Forschung mit Droge: Urlaub auf Keta

Ketamin ist im Nachtleben verbreitet. Das Narkosemittel hat aber auch eine antidepressive Wirkung. In einer Studie der Charité werden Patienten damit behandelt.

Voll psycho, auch ohne Ketamin: Party am Spreestrand Bild: dpa

Zu dritt zwängen sie sich in die enge Toilettenkabine. Laute Bässe wummern von außen gegen die Wände, Stimmengewirr. Samstagnacht in einem Berliner Technoclub in der Rummelsburger Bucht. Die Toilette ist schmutzig. Auf dem feuchten Boden kleben Toilettenpapierfetzen und Zigarettenstummel im grauer Dreck.

Vorsichtig schüttet Basti* (23) etwas weißes Pulver auf das Display seines Handys, das er auf die Armatur abgelegt hat. „Ketamin – wer will?“ Seine Freunde grinsen und nicken. Sorgfältig und geübt verteilt Basti das Pulver mit seiner Kreditkarte. Drei längliche Bahnen schiebt er zurecht. Marktpreis: rund 40 Euro pro Gramm. Beim Feiern nehmen sie es regelmäßig.

Anfangs war sein Respekt vor der Droge groß. „Die Keta-Leute sahen nicht wirklich appetitlich aus“, sagt Basti. „Viele waren kaum mehr ansprechbar und schwankten ohne Kontrolle, wie betrunken, durch die Gegend.“

Doch seine Neugier und die Erzählungen anderer überzeugten ihn. Anfangs nahm er Ketamin nur entspannt zu Hause mit Freunden, in einer relativ großen Dosis, etwa 180 bis 200 Milligramm bei 94 Kilogramm Körpergewicht: „Ein wunderbarer Zustand, weit weg von der Realität“, beschreibt er den Trip.

Calvin L. Stevens von der Wayne State University in Detroit (USA) synthetisierte im April 1962 im Rahmen eines Forschungsauftrags erstmals die Substanz Ketamin. Der Chemiker war auf der Suche nach einem Ersatz für das mit starken Nebenwirkungen behaftete Narkosemittel Phencyclidin (PCP, "Angel Dust").

Mit der Herausgabe der zwei Bücher "Journeys Into the Bright World" von Marcia Moore und Howard Alltounian sowie "The Scientist" von John Cunningham Lilly im Jahre 1978, in denen die Erfahrungen mit Ketamin literarisch beschrieben wird, wurde die Substanz allgemein bekannt und danach immer häufiger auch als Partydroge benutzt.

Aufgrund seines niedrigen Abhängigkeitspotenzials gilt die Zulassung von Ketamin als Antidepressivum als wahrscheinlicher als bei anderen Rauschmitteln. Doch da es als Narkosemittel schon lange auf dem Markt ist, gibt es kein Patent darauf. Keine Pharmafirma kann ein Herstellungsmonopol beanspruchen. Deshalb scheint sich die Investition in ein Zulassungsverfahren für Pharmafirmen nicht zu lohnen.

Eine Faszination, die Basti auch als beängstigend empfand. Er katapultierte sich mit dem Stoff bewusst in ein psychisches Loch – das K-Hole – und genoss das neue Körpergefühl: extrem verstärkte Wahrnehmung, psychedelische Tagträume, Bewegungslosigkeit.

Seiner Erfahrung nach gibt es nicht „das eine Keta“ in der Clubszene. Basti vermutet, dass verschiedene Substanzen als Ketamin verkauft werden. Es gebe gravierende qualitative Unterschiede: Das eine macht schlapp und betrunken, das andere wirkt wie LSD oder Pilze.

„Keta passt zu Techno“

„Ich hatte schon mal ein Keta, da sah ich psychedelische Bilder“, erinnert er sich. „Ich konnte da auch extrem gut drauf tanzen. Da ist Techno einfach wunderbar.“

Ganz selbstverständlich rollt Basti jetzt einen 5-Euro-Schein zu einem Röhrchen. Nacheinander ziehen er und seine Freunde das Pulver in die Nase. Dann tanzen sie in den dunklen Hallen des Clubs: Gleitende, exstatische Bewegungen im Takt der Musik, die Augen geschlossen, zufrieden lächelnd. Ihre Psyche arbeitet scheinbar auf Hochtouren: „Man ist plötzlich mehr mit seiner Umwelt verbunden und nimmt sehr viel wahr, zum Beispiel die Körpersprache anderer“, beschreibt Basti den Zustand später, als sein Trip nach einer Stunde nachgelassen hat. Oder zumindest glaube man das. Je nach Dosis hält die Wirkung des Ketamins zwanzig Minuten bis eine Stunde.

Ob er Angst vor dem Absturz habe, den andere oft als Horror empfinden? „Ist mir schon ein paar Mal passiert“, sagt Basti lachend und fährt sich durch die Haare. Aber Angst habe er nicht.

Viele Gäste bleiben bis Montag früh, bis der Club um zehn schließt. Basti geht heute schon am Sonntagnachmittag. Schlafen wird er wahrscheinlich nicht können. Aber Hunger hat er. Und freut sich auf die selbst gekochte Gemüsesuppe in der heimischen WG-Küche.

Studie an der Charité

Szenenwechsel zum anderen Ende der Stadt: 11.30 Uhr in den hellen Gängen in der Psychiatrie der Charité in Lichterfelde. Hier arbeitet Prof. Malek Bajbouj (42). Der Psychiater behandelt im Rahmen einer Studie schwer depressive Patienten mit Ketamin. Gerade kommt er von der Station in sein Arbeitszimmer. In seinem weißen Arztkittel strahlt er Autorität und Vertrauen aus. Seine ruhige Stimme und das feine Lächeln wirken beruhigend.

Seit 2013 arbeitet Bajbouj mit Ketamin. Die Substanz, die in der Human- und Veterinärmedizin als Narkose- und Schmerzmittel eingesetzt wird, ist seit Langem für ihre antidepressive Wirkung bekannt. Für einige depressive Patienten kann das Ketamin, wenn andere Behandlungen erfolglos waren, die letzte Rettung sein. Es reguliert Botenstoffe wie Glutamat, Serotonin, Adrenalin und Dopamin, die bei depressiven Patienten gestört sind, erklärt Bajbouj. Der Stoffwechsel normalisiert und der Zustand des Patienten verbessert sich – bei einigen sogar schon nach wenigen Stunden. Die Patienten sind jung, alt, männlich, weiblich. Ein eindeutiges Muster ist zu diesem Zeitpunkt der Studie noch nicht erkennbar.

Allerdings ist nicht jeder Patient für die Behandlung geeignet. Etwa solche, die eine Suchterkrankung hatten oder haben. „90 Prozent der Patienten, die sich in der Sprechstunde vorstellen, kommen nicht infrage“, erklärt Bajbouj. Darunter auch einige „scheinbare“ Kranke, die es bloß auf das Ketamin abgesehen haben. Die Patienten müssen sich einem mehrstufigen Screening unterziehen.

Bajbouj überrascht der Missbrauch des Stoffs in der Technoszene nicht: „Gesunde Menschen erleben mitunter auch positive, dissoziierende Effekte dabei“, sagt er nüchtern. „Man schwebt und nimmt Dinge nur aus der Entfernung wahr.“ Ein bisschen wie Urlaub im Kopf. Dass der Stoff als Partydroge in Berlin sehr beliebt ist, weiß er von den Kollegen aus der Notaufnahme. Regelmäßig würden dort Menschen mit Vergiftungen und Horrortrips eingeliefert.

Über so viel Verantwortungslosigkeit im Umgang mit dem Stoff schüttelt der Arzt nur den Kopf. „Als wir mit dem Verfahren angefangen haben, waren die Nebenwirkungen unsere größte Befürchtung“, sagt er dann. Doch bei weniger als fünf Prozent seiner Patienten traten negative Effekte auf. Das liegt auch an der Art der Verabreichung des Medikaments: Die Menschen bleiben stationär an der Charité unter strenger ärztlicher Beobachtung und erhalten maximal sechs Infusionen je vierzig Minuten lang. Die genaue Dosierung möchte Bajbouj nicht verraten – Missbrauchsgefahr.

Wirkt das Mittel, muss der positive Zustand aufrechterhalten werden. „Doch das können wir nicht mit Ketamin“, sagt Bajbouj. Es fehlt noch an Untersuchungen, um die Langzeitwirkungen des Medikaments zu beobachten. In der Regel machen die Patienten anschließend eine Therapie oder bekommen andere Medikamente. Deshalb warnt Bajbouj vor voreiligen Schlüssen: „Es ist kein Wundermedikament.“ Nach bisherigen Untersuchungen wirkt es bei etwa einem Drittel der Patienten sofort, bei einem Drittel verzögert, aber auch bei einem Drittel gar nicht. Um herauszufinden, bei wem, will Bajbouj weiterforschen – um eine Zulassung als Antidepressivum möglich zu machen.

In der Geschichte der Medizin wurden schon häufig medizinische Experimente mit Rauschmitteln gemacht. Keines davon wurde zugelassen. „Kokain zum Beispiel wirkt wahrscheinlich brillant als Antidepressivum“, erklärt Bajbouj verschmitzt, „aber es hätte einfach ein zu hohes Suchtpotenzial.“

Nicht so bei Ketamin. Deshalb forschen die Mediziner weiter. Ab Frühjahr 2015 beginnen Bajbouj und seine Kollegen an der Charité eine Studie, um die Langzeiteffekte zu beobachten – mit Ketamin als Nasenspray. Basti fände das praktisch: „Obwohl dann natürlich der obligatorische Toilettengang wegfällt, ohne den ein Clubbesuch kein Clubbesuch wäre.“

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