Foto-Band von René Burri: Sprache des Alltags

Der Fotograf René Burri ist eigentlich als Meister des Schwarz-Weißen bekannt. Ein opulenter Band versammelt erstmals seine Farbbilder.

Ortsspezifische Räume und Farben: Bild aus dem besprochenen Band Bild: Phaidon Books

Der neue Fotoband „Impossible Reminiscences“ von René Burri enthält 136 großartige Farbaufnahmen. Vorne auf dem Schutzumschlag prangt ein roter Aufkleber, auf dem Martin Parr den Schweizer Fotografen einen Meister der Farbfotografie nennt. Und Alec Soth meint, dass der Schatz an Farbfotografien, den man gerade in den Händen halte, nicht nur durch den Umfang, sondern überhaupt durch den meisterlichen Umgang mit dem Medium Fotografie erstaune. Dem ist dann eigentlich nichts mehr hinzuzufügen – bis auf den Hinweis, dass es sich bei Parr und Soth um zentrale Protagonisten der New Color Photography handelt.

Damit wird René Burri in Zusammenhang mit einem stilistischen Aufbruch gestellt, der in den 1970er Jahren seinen Anfang nahm, mit Fotografen, die erstmals den Anspruch der Farbfotografie als ernst zu nehmendes künstlerisches Ausdrucksmittel vertraten. Burri hier an vorderster Front zu sehen erstaunt. Ist er doch den meisten Fotointeressierten als Meister des Schwarz-Weiß bekannt, nicht zuletzt durch seinen, heute längst als Klassiker gefeierten Bildband „Die Deutschen“ von 1962.

Es überrascht also, in Hans-Michael Koetzles lesenswertem Essay am Schluss des Bandes zu erfahren, dass Burri schon seit Ende der 1950er Jahre mit zwei 35-mm-Kameras um den Hals unterwegs war. Die eine Kamera mit einem Schwarz-Weiß-, die andere mit einem Farbfilm bestückt.

Burri, Jahrgang 1933, studierte von 1949 bis 1953 an der Kunstgewerbeschule in Zürich. Unter anderen bei Hans Finsler, einem Fotografen der schwarz-weißen Neuen Sachlichkeit. Dass Burri der Farbe zuneigte, lag wohl eher an Finslers Kollegen schon am Bauhaus, an Johannes Itten und seiner Farbtypenlehre.

Beijing, 1964 Bild: Phaidon Books

Analog möchte man nun bei Burri von einer Farbraumlehre sprechen. Denn „Impossible Reminiscences“ handelt vom Raum so sehr wie von der Farbe. Mit jeder seiner Aufnahmen zeigt der Fotograf, wie die Farbe den Raum ganz wesentlich definiert. Sie bestimmt, was wir hinten, vorne, oben oder unten zu sehen meinen.

Dank Burris ästhetisch hochsensibler Behandlung der Farbe dauert es oftmals, bis deutlich wird, wie die Dinge auf dem Bild zusammengehören, wie die Münzen und die Zwiebeln etwa auf derselben Ebene zu liegen kommen. Nicht zuletzt das macht den großen Reiz seiner Aufnahmen aus.

Darüber hinaus zeigen sie eindrucksvoll, wie ortsspezifisch Räume und Farben sind. Nur wer wie René Burri ein Weltreisender ist, ein Magnum-Fotograf und Mann der vielen Themen, kann darüber wirklich berichten. Denn nur er verfügt über eine echte Sammlung etwa von sozialistischem Rot, angefangen in China 1964 über Kuba 1984, Warschau 1989 bis zurück nach China im Jahr 2004.

Dass er diese Aufnahmen durch persönliche Erinnerungen ergänzt und erklärt, auch das gehört zu René Burris Umgang mit der Farbfotografie. Er wollte die Welt ja nie stilisieren oder verrätseln. Da drängt sich die Farbe geradezu auf als Mittel, die Welt in der Sprache des Alltags festzuhalten.

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