Fragwürdig massiver Polizeieinsatz: Hundertschaften für einen Bauzaun

Fünf AktivistInnen des Kollektiven Zentrums (Koze) stehen ab Mittwoch in Hamburg vor Gericht. Ihnen wird Widerstand gegen Beamte vorgeworfen.

Massive Präsenz: Polizeikette am Koze. Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

HAMBURG taz | Die Hundertschaften rückten im Morgengrauen an: Mit einem Räumpanzer und zwei Wasserwerfern traf im Juli vergangenen Jahres ein polizeiliches Großaufgebot um sechs Uhr morgens im Hamburger Münzviertel ein. Der Grund war nicht etwa die Räumung des selbst verwalteten Kollektiven Zentrums (Koze), das eine Fläche in einem ehemaligen Kitagebäude von der Stadt mietete. Sondern die Asbestsanierung der umliegenden Häuser. Die Folge des Großeinsatzes waren vier Festnahmen, die Sanierung der Gebäude unter Polizeischutz und fünf Gerichtsverfahren gegen AktivistInnen, von denen das erste Mittwoch beginnt.

Vorgeworfen wird den AktivistInnen Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Die Staatsanwaltschaft hat Strafbefehle zwischen 1.200 und 1.500 Euro oder 75 Tage Haft verhängt. Die AktivistInnen legten Widerspruch ein.

Nach eigenen Angaben waren die AktivistInnen am besagten Morgen davon wach geworden, dass Bauarbeiter Platten auf den Schulhof transportierten. Die AktivistInnen hätten den Arbeitern und dem anwesenden Vertreter der Finanzbehörde, die die städtischen Gebäude verwaltet, erklärt, dass sie offizielle MieterInnen seien und zuerst ihre AnwältInnen sprechen wollten. Das Tor verschlossen sie mit Ketten.

Daraufhin habe der Vertreter der Finanzbehörde, die die Baumaßnahmen in Auftrag gegeben hatte, die Polizei alarmiert, die schon mit einem Großaufgebot bereitstand. BeamtInnen flexten das Hoftor auf, eine Kletterstaffel zerstörte ein Baumhaus und eine Hundertschaft riegelte die Straße ab, auf der sich schnell Hunderte SympatisantInnen einfanden.

Seit Herbst 2014 hatte das Kollektive Zentrum (Koze) im Münzviertel unweit des Hamburger Hauptbahnhofs einen Zwischenmietvertrag mit der Stadt.

Im ehemaligen Kitagebäude auf einem ungenutzten Schulhof veranstalteten AktivistInnen unkommerzielle Konzerte, Sportkurse, Vorträge und Filmabende, und machten Deutschkurse und Notunterkünfte für Geflüchtete, hatten eine Fahrradwerkstatt und eine Essenskooperative.

Die Stadt kündigte das Mietverhältnis zum 31. März 2016, weil ein Investor das Gelände kaufte, die Häuser abreißen und auf dem Areal neu bauen will.

Vor Gericht kassierte das Koze einen Räumungstitel und löste sich Ende Oktober auf.

Währenddessen stürmte eine auf gewalttätige Auseinandersetzungen spezialisierte Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) das Gelände, überwältigte die AktivistInnen, die nicht rechtzeitig fliehen konnten und nahm sie fest. Auf einem Video sieht man, wie PolizistInnen eine Aktivistin brutal auf eine Tischtennisplatte drücken und ihr auf den Kopf schlagen. Drei andere BeamtInnen schubsen einen Mann zur Seite. AktivistInnen schreien „Loslassen, aua, Sie tun mir weh.“ Im Nachhinein bezeichnen sie das Ereignis als „Hofinvasion“.

Laut Finanzbehördensprecher Daniel Stricker war „nicht damit zu rechnen, dass die BesetzerInnen den Forderungen der EigentümerInnen widerstandslos nachkommen würden“, begründet er den massiven Polizeieinsatz zum Errichten des Bauzauns. Obwohl sie einen Mietvertrag hatten, blieben die MieterInnen in den Augen der Behörde BesetzerInnen. Den Großeinsatz wertet Stricker auch noch im Nachhinein als „erforderlich und in Art und Umfang gerechtfertigt“. Polizei und Innenbehörde äußern sich gar nicht zu dem Fall.

Am Tag der Eskalation errichten Bauarbeiter unter Polizeischutz einen zweieinhalb Meter hohen Holzzaun, der das Koze von den anderen Gebäuden abschirmt und permanent bewacht wird. So stehen sich AktivistInnen und PolizistInnen 40 Tage lang gegenüber. Ab und zu sind Handwerker hinter den Schulfenstern zu sehen. Am Ende werden die Gebäude bis auf ein denkmalgeschütztes und das Kitagebäude abgerissen. Das Grundstück hat ein Investor gekauft, der einen Neubau mit teuren Miniapartments plant. Dass wirklich Asbest entfernt wurde, bezweifeln die AktivistInnen. Finanzbehörde-Sprecher Stricker stellt „ein für alle Mal klar: In den Bestandsgebäuden wurde Asbest gefunden und auch entsprechend saniert“.

Gerrit Onken, der Anwalt der Koze-Aktivistin, die nun vor Gericht steht, hält den Polizeieinsatz für „grundlos und völlig aus dem Ruder gelaufen“. Die Finanzbehörde sei gar nicht befugt gewesen, sich mit Polizeigewalt Zugang zu verschaffen. Der Anwalt vergleicht das mit MieterInnen einer Wohnung, die ihre Räder im Treppenhaus anschließen: „Da kann der Vermieter auch nicht, anstatt das Gespräch zu suchen, mit dem BFE kommen und die Räder wegflexen.“

Dass nun MieterInnen auf der Anklagebank sitzen, sei absurd. Was seitens der Stadt falsch gelaufen sei, frage niemand.

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