Frankreichs Links- und Rechtspopulismus: Im Namen des Volkes

Ideologisch berühren sich die Extreme Mélenchon und Le Pen nicht. Aber die von ihnen mobilisierten Gefühle überschneiden sich.

über einer Menschenmenge flattert eine französische Flagge

Für das Volk wollten im französischen Wahlkampf viele sein Foto: dpa

Mit Marine Le Pens Teilnahme an der Stichwahl am 7. Mai hat der Rechtspopulismus einen Sieg errungen. Sie hat die Wut der Zukurzgekommenen mit Erfolg instrumentalisiert. In deren Augen verkörpert sie – und nicht die Linksparteien – die Antwort auf Globalisierung, Krise und Machtlosigkeit. Das ist ein tragisches Missverständnis. Auf diesen Rechtspopulismus versucht Jean-Luc Mélenchon auf derselben Ebene zu antworten, um die Kritik der Oligarchie und der Eliten nicht der Demagogie der extremen Rechten zu überlassen. „Linkspopulismus“ gegen Rechtspopulismus, ist das die richtige Strategie?

Natürlich hieß es im Verlauf der Wahlkampagne in Frankreich sofort: „Les extrêmes se touchent“ (Die Extreme berühren sich). Zwei Kandidaten, die doch eigentlich fast alles trennt, sind von Medien in denselben ideologischen Topf geworfen worden: die Rechtsextremistin Le Pen und der Linke Mélenchon.

Politisch ist das Unsinn, weil die Zielsetzungen der beiden grundlegend verschieden sind, doch lassen sich im Stil des Auftretens und in der Methode, sich vorab an verzweifelte oder enttäuschte Wähler zu wenden, doch auch Parallelen finden. In polemischer Übertreibung lässt sich behaupten, mit der „Frexit“-Drohung gegenüber Europa oder im Blick auf Putin oder Syrien hätten die beiden dieselbe Haltung.

Nicht die Ideologien, aber die Wählerschaft überlappen

Es ist nicht erstaunlich, dass eine beträchtliche Zahl von WählerInnen, die sich von den etablierten Parteien und den generell als korrupt betrachteten Politikern verraten fühlen, zwischen Le Pen und Mélenchon schwankten. Der Chef der „Unbeugsamen“ hat in der Schlussphase der Kampagne nicht nur Linkswähler des Sozialisten Benoît Hamon hinzugewonnen, sondern zweifellos auch den Wahlanteil der FN-Chefin geschmälert.

Das wäre aus linker Sicht ja zu begrüßen. Vor der Stichwahl am 7. Mai spielen angeblich rund 20 Prozent der Mélenchon-Wähler mit den Gedanken, für Le Pen zu stimmen. Die Extreme berühren sich nicht ideologisch, aber die Wählerschaft kann sich teilweise überschneiden.

Ausgehend von der Feststellung, das Volk sei weitgehend manipuliert und von den Entscheidungen ausgeschlossen, erhebt der Populismus den Anspruch auf eine radikale oder direkte Demokratie: „Au nom du Peuple“ stand auf den Plakaten von Marine Le Pen vor dem ersten Wahlgang. Sie fordert so Legitimität und den Anspruch der Repräsentation. „Im Namen des Volks“ werden aber Gerichtsurteile gefällt.

Beide Wählerschaften rufen den Slogan des Arabischen Frühlings: „Dégagez!“ (Haut ab!)

Diese Anspielung ist nicht zufällig, denn mit der Eroberung der Macht möchte die Kandidatin des rechtsextremen Front National (FN) ihr „Jüngstes Gericht“ halten und alle Verantwortlichen, die sie zu Volksfeinden erklärten, zum Teufel jagen. In ihrer Bewegung findet so ausgerechnet der Slogan des Arabischen Frühlings, „Dégagez!“ (Haut ab!), ein Echo. Dieser Ruf befriedigt in Le Pens Demagogie revanchistische Ressentiments gegen die wirtschaftlich, kulturell und politisch Herrschenden.

„Haut ab, haut ab!“

In ihrem emotionalen Kern enthält diese politisch instrumentalisierte Wut ein unberechenbares Gewaltpotenzial. Denn dieser populistische Volksbegriff ist meist nicht nur nationalistisch oder sogar rassistisch, er ist vor allem ausgrenzend. Für Marine Le Pen sollen die Immigranten und alles, was sie ihnen (wie namentlich den Islam) an kulturellen, religiösen und sozialen Störfaktoren anlasten möchte, draußen bleiben.

Ohnmachtsgefühle mobilisiert auch Mélenchon gegen die etablierte Ordnung. In seinen spektakulären Auftritten vor Tausenden und manchmal Zehntausenden fordert er den demokratischen Umsturz mittels Wahlen, aber auch Rechenschaft.

Seine Zuhörer rufen „Dégagez, dégagez!“ wie die Demonstranten in Tunesien, die den Diktator Ben Ali stürzten. Wenn Mélenchon explizit die „Sansculotten“ der Revolution von 1789 als sein Vorbild nennt, denkt man unweigerlich an die Guillotine. Das lenkt von den reellen Herrschaftsmitteln und somit der eigentlichen Machtfrage auf einen mehr empfundenen als analysierten Antagonismus des Volks gegen die Elite oder „Ihr da oben, wir da unten“.

Was ist das Gemeinsame der von Mélenchon und Le Pen angesprochenen Emotionen? Es sind Gefühle der Ohnmacht, der Wut, der Angst. Es ist aber auch eine Konfrontation des Irrationalen gegen die eine Rationalität, die als Herrschaftsinstrument einer arroganten Kaste diskreditiert wird.

Teilhabe als linker Mythos

Nochmals zum „Volk“, das laut Mélenchon die Macht zurückerobern muss und das „mit seiner Kraft alle Hindernisse überwinden kann“: Der Kandidat ersetzt hier das marxistische Konzept der klassenbewussten Proletarier als revolutionäres Subjekt durch einen Mythos: Die sozialen und wirtschaftlichen Interessengegensätze werden reduziert auf die Teilhabe an der Macht oder den Ausschluss von der Macht.

Von der Konvergenz der Widerstandsbewegungen (Arbeiterbewegung, Feminismus, Antimilitarismus, Umweltbewegungen . . .), welche die belgische Philosophin Chantal Mouffe in ihrer Befürwortung des „linken Populismus“ zur „Neuformulierung des sozialistischen Ideals als Radikalisierung der Demokratie“ bezeichnet, ist in Mélenchons Vorstellung einer Sechsten Republik wenig zu finden. Die vorhandenen basisdemokratischen Aspekte seiner Bewegung der „Unbeugsamen“, die an Podemos oder an die besten Momente von Nuit ­debout erinnern können, werden zudem durch die geradezu peinlichen Chef-Allüren des Kandidaten verfälscht.

Wie Mouffe meint Mélenchon schließlich, dass die nationale Identität zwangsläufig den Rahmen zur Verteidigung des Volks gegen die Globalisierung bildet. Er ist ein nationalstaatlicher Reformer, sein Patriotismus ist nicht bloß eine rhetorische Floskel. Die soziale Kritik an der Globalisierung aber kann nicht in einem protektionistischen Rückzug auf die nationale Dimension bestehen. Sie muss angesichts der globalen Interdependenzen internationalistisch und auch proeuropäisch sein. „Ein Programm, das auf dem Verzicht des europäischen Projekts beruht, ist dazu verdammt, im Chauvinismus oder gar Trumpismus zu enden“, hat der Philosoph Etienne Balibar dazu seiner Freundin Mouffe und dem Politiker Mélenchon zu bedenken gegeben.

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Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.

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