Forscher über nachhaltige Online-Medien: "Digitale soziale Netzwärme"

Stephan Baumann über einen gesunden Umgang mit der Medienflut, seine Meinung zu „Slow Media“ und warum er seine RSS-Feeds nur noch alle vier Wochen liest.

"Statt permanent online in der Megataktung, gezielt herauspicken": Medienwissenschaftler Baumann über nachhaltige Onlinenutzung. Bild: mys / "photocase"

Bevor wir über nachhaltige Online-Medien reden: Was verstehen Sie unter dem Begriff „Nachhaltigkeit“?

Ganz klassisch: Öko-Systeme, die prinzipiell regenerierbar sind und das durch ihre Nutzung auch bleiben sollten. Wenn man diesen Begriff auf mediale Systeme überträgt, die Informationen beinhalten, würde ich das so verstehen wollen: Wie kann man dafür sorgen, dass Konsumenten und Produzenten in diesem Öko-System von Menschen und Informationen darauf schauen, dass immer noch genug Essenz drin ist und nicht nur verdaut, vergärt, widergekäut und bevorzugt Redundantes produziert wird.

Wie hat sich Ihr Umgang mit Online-Medien in den letzten Jahren entwickelt?

Ich bin jetzt seit fünf Jahren aktiv in dem Umfeld Produzieren und Konsumieren. Während ich aber 2005 noch fleißig parallel fünf verschiedene thematische Blogs befeuert habe und mal drei Monate „heavy twitter user“ war, habe ich das jetzt alles weitestgehend zurückgefahren. Das heißt, die anfänglich doch große Begeisterung ist dann doch eher einer entspannteren Zurückhaltung gewichen, in der ich mich zur digitalen Selbstbeherrschung verdonnert habe. Früher war ich noch ein fleißiger RSS-Konsument, mittlerweile leere ich die alle vier Wochen und stelle unheimlich viel Redundanz fest. Da muss ich mir keine Sorgen machen, die wichtigen Dinge werden mir immer noch über private Kontakte zugetragen.

Dr. Stephan Baumann (46), Computer- und Medienforscher, Leiter des Competence Center Computational Culture (C4) am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI). Baumann arbeitet an einem Projekt mit dem Ziel, online soziale Medien zu analysieren und dadurch neue Trends und wichtige Themen zu entdecken. Er entwickelt unter anderem an Empfehlungssystemen für Musik.

Könnte man sagen, dass die Medienflut viele Menschen überfordert und deswegen derzeit eine Rückbesinnung stattfindet?

Ich glaube, dass sich viele Leute gar nicht überfordert fühlen, weil es einfach immer noch so spannend, so glitzernd, so interaktiv, so sozial daherkommt. Da gerät man leicht in diesen Aufmerksamkeitswahnsinn hinein und macht den ganzen Tag nur noch „friending“ und „liking“, wodurch man auch so eine gewisse digitale soziale Nestwärme erhält. Ich denke, es ist eine Frage des Rhythmus, dass das in eine Monokultur ausgeartet ist, in der man ständig online geht, in der man mobil online ist, in der die Leute vor mir im Hauptbahnhof in die Kleinstgeräte reinklotzen und beinahe die Treppe runterfallen und im Weg rumstehen – das finde ich nicht so prickelnd.

Kann man überhaupt noch abschalten?

Wir stehen wieder in der Verantwortung. Früher hat die Technik die Limitation vorgegeben. Das ist jetzt weg. Das einzige Limit, das es noch gibt, ist die Akkulaufzeit – das wird ja auch heftigst beklagt, aber eigentlich ist man als Mensch in der Verantwortung, selbst die Taktung vorzugeben und zu sagen „Nein, jetzt mal drei Stunden Badesee“ und zur Ruhe kommen. Die ganzen Facebook-Comments kann ich dann vielleicht später mal in einem Block angucken. Und muss nicht immer in dieser ständigen Erregungshaltung sein: was passiert jetzt und wo wird jetzt schon wieder irgendein Belohnungssystem bei mir aktiviert.

Liegt die Verantwortung alleine beim Konsumenten oder nicht auch beim Produzenten, der die Informationen anbietet?

Da habe ich die Hoffnung aufgegeben.

Hatten Sie denn jemals Hoffnungen?

Nein, eigentlich noch nie. Da kommt man ja auf den Boden der Tatsachen: All diese Dienste müssen betrieben werden, all diese Server-Farmen müssen finanziert sein, all diese Bandbreiten kosten Geld, es gibt überall entsprechende Geschäftsmodelle, die es ja geben muss, damit am Ende des Tages auch jeder Online-Redakteur seine Miete zahlen kann. Die wiederum bedingen, dass man gerne viele Leute auf der Plattform hat, die aktiv sein sollen, personalisierte Werbung sehen und weiterklicken sollen. Deshalb: Warum sollen diese klassischen Produzenten sich selbst limitieren?

Das heißt, die Produzenten müssen im Internet im Prinzip so sein, wie sie jetzt sind und die Verantwortung liegt allein bei den Konsumenten?

Die Verantwortung liegt aus meiner Sicht in erster Linie beim Konsumenten. Denn in einer globalen Welt agieren wir mit nationalen oder europäischen Initiativen zum Verbraucherschutz, und was so alles an lobenswerten Dingen getan wird. Wir agieren innerhalb dieser Grenzen, aber das Internet stellt nun mal ein sehr breites, ein globales Angebot dar.

Können Online-Medien demnach überhaupt nachhaltig sein? Oder einzig die Konsumenten die Online-Medien nachhaltig beziehen?

Das ist sehr schön formuliert. Ich würde es gerne mit diesem Fragezeichen stehen lassen, weil es mich selbst einfach umtreibt. Ich würde gerne Antworten auf diese Fragen suchen und hatte mir auch eigentlich vorgenommen, mal eine Auszeit zu nehmen, in der ich diese Form „post-digitalen Lebensstils“ erkunde. Sprich: Was ist, wenn das Digitale, die Möglichkeit immer online zu sein, so selbstverständlich geworden ist, dass man darüber nicht die ganze Zeit nachdenken muss? Das ist keinesfalls irgendeine konservative Retro-Haltung, dass man sagt „Nein, ich bin nur offline“, sondern etwas, wenn die digitale Revolution normal und langweilig ist. In einem solchen Rahmen würde man dann eventuell feststellen, ob ein Online-Medium prinzipiell nicht nachhaltig ist.

Gibt es denn Beispiele, wie man nachhaltig konsumieren kann?

Mir fallen da in der Regel alte Bezugspraktiken ein, die völlig altertümlich klingen: Zu einem guten Konzert gehen oder einen 2000-Seiten-Wälzer lesen. Das ist eventuell auch meine Alter geschuldet, da ich zwar digital nativ bin, aber mit 46 Jahren nicht zu einer Generation gehöre, die mit diesen Dingen anders umgeht.

Geht es also nur, wenn ich weniger Zeit online und stattdessen mehr Zeit offline verbringe?

Das klingt zu altertümlich. Ich habe ja nichts dagegen, diese Form des Online-Mediums zu genießen. Ich finde einfach nur dieser Rhythmus sollte nicht irgendwie so ultrakurz getaktet sein, dass man immer nur auf diesem einen riesigen Online-Medienkanal ist, sondern man sollte wirklich wieder ein bisschen entspannter sein. Längere Phasen auf ausgewählte Dinge konzentrieren, dann auch mal wieder eine Phase offline haben, dann wieder mit mehr Lust online – statt permanent online in der Megataktung.

Inwiefern sollte sich demnach die Nutzung der Online-Medien verändern?

Die Konsumenten sollten einfach mal ein bisschen gezielter gucken, nicht in Hülle und Fülle alles wahrnehmen – um ja nichts zu verpassen –, sondern gezielter sagen: „Ich pick mir was raus, auf das ich auch mal ein bisschen mehr Aufmerksamkeit verwende, weil ich ja eigentlich doch nichts verpasse, da in diesem ganzen Wahnsinn einfach ein riesen Redundanz-Faktor herrscht“.

Werden wir in fünf Jahren eine gesunde Mischung zwischen Medienabstinenz und „always on“ haben?

Da kann ich nur für meine Generation sprechen und da ist es wahrscheinlich auch nur meine seltsame Wahrnehmung als Computer- und Medienforscher, dass ich sehe, da nicht alleine unterwegs zu sein. Die meisten Leute sind schon dabei, sich auf so ein Muster einzustellen. Für die junge Generation kann ich es nicht beurteilen.

Der Begriff „Slow Media“ taucht in letzter Zeit immer öfter in den Medien auf. Ist das nur ein Trend oder ist das wirklich eine Notwendigkeit?

Das frage ich mich zurzeit auch noch. Der Begriff ist in den letzten vier bis fünf Monaten hier und da mal bei Kollegen gefallen, die zum Beispiel über Journalismus 2.0 oder soziale Medien referieren. Irgendwie sind wir ganz froh, wenn wir solche neuen Begriffe finden und eigentlich ist er ja auch ganz griffig.

Er sagt alles und nichts.

Eben. Er ist griffig, weil man dann auf jeden Fall schon mal in die Diskussion einsteigen und jeder genau dazu etwas reininterpretieren kann oder auch nicht. Ich habe ihn in der Form noch nicht verwendet. Wenn man es dann ausdifferenziert – das haben ja auch Kollegen probiert –, dann wird es hier und da schon noch ein bisschen schwierig.

Was sollten Produzenten an den Online-Medien noch ändern?

Dass man wieder stärker seine eigene Handschrift einbringt. Menschen hören nach wie vor gerne gute Geschichten. Geschichten werden digital und online nicht so oft erzählt, das ist eher ein Puzzle aus kleinsten Fakten, die möglichst interaktiv und beeindruckend aufbereitet sind. Wie gesagt: Ich lese immer noch gerne gut gemachte Stories, die auch eine ganz persönliche Note haben.

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