Fotoausstellungen in New York: Kleine Jungs in Pink

Catherine Opie fotografiert Lesben, Schwule und Transsexuelle aus ihrem Bekanntenkreis. Rudy Burckhardt zeigt Menschen auf der Straße als choreografiertes Ballett.

Aus der Gender-Kiste von Catherine Opie. Bild: Catherine Opie/ Guggenheim New York

Die imposante Bauweise New Yorks stellt Fotografen vor eine Herausforderung. Wie kann man die Erhabenheit der Wolkenkratzer einfangen und gleichzeitig einen Eindruck der Präsenz von Menschen vermitteln? Der Schweizer Fotograf Rudy Burckhardt (1914-1999), der 1935 in die USA auswanderte, hat seine Antwort in der Konzentration auf Details gefunden. Er richtet seine Kamera auf eindrucksvolle Hauseingänge und das umgebende Mauerwerk mit seinen Eisenverzierungen und steinernen Säulen. Die US-amerikanische Fotografin Catherine Opie hingegen, geboren 1961, hält ihre Kamera auf Gebäude an der Wall Street, als würde sie eine weitläufige Landschaft aufnehmen. Ihre extremen Querformate stehen in einem reizvollen Kontrast zur vertikalen Gestalt der Hochhäuser. Opies Blick weicht derart von vertrauten Perspektiven ab, dass der Betrachter genau hinschauen muss, um etwa auf dem Bild "Untitled 9" den unteren Teil des World Trade Centers zu erkennen, aufgenommen wenige Monate vor der Katastrophe des 11. September 2001.

Zwei New Yorker Museen zeigen derzeit die Arbeiten von Burckhardt und Opie, die auf je ganz eigene Weise einen originellen Blick werfen auf Stadtlandschaften und Menschen. Beide Fotografen erkunden die Idee von Gemeinschaft und die Schwelle zwischen Öffentlichem und Privatem. Doch während die Ausstellung "New York, N. Why?: Photographs by Rudy Burckhardt, 1937-1940" im Metropolitan Museum of Art vor allem aus erlebnishaften Momentaufnahmen besteht, stellt die große Retrospektive "Catherine Opie: American Photographer" im Guggenheim-Museum eine engagierte Auseinandersetzung mit der amerikanischen Kultur dar.

Opie wurde Anfang der Neunzigerjahre mit Porträtaufnahmen schwuler, lesbischer und transsexueller Männer und Frauen aus ihrem Freundeskreis bekannt, von denen viele der sadomasochistischen Szene in Los Angeles und San Francisco angehörten. In ihrem Detailreichtum und den satten warmen Farben sind diese Porträts von Hans Holbein dem Jüngeren inspiriert. Im Guggenheim-Museum zeigt Opie, dass sie weit mehr ist als eine Porträtfotografin. Ihr Spektrum reicht von Architekturaufnahmen von Autobahnen, Malls und Wohnhäusern über Landschaftsbilder von Häusern im Eis und Surfern auf dem Meer bis hin zur Dokumentation des Lebens lesbischer Paare. Eines jedoch haben die rund 200 Aufnahmen in ihrer Retrospektive gemeinsam: Sie sind auf eine bestimmte Botschaft hin zugespitzt und gehen dabei keiner Konfrontation aus dem Weg.

Nicht immer geschieht dies auf so extreme Weise wie in einem Selbstporträt der offen lesbischen Künstlerin von 1994, in dem das Wort "pervert" ins nackte Fleisch ihres Oberkörpers geritzt ist und 46 Nadeln in ihrem Arm stecken. "Oliver in a Tutu" von 2004 zeigt Opies damals zweijährigen Sohn, der in einem pinkfarbenen Tutu, mit einer Kette um den Hals und einer Krone auf dem Kopf auf einem Stuhl vor einer Waschmaschine steht. Mit zufriedenem Gesichtsausdruck trägt der kleine Junge die Weiblichkeitsembleme zur Schau - und demonstriert dabei die Offenheit von Geschlechteridentitäten im Haushalt seiner Mutter.

Auch in Burckhardts Bildern gibt es Szenen, die an Ballettdarbietungen erinnern, doch finden diese auf der Straße statt. Dabei sind die Männer mit Jacketts und Krawatten bekleidet, die Frauen mit Röcken, Kostümen oder Mänteln aus schwerem Stoff, immer mit einer kleinen Handtasche am Arm und häufig mit einem Hut auf dem Haupt. Die Schatten der Gebäude mischen sich mit den Fußgängern und verstärken den Eindruck eines komplizierten Tanzes, in dem sich die Individuen ganz selbstverständlich für einen Augenblick zu einem geordneten Ganzen zusammenfinden. Die psychologischen und gesellschaftlichen Implikationen von Kleidung und Körperhaltung kümmern Burckhardt nicht. Während über Opies Bildern immer eine gewisse Schwere liegt, manchmal gar eine Art Brutalität, ist Burckhardts Blick warm und tolerant, ohne dabei auf eine bestimmte sozialkritische Botschaft zu zielen. Es hat wohl mit diesem Mangel an Angriffslust zu tun, dass dem aus Basel stammenden Fotografen, Experimentalfilmer und Maler lange Zeit breite Anerkennung versagt blieb.

Erst 1987 wurden seine Filme im Museum of Modern Art in New York gezeigt; 1998, ein Jahr vor Burckhardts Freitod, organisierte das IVAM Centro Julio Gonzáles in Valencia eine große Retrospektive. In den vergangenen Jahren erhielt Burckhardt dann die Aufmerksamkeit, die ihm zu Lebzeiten versagt blieb, unter anderem mit Ausstellungen im Kunstmuseum Basel 2005 und im Museum of the City of New York zu Beginn dieses Jahres.

Charakteristisch für Burckhardts Bilder ist ein Flair der Beiläufigkeit und Ungezwungenheit. "In a split second a girl is forever pretty" (Im Bruchteil einer Sekunde ist ein Mädchen für immer schön) heißt es in einem der die Ausstellung begleitenden Sonette des Dichters Edwin Denby, der über Jahrzehnte der engste Freund des Fotografen war. In der Tat sehen die Frauen auf Burckhardts Bildern hübsch aus. Nicht nur der Moment der Aufnahme ist günstig, sondern auch der Hintergrund. Dies ist vielleicht nirgendwo besser zu sehen als in einer Aufnahme von 1940, in der eine Frau in einem weißen Hut und Kostüm an dem Kaufhaus Saks and Company vorübergeht.

Der Mensch in seiner Umgebung ist auch für Opie ein Thema. In ihrer Serie "In and Around the Home" von 2004 porträtiert sie ihr Familienleben in Los Angeles: Ihre Partnerin, die Malerin Julie Burleigh, und deren Tochter Sara mit Hunden, ihr eigener Sohn Oliver beim Spielen nach dem Frühstück. Dann geht Opies Blick hinaus in ihr großenteils von Schwarzen bewohntes Viertel. Eine Parade am Martin Luther King Day ist zu sehen, ein Schrein für ein getötetes Gang-Mitglied, eine Feier an der reichen privaten University of Southern California. Dazwischen hängen immer wieder Polaroid-Aufnahmen von Menschen, aus dem Fernseher aufgenommen; man sieht die Gesichter von George W. Bush, Papst Johannes Paul II. und der Koma-Patientin Terri Schiavo - das Weltgeschehen dringt ein ins heile Familienleben.

Sich der Politik gänzlich entziehen kann auch Burckhardt nicht, doch seine Haltung ist nicht von kritischem Engagement, sondern von humorvoller Ironie geprägt. Ein Foto von 1940 zeigt einen Zeitungskiosk, in dem auch die Reinigung von Schuhen und Hüten angeboten wird. Kein Verkäufer ist hinter der Scheibe zu sehen, doch im Zentrum der Aufnahme blickt von einer Zeitschrift ein bekanntes Gesicht den Betrachter an. Benito Mussolini scheint bereit, den Kunden mit Zeitungen und Zigaretten zu bedienen.

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