, so etwa Trennungen, die dann oft auch mittels Frauenhass verarbeitet werden. Aber den klassischen rechtsextremen Prototyp gibt es nicht. Aber man kann schon sagen, dass es eher Männer mit niedrigerem Bildungsstand sind, die die Szenerie dominieren. Die Kader und Verantwortlichen hinter rechtsextremen Seiten im Internet hingegen haben meist eine überdurchschnittlich hohe Bildung und hohes Einkommen.

Die Anzahl der rechtsextremen Straftaten haben im Jahr 2017 wieder etwas abgenommen. Eine Prognose für die Zukunft?

Es war ja nicht erst am Wahltag klar, dass die FPÖ in die Regierung kommt. Das hat man auch vorher schon geahnt. Und es war interessant, wie sich die Identitären und andere rechtsextreme Gruppierungen im vergangenen Jahr dann plötzlich zurückgehalten haben. Auch wenn diese Gruppierungen die FPÖ durchaus auch kritisieren, wird sie verglichen mit anderen Parteien doch als das kleinere Übel wahrgenommen. Die Frage ist, wie lange diese Zurückhaltung noch bleiben wird.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.