Fotografie: Eindringliche Landfrauengesichter

Einblicke in die Welt der Arbeit sind rar geworden. Die Ausstellung „ort/zeit/los“ im Kunstverein Tiergarten zeigt die Ausnahmen.

Diese Serie "Vom Aufhören" zeigt Menschen an ihrem letzten Arbeitstag vor der Pensionierung. Bild: Frank Schinski

Die Fotos zeigen Frauen in der Fabrik. Im Schwarz-Weiß vergangener Tage sieht man die Arbeiterinnen in bunten Kittelschürzen große Stangen schultern oder mit gestreiften Stoffmassen hantieren. Manchmal posieren sie auch direkt für die Kamera, angetan mit karierten Mützen, die sie wohl selbst produziert haben.

Die Pose ist natürlich ein Spaß und karikiert das Gebaren der Modelle aus den Modezeitschriften. Das heißt, eigentlich gab es damals in der DDR nur die Sibylle. 1984 sollte Ute Mahler für die Frauenzeitschrift eine neue Kollektion aus dem Textilkombinat in Wittstock fotografieren. Dabei hatte sie zwei Kameras. Mit der einen erledigte sie den offiziellen Auftrag, mit der anderen lichtete sie die Frauen in der Fabrik ab. Die Mode ist bei den Arbeiterinnen nur etwas, worüber sie sich lustig machen können. Der Dresscode während der Arbeit heißt geblümter Kittel.

Ute Mahlers Wittstock-Bilder sind einer der Beiträge einer höchst interessanten Ausstellung über das Thema Arbeit im Kunstverein Tiergarten. Kuratiert wurde die Schau von Ulrike Kremeier. Die Kunsthistorikerin ist seit letztem Juli neue Direktorin im Kunstmuseum Dieselkraftwerk in Cottbus und hat sich vorgenommen, einen neuen Blick auf die Bestände ihres Hauses zu werfen.

Gerade was die Fotografie angeht, hat Cottbus etwas Besonderes zu bieten. Bereits in den siebziger Jahren begann man hier eine Sammlung zur DDR-Autorenfotografie. Kremeier – selbst aus dem Westen – liefert also jetzt eine Probe aufs Exempel, wie Altes in aktuellen Zusammenhängen neu gesehen werden kann. Zwischen die alten Schwarz-Weiß-Fotos aus der DDR schieben sich nämlich ganz aktuelle Aufnahmen zum Thema Arbeit und Arbeitslosigkeit und.

Letzteres hat es bekanntlich in der DDR nicht gegeben. Was nicht heißt, dass es keine Armut gab. Harald Hauswald, der große Chronist des Alltags in der DDR, hat in den 80ern fotografiert, wie alte Frauen in Ost-Berlin Abfalleimer und Müllcontainer durchstöbern. Vis à vis dazu hat Kremeier Stephanie Steinkopfs Serie über einen Plattenbau in Letschin platziert, die kürzlich mit dem Fotopreis eines großen Energiekonzerns ausgezeichnet wurde. Die Fotografin kommt selbst aus der Oderbruch-Gemeinde und kennt die im Volksmund „Manhattan“ genannten Wohnblocks aus ihrer Kindheit.

Damals waren die Wohnungen heiß begehrt, heute steht bereits ein Teil leer. „Manhattan“ ist Inbegriff für Armut geworden. Steinkopf wendet den Blick auf proletarische Tristesse, aber auch auf den fröhlichen Umtrunk in trauter Runde.

Der soziale Abstieg von Manhattan ist typisch für die ostdeutsche Provinz. Daher erklärt sich auch der seltsame Titel für die ganze Ausstellung. „ort/zeit/los“ soll das abgebildete Geschehen zudem über das rein Sozial-Dokumentarische auch als ästhetische Schöpfung vorstellen.

Der künstlerische Anspruch der Fotografie ist heute keine Frage mehr. Und so kann man in Thomas Kläbers Schwarz-Weiß-Aufnahmen durchaus Anklänge an die berühmten „Ährenleserinnen“ eines Jean-François Millet erkennen, auch wenn es sich bei ihm um eine „Kartoffelnachlese“ handelt. 1980 aufgenommen, sieht die Arbeit immer noch ähnlich aus wie auf Millets Gemälde von 1857. Die Eindringlichkeit der Landfrauengesichter und die kompositionelle Ausgewogenheit machen Kläbers Bilder zeitlos, auch wenn das Milieu des ländlichen Arbeitslebens aus den 70ern irgendwo in der DDR inzwischen verschwunden ist.

Das gleiche Milieu, aber aus der Innenperspektive des selbst Beteiligten, bietet Werner Mahler. Beim Dorffest oder beim Schweineschlachten ist er nahe dran. Das Dokumentarische gewinnt hier wieder die Oberhand.

Bei Chiara Dazi geht es zurück ins Genrehafte und Stimmungsvolle. Die junge Fotografin hat 2010/11 Wandergesellen begleitet. Zeitlos scheint schon die Tracht der jungen Männer und Frauen, die manchmal in geradezu malerischem Arrangement zum Bild gefrieren.

Groß und in Farbe sind auch Frank Schinskis Fotos vom „Aufhören“. Die Abschiede vom Arbeitslebens in leeren Büros, beim Aushändigen der Urkunde vor kärglichem Büfett oder beim letzten Handschlag mit dem Postboten an der Haustür lässt sofort die Frage aufkommen: War das etwa alles?

Wir wissen es nicht. In der gegenwärtigen Fotografie kommt die Fotografie der Arbeitswelt kaum vor. Die Ausnahme bildet die Agentur Ostkreuz – und alle hier beteiligten Künstler waren Vertreter oder Schüler dieser in der Tradition der DDR-Autorenfotografie stehenden Fotografenvereinigung.

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