Frauen in der Pandemie: Die sozialen Verliererinnen

Der „Covid-19 Global Gender Response Tracker“ der UN sammelt Daten zu gendersensiblen Maßnahmen. Sie stimmen nicht gerade optimistisch.

Familienministerin Giffey mit dem Plakat vor einem Supermarkt

Mit einer Plakataktion will das Familienministerium auf Hilfsangebote aufmerksam machen Foto: photothek/imago

An der Tür und an der Kasse, manchmal auch versteckt zwischen Kleinanzeigen und Vermisstenanzeigen am schwarzen Brett hängt in vielen deutschen Supermärkten ein Plakat. „Zuhause nicht sicher?“ steht darauf. Und weiter: „Sind Sie akut von Gewalt zuhause betroffen oder kennen Sie jemanden, der von Gewalt betroffen ist?“ Versehen mit der Adresse der gleichnamigen Website sind die Plakate der Aktion „Stärker als Gewalt“ des Familienministeriums, um insbesondere von Gewalt betroffene Frauen auf Hilfsangebote aufmerksam zu machen.

Seit Ende April hängen sie in Einkaufszentren und 26.000 Supermärkten großer Ketten. Eine Reaktion der Bundesregierung auf den Anstieg der Fallzahlen von häuslicher Gewalt in Coronazeiten.

Eine notwendige Aktion, denn schon zu Beginn der Pandemie zeichnete sich ab, dass Frauen unter Covid-19 besonders leiden werden. Die Sterblichkeitsrate ist zwar unter Männern höher, doch Frauen sind die sozialen Verliererinnen der Pandemie.

Und das liegt nicht nur an der Zunahme von Gewalt, sondern auch daran, dass Frauen in tradierte Rollen zurückgedrängt werden: Die Frau als Mutter, als Fürsorgerin und Haushälterin. Denn wenn Kindergärten und Schulen schließen, sind es größtenteils sie, die die Kinderbetreuung übernehmen. Genauso sieht es bei der Pflege von Angehörigen und der Hausarbeit aus. Erste Studienergebnisse der letzten Monate zeigen, dass sich die Befürchtungen eines Backlashs im Kampf um Gleichberechtigung bewahrheiten.

Erkenntnisse aus früheren Pandemien

Dass Frauen stärker unter Pandemien leiden, haben schon Erhebungen zur wirtschaftlichen Entwicklung auf Gleichberechtigung nach Ebola oder Sars gezeigt. Demnach finden Männer nach einer Krise deutlich schneller zu ihrem eigentlichen Einkommen zurück als Frauen. Um den genannten Problemen entgegenzuwirken, müssen also schon während einer Pandemie Maßnahmen ergriffen werden, die Frauen schützen und fördern. Doch haben die Staaten aus vorherigen Krisen gelernt und wenden das Gelernte in Coronazeiten an? Das versucht der „Covid-19 Global Gender Response Tracker“ herauszufinden.

Hinter dem sperrigen Namen versteckt sich eine digitale Plattform mit Daten aus 206 Ländern und Territorien. UN Women und das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen haben hierfür 2.500 pandemiebedingte Maßnahmen auf ihre Gendersensibilität hin untersucht. Um herauszufinden, wie der Schutz von Frauen aussieht, wurden drei Bereiche in den Blick genommen: Gewalt, unbezahlte Pflegearbeit und wirtschaftliche Sicherheit.

Die positive Erkenntnis aus dem Tracker ist, dass viele Länder und Territorien Maßnahmen ergriffen haben. „Gerade im Hinblick auf häusliche Gewalt ist in den vergangenen Monaten viel passiert. Fast 70 Prozent aller gendersensiblen Maßnahmen sind diesem Sektor zuzurechnen, dazu zählen etwa Hilfetelefone sowie der Ausbau von Frauenhäusern oder Notunterkünften“, sagt Silke Staab von UN Women, die maßgeblich an der Erstellung des Trackers beteiligt war, der taz.

In Indien wurde beispielsweise eine Whatsapp-Nummer eingerichtet, an die man sich wenden kann, wenn man häusliche Gewalt erfahren hat. In Deutschland zählt die eingangs erwähnte Plakataktion in Supermärkten dazu.

Unzureichende Programme

Doch in den anderen beiden Bereichen sehe die Lage unzureichend aus, sagt Staab. Nur 25 Länder haben Maßnahmen geschaffen, die alle drei Aspekte berücksichtigen – Argentinien ist eines davon. Viele Länder des afrikanischen Kontinents haben sich zwar um die wirtschaftliche Absicherung von Frauen gekümmert, den Bereich der Carearbeit aber eher vernachlässigt.

Ein Beispiel: Nigeria hat ein Förderprogramm entwickelt, mit dessen Hilfe sich Frauen im Bereich der digitalen Unternehmungsgründung weiterbilden können. Das Ziel ist es, dass Frauen die Produkte, die sie schon vor der Pandemie verkauft haben, nun digital vermarkten können.

Wenn es um den Bereich der Fürsorgearbeit geht, sind Spanien, Chile oder Südkorea Positivbeispiele, denn in diesen Ländern wurde die Elternzeit verlängert. In Polen bekommen Eltern 14 zusätzliche freie Tage zur Kinderbetreuung, wenn Kindergärten oder Schulen geschlossen sind. Und in Deutschland wurde im Rahmen des Corona-Konjunkturpakets Eltern ein Kinderbonus in Höhe von 300 Euro pro Kind zugesichert.

Problematisch sei, so Staab, dass meist nur Länder, die im Vergleich ein ohnehin schon relativ stark ausgebildetes soziales Sicherungssystem haben, Maßnahmen im Bereich der Fürsorge ergriffen haben.

Kein tatsächliches Bild der Benachteiligung

Wie die Lage für Frauen vor der Pandemie war und auch wie stark das jeweilige Land von Corona betroffen ist, rechnet der Tracker jedoch nicht mit ein. Genauso wenig, wie nachhaltig die Maßnahmen sind: Denn nicht die Anzahl der Maßnahmen ist ausschlaggebend. So kann eine einzelne Strategie wirkmächtiger sein, als viele kleine Linderungsversuche.

Nachdem der Tracker Ende September an den Start gegangen ist, soll er nun fortlaufend aktualisiert werden. Obwohl er eher eine Zustandsbeschreibung der ergriffenen Maßnahmen liefert als ein tatsächliches Bild der Benachteiligung von Frauen durch Covid-19, setzt die UN große Hoffnung in ihre Datensammlung.

„Wir hoffen einerseits, dass der Tracker Lücken aufzeigt, die in bestimmten Ländern noch bestehen. Doch vor allem soll er Positivmaßnahmen dokumentieren“, sagt Staab. Frauenorganisationen, Aktivist:innen und Regierungen können so sehen, welche Maßnahmen der Staat bisher ergreift und sich von anderen Ländern inspirieren lassen, welche Mittel und Wege möglich sind.

Ein Aspekt, der in der Untersuchung vernachlässigt wurde, ist die zunehmende digitale Gewalt, der Frauen ausgesetzt sind. Durch den Digitalisierungsschub, der weltweit während Covid-19 stattgefunden an, sind neue Gewaltformen aufgetaucht und bestehende wurden verstärkt. Darunter fallen etwa Hatespeech oder Zoombombing, also das Unterbrechen von Videocalls durch rassistische und pornografische Inhalte. In Australien soll sich während des Lockdowns die Anzahl digitaler Erpressungen mit Nacktbildern vervierfacht haben.

Mehrfachdiskriminierungen nicht erfasst

Klar ist, nicht nur Frauen leiden unter der Coronakrise. Diskriminierende Strukturen an sich werden in der Pandemie verstärkt, heißt: Wer von Ableismus, Rassismus oder Klassismus betroffen ist, spürt die Diskriminierung in der Pandemie in vielen Bereichen noch stärker. Das müsste auch in den Maßnahmen der Staaten berücksichtigt werden.

Inwiefern sich die Maßnahmen gezielt an Mehrfachdiskriminierte wenden, könne man aber mit der jetzigen Datenlage nicht untersuchen, so Staab: „Es gibt zwar einige Aktionen, die gezielt die LGBTIQ-Community oder beispielsweise Frauen im ländlichen Bereich in den Blick nehmen; doch häufig gibt es überhaupt nicht genügend Details über die Maßnahmen, um zu gucken, ob eine Gruppe davon besonders profitiert oder sie sich beispielsweise spezifisch an Schwarze Frauen richtet.“

Die gewaltige Datenmenge der Plattform hinterlässt einen nicht sonderlich optimistisch, offenbart der Tracker doch einige Lücken. Zudem sollte das Ziel nicht sein, den Status quo von vor der Pandemie zu erreichen – denn gerade Corona hat erhebliche Mängel in der (unbezahlten) Pflegearbeit oder in der Vereinbarkeit von Lohn- und Carearbeit aufgezeigt. Doch für eine weltweite Verbesserung der Situation von Frauen reichen die bisherigen Maßnahmen vermutlich nicht aus. Zudem ist ein Ende der Pandemie noch lange nicht in Sicht.

Maßnahmen, die helfen sollen die Übertragung des Virus einzudämmen, können die Problematik für Frauen weiter verstärken. Staab sieht in der Krise jedoch auch eine Chance: „Ich hoffe, dass die Staaten beginnen, ihre Maßnahmen für mehr Gleichberechtigung nicht als Ausgaben zu sehen, die verpuffen. Investitionen in die Kinderbetreuung, in das Gesundheitssystem oder die Altenpflege sind Investitionen in die Zukunft. Und helfen am Ende allen.“

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