Forschungsgelder für ME/CFS gekürzt: Die Versprechen gebrochen
Die Gesundheits- und die Forschungsministerin lasen Briefe von Betroffenen vor. Jetzt streicht die Regierung Forschungsgelder. Darauf noch ein Brief.
S ehr geehrte Frau Warken, sehr geehrte Frau Bär,
am 18. 7. erschien auf dem Kanal des Bundesministeriums für Gesundheit ein Video von Ihnen beiden, in dem Sie Briefe von ME/CFS-Betroffenen (Anmerkung der Redaktion: Chronisches Fatigue Syndrom) lesen. Sie zeigen sich in diesem Video bewegt von den Schicksalen, die Ihnen geschildert werden. Sie versprechen, sich um das Thema zu kümmern. Auch Ihr Kanzler Friedrich Merz hat noch vor zwei Jahren in einem Video verlauten lassen: „Viele Betroffene fühlen sich zu Recht im Stich gelassen.“ Und als Pointe: „Jedes einzelne ME/CFS-Schicksal ist eines zu viel.“
Ist das so? Nun hat die Bundesregierung beschlossen, im neuen Haushaltsplan die Forschungsgelder zu ME/CFS drastisch zusammenzukürzen. Es gibt vielversprechende Therapieansätze für diese Erkrankung: Eine der führenden Expert*innen auf dem Gebiet, Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen, hat mehrfach betont, dass man ihre Ansätze morgen schon weiterverfolgen könne, würden die Studien nur finanziert werden. Seit einem Jahr aber wartet sie darauf, dass Ihren Worten Taten folgen.
Ich möchte Sie an dieser Stelle an folgende Worte erinnern: Deutschland, so sagten Sie es noch im Juli 2025, Frau Warken, stehe angesichts von Long Covid und ME/CFS „in einer besonderen Verantwortung“. Sie sagten auch, dass es Sie sehr freue, „dass beide Ministerien im konstruktiven Austausch stehen.“ Sie wollten „neue Impulse setzen und dafür sorgen, dass durch das Zusammenwirken der Häuser das Thema mehr Sichtbarkeit erhält.“
Ihr Kanzler Friedrich Merz forderte in einer Bundestagsrede von 2023 angesichts der von ihm auf 2,3 Millionen Menschen taxierten, die von Long Covid betroffen sind, dass „über zehn Jahre alle Kräfte in Wissenschaft, Forschung und Praxis“ gebündelt werden und dafür gesorgt wird, „dass aus einem heutigen Schicksalsschlag schnellstmöglich behandelbare Krankheiten werden“.
Jetzt schweigen Sie still
Und jetzt das. Nicht nur werden keine neuen Mittel bewilligt, die bisherigen Mittel werden sogar beschnitten. Das ist schlicht zynisch: Sie wissen, wie Betroffene – ich wähle dieses Wort mit Bedacht angesichts Ihrer Zustimmung zu den Sparplänen – leiden. Sie haben für Ihre Social-Media-Kanäle deren Briefe ausgeschlachtet. Die paar Briefe, die Sie gelesen haben, spiegeln nur sehr unzureichend die Herausforderungen wider, die ein Leben mit ME/CFS mit sich bringt.
Ich habe nicht den Eindruck, dass Sie verstanden haben, wie notwendig die von Ihnen versprochene und nun weggesparte Forschung ist. Es gab durch die Finanzierung von Forschung zumindest einen Weg, Betroffenen zu zeigen, dass es einen politischen Willen gibt, ihnen zu helfen, dass sie nicht egal sind.
Es ist klar, dass mehr Forschungsgelder nicht bedeuten, dass übermorgen alle geheilt sind. Aber dass man ihnen Ressourcen widmet, dass man sie nicht vergisst, dass man versucht, ihnen und ihrem Menschsein gerecht zu werden, das wäre doch nicht nur das Mindeste, es wäre auch das, was Sie vollmundig versprochen haben.
Frau Warken, Frau Bär: Sie haben das Gegenteil getan. Sie haben diese Menschen instrumentalisiert, um sich als menschlich darzustellen. Nach den starken Worten, die Sie und Friedrich Merz in Unterstützung für ME/CFS-Betroffene zunächst gefunden haben, ist Folgendes geschehen: Sie haben Pflegegrad 1 zur Disposition gestellt, die Grundsicherung amputiert, die Forschungsgelder beschnitten. Darüber schweigen Sie jetzt still.
Frau Warken, Frau Bär, wer soll Ihnen und Ihrer Koalition noch vertrauen? Nur noch Menschen, die nicht von ihren Zumutungen betroffen sind? Ist das Ihr Verständnis von Politik? Von Gemeinschaft?
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