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Forscherin über Argentinien„Die Machthaber wollen die Presse zum Schweigen bringen“

Argentiniens Präsident Javier Milei will ein Gesetz streichen, das Journalisten schützt. Warum das die Demokratie gefährdet, erklärt Forscherin Cynthia Ottaviano.

Für Journalisten in Argentinien wird es Zeit für Protest Foto: Agustin Marcarian/reuters
Jürgen Vogt

Interview von

Jürgen Vogt

taz: Frau Ottaviano, Präsident Javier Milei reicht am Donnerstag ein umfangreiches Reformpaket zum Arbeitsrecht im argentinischen Kongress ein. Es trägt den Namen „Gesetz zur Modernisierung der Arbeitswelt“. Was ist an dieser Reform modern?

Cynthia Ottaviano: Das Reformpaket der Regierung ist das genaue Gegenteil von Modernisierung. Sollte es beschlossen werden, versetzt es uns zurück an den Anfang des letzten Jahrhunderts. Damals waren die Rechte der Arbeitnehmer in Argentinien noch nicht verankert. Es gab keinen rechtlichen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Rahmen, der eine würdige, faire und gerechte Vergütung für geleistete Arbeit, geregelte Pausen und Ruhezeiten, Urlaubsgeld oder das Streikrecht garantierte. All dies soll mit der Reform flexibilisiert, eingeschränkt oder abgeschafft werden, wie beispielsweise das Berufsgesetz für Journalisten.

taz: Was bedeutet das Berufsgesetz für Journalisten?

Ottaviano: Es ist das Gesetz Nummer 12.908 und trägt den Titel „Statut des Berufsjournalisten“. Mit ihm wurde das nationale Journalistenregister eingerichtet, über das die Berufsausweise ausgestellt werden, die den Zugang zu Informationsquellen von öffentlichem Interesse sowie zu staatlichen Stellen für die Ausübung des Berufs gewährleisten. Zudem werden Journalisten mit ihren spezifischen Aufgaben, Kategorien und Laufbahnen als vollwertige Rechtssubjekte gegenüber Unternehmen und allen staatlichen Stellen anerkannt.

taz: Und was regelt das Gesetz?

Ottaviano: Das Gesetz definiert und schützt die Arbeitsrechte von Journalisten, Reportern, Fotografen, Korrekturlesern und allen sonstigen Presseschaffenden in Printmedien und Nachrichtenagenturen. Es regelt die Arbeitszeit, garantiert eine Arbeitsplatzsicherheit, den bezahlten Urlaub und legt den Gewerkschaftsschutz fest. Es garantiert die Recherche, Bereitstellung und Rezeption vielfältiger, pluralistischer und genauer Informationen und Meinungen, einschließlich der Vertraulichkeit der Quellen – ein Recht, das zudem in der argentinischen Verfassung verankert ist.

taz: Und dieses Gesetz will die Regierung mal eben so streichen?

Ottaviano: Ja, und zwar ziemlich unauffällig. Auf der Liste des Reformpakets stehen am Ende eine Reihe unscheinbarer Artikel, wie etwa der Artikel 194. Darin heißt es ganz lapidar: „Das Gesetz Nr. 12.908 und seine Änderungen werden hiermit aufgehoben.“ Würde der Kongress dem zustimmen, wäre das Statut des Berufsjournalisten ersatzlos gestrichen.

taz: Sie haben ein Video online gestellt, in dem sie genau darauf aufmerksam machen. Ist das Gesetz nicht bekannt?

Ottaviano: Einige Journalisten kennen das Gesetz, aber die Mehrheit tatsächlich nicht. Seit Jahrzehnten versuchen Regierungen und Medienmogule, dieses Gesetz zu kippen. Vieles von dem, was heute geschieht, erinnert mich an die Kämpfe in den 1990er Jahren, als es darum ging, das Gesetz gegen die neoliberale Regierung der damaligen Zeit zu verteidigen. Die Machthaber haben immer ein Interesse daran, die Presse zum Schweigen zu bringen, und auch heute steckt diese Absicht hinter der Aufhebung des Gesetzes.

taz: Das Statut trat 1946 in Kraft. Zu dieser Zeit gab es weder das Internet noch soziale Medien. Wie relevant ist das Statut heute noch?

Bild: Privat
Im Interview: Cynthia Ottaviano

52, ist Journalistin, Essayistin, Professorin und Expertin für öffentliche Politik und das Menschenrecht auf Kommunikation. Sie lehrt und forscht an der Universidad Nacional de Avellaneda sowie der Universidad Nacional de La Plata.

Ottaviano: Es geht nicht um das Medium, sondern um Menschenrechte. Kommunikation ist ein Menschenrecht. Diese menschenrechtliche Perspektive auf Kommunikation impliziert die Demokratisierung, Entkommerzialisierung, Entpatriarchalisierung und die Förderung dekolonialer Praktiken, unabhängig davon, ob Kommunikation und Information über Print-, audiovisuelle, elektronische, digitale oder zukünftige Medien bereitgestellt werden. Daher ist das Verständnis, dass professionelle Jour­na­lis­t*in­nen vollwertige Rech­te­inha­be­r*in­nen sind, zeitlos und bildet eine Grundlage der Demokratie.

taz: Was wären die Folgen einer Aufhebung des Gesetzes?

Ottaviano: Es würde die freie Ausübung des Journalismus behindern, da es den Zugang zu Quellen und Regierungsbehörden noch weiter einschränken würde. Angesichts der aktuellen Krisen und der Verbreitung von Hassreden, Fake News, Vorurteilen und Verschwörungsvorstellungen ist eine gut ausgestattete, engagierte und geschützte Berufsausübung heute notwendiger denn je, vielleicht sogar noch mehr als 1946. Und das Berufsgesetz für Journalisten ist das Fundament, nicht die Grenze, für professionellen Journalismus. Die Berufsausübung muss frei vom Einfluss mächtiger Interessen sein, auch jener, die heute global agieren.

taz: Präsident Milei hat gesagt: „Wir hassen die Journalisten noch nicht genug.“ Welche Konsequenzen haben solche Aussagen des Präsidenten?

Ottaviano: Auch in Argentinien werden Journalisten angegriffen, belästigt, bedroht, verfolgt und verletzt. Wie im Fall des Fotojournalisten Pablo Grillo, dem während eines sozialen Protestes eine Tränengasgranate ins Gesicht geschossen wurde. Gerade jetzt ist es wichtiger denn je, den Schutz von Journalisten zu stärken.

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