Französischer Kolumnist Siné geschasst: Ein unbeirrter Provokateur

Krach beim französischen Blatt "Charlie Hebdo": Der Zeichner und Kolumnist Siné muss gehen, nachdem er gegen den Sohn Sarkozys polemisiert hat. Gegner werfen ihm Antisemitismus vor.

Frauen in Burkas gehören erst seit ein paar Jahren zu Sinés Repertoire. Bild: Charlie Hebdo

Genug gelacht. Bei dem französischen Satireblatt Charlie Hebdo, einst Flaggschiff der libertären Linken, das zuletzt mit der Veröffentlichung der umstrittenen Mohammed-Karikaturen von sich reden machte, ist der prominenteste und dienstälteste Zeichner und Polemist geschasst worden. Siné, der seit dem Algerienkrieg scharf, politisch unkorrekt und in der Regel tief unter der Gürtellinie gegen Macht, Militär, Religion und Konventionen polemisiert, nahm in einer Kolumne den Sohn des französischen Staatspräsidenten ins Visier. Seine Kritiker haben daraufhin das schwerste mögliche politische Kaliber aufgefahren. Sie werfen Siné Antisemitismus vor. Seine Verteidiger halten dagegen: "Siné mag keine Idioten. Er ist ein Anarchist." Der Streit spaltet die Medien und die Pariser Intelligenzija. Er beschäftigt die Justiz und die rechte Regierung. Die Kulturministerin Christine Albanel hofft, dass Siné "verschwindet". Mehrere Petitionen wurden lanciert. Die Diskussion wird mit einem Eifer geführt, als handele es sich um eine neue Dreyfus-Affäre - 114 Jahre danach.

Auslöser waren ein paar Sätze in der Kolumne "Siné sème sa zone", in der der Karikaturist die Geschehnisse der Woche kommentiert. Am 2. Juli befasste er sich unter anderem mit dem 21-jährigen Sohn Sarkozys, der gerade seine Verlobung gefeiert hat. "Jean Sarkozy, würdiger Sohn seines Papas, sitzt schon im Regionalparlament. Und ist vor ein paar Tagen praktisch unter dem Applaus seiner Kumpel von einem Strafgericht freigesprochen worden, das ihn wegen Fahrerflucht vorgeladen hatte. Aber der Kläger war ja nur Araber. Das ist nicht alles: Jean Sarkozy hat erklärt, er wolle zum Judentum übertreten, bevor er seine Verlobte heiratet, eine Jüdin, Erbin der Darty-Haushaltsgeräte-Kette. Der Kleine wird es weit bringen."

Wie üblich war Sinés Text handgeschrieben und füllte eine breite Spalte vom oberen bis zum unteren Rand der drittletzten Seite des Blattes. Wie üblich war er mit ein paar kleinen Zeichnungen garniert. Zu dem ständigen Repertoire des 79-jährigen Maurice Sinet gehören Zeichnungen von Männern mit weit zum Schreien aufgerissenen Mündern. Kackende Hunde. Gespreizte Frauenbeine. Heruntergelassene Männerhosen. Nonnen sowie seit einigen Jahren in Burkas versteckte Musliminnen. Und ab und an ein bekanntes öffentliches Gesicht.

Die umstrittene Stelle über Jean Sarkozy. Bild: Charlie Hebdo

Eine Woche verging, bevor der Journalist Claude Askolovitch zuschlug. Askolovitch hat bereits mehrmals Antisemiten "enttarnt" - darunter den Philosophen Edgar Morin, den die Justiz inzwischen von jedem Vorwurf freigesprochen hat. In einer Radiosendung nannte er die Kolumne von Siné einen "antisemitischen Text in einem Blatt, das nicht antisemitisch ist". Der Text reproduziere das Stereotyp über Judentum plus Reichtum und Macht.

Damit nahm die Affäre ihren Lauf. Philippe Val, Chefredakteur von Charlie Hebdo, der jede Woche in einem Editorial seine Moral predigt - von der Unterstützung für Israel über die Rechtfertigung der Bomben auf Exjugoslawien bis hin zu einem Ja zur EU-Verfassung - verlangte eine "Entschuldigung" von Siné. Der konterte, er ließe sich "eher die Eier abschneiden", als vor den Sarkozys auf den Boden zu gehen. War aber bereit, sich bei jenen zu entschuldigen, die seine Worte als antisemitisch missverstanden haben könnten.

Doch als er erfuhr, dass sein Chefredakteur eine angeblich "einstimmige" Distanzierung der Charlie Hebdo-Redaktion neben seine Entschuldigung setzen wollte, machte Siné einen Rückzieher. Statt Entschuldigung und Distanzierung veröffentlichte Chefredakteur Val in der Folgewoche einen Text, in dem er erklärte, Siné habe "sich selbst aus Charlie Hebdo ausgeschlossen". Seine Kritik an Siné begründete der Chefredakteur so: Die Kolumne habe das "Privatleben" verletzt, sie habe sich zudem auf ein "Gerücht" gestützt und Charlie Hebdo riskiere eine Anzeige der Familie Sarkozy.

Zu der Anzeige der Sarkozys kam es nicht. Aus dem Umfeld der Präsidentenfamilie verlautete bloß, der Junior werde nicht zum Judentum konvertieren. Veröffentlicht hatte die Konversionsabsicht ursprünglich Patrick Gaubert, der Präsident der LICRA, der Liga gegen Antisemitismus und Rassismus. An diesem Donnerstag erstattete dieselbe LICRA Anzeige gegen Siné wegen Antisemitismus und Rassismus. Auch ohne Wortmeldung der Sarkozys ging der Streit in der kleinen Welt der Pariser Medien und bei den selbsternannten Vordenkern weiter. Und trieb kuriose Blüten. Als einer der Ersten meldete sich der in den Medien beliebte Philosoph Bernard-Henri Lévy zu Wort. In seinem Elan gegen Siné und andere "linke Antisemiten" rechnete Lévy auch mit zwei Verstorbenen ab: Pierre Bourdieu und Voltaire.

Ausgerechnet der Journalist Alexandre Adler, der in den 70er-Jahren der moskauorientierten KPF angehörte, warf dem Karikaturisten Siné, der seit seiner Jugend Anarchist ist, "Stalinismus" vor. Der Chefredakteur des linksliberalen Blattes Libération, Laurent Joffrin, schrieb im Eifer des verbalen Gefechtes von der jüdischen "Rasse". Nachdem sich Leser beschwerten, korrigierte Joffrin seinen Patzer in der Online-Ausgabe der Zeitung. Und die "ligue de défense juive", die der US-amerikanische FBI als "rechte terroristische Organisation" einstuft, jubelte, weil Charlie Hebdo den "Antisemiten Siné" entlassen habe. Seit Anfang August erhält Siné auch Morddrohungen. Darunter eine, die mit dem Namen eines der Anführer des Aufstandes im Warschauer Ghetto unterzeichnet ist.

Auf der anderen Seite geißeln Sinés Unterstützer eine "Hexenjagd", ein "Inquisitionstribunal" und eine "Fatwa" gegen den Karikaturisten. Die feministische Anwältin Gisèle Halimi, die den sexistischen Stil von Siné nie gemocht hat, schreibt über die "Psychose vom verfolgten Juden" und teilt Charlie Hebdo, das sie von Anfang an unterstützt hat, mit, dass sie die Zeitung "nicht mehr lesen will".

Der Komiker Guy Bedos wirft Chefredakteur Val vor, er sei "für Charlie Hebdo, was Sarkozy für Frankreich ist". Und der Kolumnist der Grünen-nahen Wochenzeitung Politis, Bernard Langlois erklärt: "Polemisieren ist gut und stärkend. Aber es gibt Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen. Die Anschuldigung Antisemitismus ist ein Angriff auf die Ehre." Der Karikaturist Plantu aus der Zeitung Le Monde glaubt, dass Charlie Hebdo mit dem Rausschmiss von Siné seine "größte Dummheit überhaupt" gemacht habe. Eine Zeitung wie Charlie Hebdo, so Plantu, "braucht Provokationen. Dazu gehört es, Ausrutscher zu akzeptieren."

Der Hauptbetroffene schreibt und zeichnet seine Kolumne unbeirrt weiter. Auch wenn Charlie Hebdo sie seit Juli nicht mehr veröffentlicht. Er werde, so versichert Siné, die Zeitung nur verlassen, wenn er "mit Bajonetten vertrieben" wird. Den Antisemitismusvorwurf weist er weit von sich: "Ich habe den Opportunismus und die Geldgier der Familie Sarkozy kritisiert. Hätte der Junior wegen einer Verlobten zum Islam übertreten wollen, hätte ich über den Islam geschrieben."

Im Hintergrund der Affäre sieht Siné den Konflikt zwischen "propalästinensischen und proisraelischen" Positionen. "Sie bringen Antisemitismus mit Antizionismus in Verbindung. Das ist ihr Schlachtross", sagt er über seine Gegenspieler. Und erklärt einen Teil der Verve mit "einem alten Schuldkomplex" vieler Franzosen: "Sie haben Besatzung und Kollaboration nicht verdaut." Tatsächlich habe sein Chefredakteur und politischer Gegner im Inneren von Charlie Hebdo nach einem Vorwand gesucht. Er habe ihn schon lange loswerden wollen, ist Siné überzeugt. Auch für das Eingreifen des Journalisten Askolovitch hat er eine Erklärung: Der mache demnächst ein Buch über Sarkozy Junior.

Nach der Sommerpause kommt eine Serie von Gerichtsverfahren auf den alten Zeichner und Polemisten zu. Er selbst hat unter anderem Anzeige gegen Askolovitch - wegen Verleumdung - erstattet sowie gegen Unbekannt - wegen Morddrohungen. Umgekehrt muss er sich möglicherweise gegen die Antisemitismusvorwürfe der LICRA vor Gericht verteidigen. "Frankreich heute ist furchtbar", klagt Siné, "wie Berlusconi und Putin zusammen. Oder wie die USA zu den Zeiten des McCarthyismus."

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