„Free Fighter“ gegen Nazis: Ring frei von Braunen

In Essen soll der Hauptkampf beim größten deutschen Free-Fight-Event stattfinden. Nun wurde bekannt, dass einer der Kämpfer aus der Nazi-Szene kommt.

Techniken aus allen Kampfsportarten sind erlaubt: Ben Boekee vs. Andreas Bernhard bei „Respect 4“. Bild: Marieke / www.mixfight.nl

BERLIN taz | Es sollte der Hauptkampf des Abends werden. Titelverteidiger Sebastian Risch aus Bremen sollte antreten gegen den bislang ungeschlagenen Benjamin Brinsa aus Leipzig. Die Disziplin: Mixed Martial Arts (MMA), in Deutschland besser bekannt als Free Fight.

Durch professionelle Organisation und spannende Kampfpaarungen hat Veranstalter Ben Helm dafür gesorgt, dass die „Respect Fighting Championship“ zur größten deutschen MMA-Veranstaltung gewachsen ist. Für den Abend des 21. April in der Essener Eishalle rechnet Helm mit rund 3.000 Zuschauern.

Doch auf Benjamin Brinsa werden sie verzichten müssen. Am Donnerstag vergangener Woche tauchte plötzlich im „Kampfkunstboard“, einem Internetforum der Kampfsportszene, ein anonymer offener Brief auf, überschrieben: „Nazis beim Respect Fighting Championship 7?“. Darin: Hinweise darauf, dass Benjamin Brinsa seit Jahren der Leipziger Hooligan-Szene rund um den Verein Lokomotive Leipzig angehört – und die unterhält enge Verbindungen zur Nazi-Szene.

Mixed Martial Arts, zu deutsch: gemischte Kampfkünste, ist eine Kombination aus allen Kampfsportarten. Elemente kommen aus dem Boxen sowie Kick- und Thaiboxen, Taek Wan-Do, Ringen, Brazilian Jiu-Jitsu, Ringen, Judo und anderen Kampfsportarten. MMA-Wettkämpfe folgen einem Regelwerk, das abgestuft nach dem Leistungsstand der Kämpfer und unterteilt in Profi- und Amateurbereich unterschiedlich viele Techniken zulässt. Grundsätzlich gilt aber: Der Kampf wird sowohl im Stand als auch am Boden geführt, und auch am Boden sind Schlag- und mit Einschränkungen Tritttechniken erlaubt. In der Regel geht ein Kampf, der im Ring oder im meist achteckigen Käfig (Cage) geführt wird, über 3 x 5 Minuten, Titelkämpfe über 5 x 5 Minuten. Der Kampf endet vorzeitig, wenn ein Kämpfer sich nicht mehr intelligent verteidigen kann, KO geht oder durch Abklopfen ("tappen") seine Aufgabe signalisiert, etwa, wenn er sich aus einem Hebel- oder Würgegriff nicht befreien kann.

Der Sport hat in den letzten Jahren auf der ganzen Welt immer mehr Anhänger gefunden. Führende Wettkampf-Organisation ist die US-amerikanische "Ultimate Fighting Championship" (UFC). In Deutschland gibt es eine Vielzahl zumeist kleinerer Kampfveranstaltungen, die sich allerdings häufig einer Vielzahl von Auflagen ausgesetzt sehen, etwa, dass die Zuschauer mindestens 18 Jahre alt sein müssen. Immer wieder auch fordern Politiker und Medien ein Verbot von MMA, weil sie diesen Vollkontaktsport für zu brutal halten. Doch die Verletzungsrate, neben gelegentlichen Cuts, wie sie auch beim Boxen vorkommen, ist gering, und die Kämpfer pflegen untereinenander in der Regel einen freundschaftlichen und fairen Umgang.

In einem Beitrag des ARD-Magazins „Kontraste“, den der anonyme Schreiber ebenfalls verlinkt, erklärt ein vermummter Hooligan den Hass auf Juden, Ausländer und Schwarze. Ein Vergleich von Sprache und Stimme mit einem Interview des Kämpfers Benjamin Brinsa legt nahe: Es ist derselbe Mann.

Veranstalter Ben Helm zögerte zunächst. Im „Kampfkunstboard“ erklärte er: „Einem in der Öffentlichkeit neofaschistisch oder rassistisch auftretender Kämpfer werden wir bei RESPECT.FC keinen Raum geben,“ zitierte aber gleichzeitig aus einer Erklärung, die Brinsa ihm gegenüber abgegeben hatte – darin weist er die Vorwürfe zurück und erklärt, mit Nazis nichts zu tun zu haben. Helm beließ ihn auf der Fight Card.

„Ultras Lok – Nationaler Widerstand“

Es dauerte allerdings nur einen Tag, bis die Schwarmintelligenz des Netzes weiter recherchiert hatte. Zutage kam: Leipziger Antifa-Aktivisten haben über Brinsa schon mehrfach geschrieben und auch Fotos veröffentlicht. Auf einem sieht man ihn in einer Gruppe Männer hinter einem „Fan“-Plakat: „Ultras Lok - Nationaler Widerstand“. Deutlicher kann es kaum noch gehen, sollte man meinen.

Doch, das geht. Denn Brinsa, wie aus dem Handelsregister beim Leipziger Amtsgericht hervorgeht, ist auch eingetragener Geschäftsführer der Firma A&B Service UG, die verantwortlich für die Website einer „Aryan Brotherhood“ (Arische Brüderschaft) zeichnet. Mitgeschäftsführer ist Thomas Persdorf – und spätestens an diesem Punkt ist die Ebene der Nazi-Prominenz erreicht, denn Persdorf hat nicht nur eine Textildruckfabrik, in der rechte Kleidung hergestellt wird, sondern war auch Inhaber von Front Records, einem führenden Vertrieb von Nazi-Musik, Kleidung und sonstigen rechten Assessoires.

Jetzt reichte es Ben Helm. Am Montag dieser Woche entschied er, Brinsa von der Fight Card zu nehmen. Gegenüber der „taz“ ärgert er sich über sich selbst: „Ich wollte vorher offensichtlich ein paar Sachen nicht ganz sehen,“ gesteht Helm zerknirscht. Die gute Kampfbilanz, die sportlichen Erfolge Brinsas, seien ihm wichtiger gewesen. Gerüchte über Brinsas Verflechtung zur Hool-Szene habe er nicht ernstgenommen, bedauert er und sagt: „Ich hätte ihn gar nicht erst nehmen sollen.“

Kein Bock auf Nazis

Denn er habe „absolut keinen Bock auf Nazis, weder im Ring noch im Publikum“. Helm kennt die Vorurteile, die dem MMA-Sport in Deutschland entgegenschlagen. Immer wieder werden kurzfristig öffentliche Hallen, die für MMA-Veranstaltungen fest gebucht waren, abgesagt, zuletzt im Februar in Bremerhaven.

Immer wieder auch schreiben die Medien, allen voran die Springerpresse, von MMA als modernem Hahnenkampf brutaler Schlägertypen, die sich schlagen und treten, bis das Blut spritzt, unter dem Gejohle der verrohten Zuschauer. Mit dem Sport hat als das nichts zu tun, aber Nazis im Ring – das geht gar nicht.

In den Netzdiskussionen der MMA-Szene wurde der Rausschmiss Brinsas überwiegend positiv kommentiert. Das einflussreiche Magazin Groundn‘Pound, das mehrfach sehr positiv über den Kämpfer geschrieben hatte, erklärte: „Aufgrund der derzeit vorherrschenden Faktenlage begrüßt Groundandpound.de die Entscheidung von Respect. Jegliche Art von politischem Extremismus, Rassismus und Antisemitismus hat im Kampfsport nichts zu suchen.“

Das fanden auch andere Kämpfer. Zwei derjenigen, die am 21. April in Essen Kämpfe bestreiten werden, hatten gegenüber der „taz“ klar erklärt, wenn Brinsa komme, würden sie nicht antreten. Auf Nazis beim MMA, das ist in der ganzen Debatte deutlich geworden, hat die Szene wirklich keine Lust.

Einen Titelkampf wird es am 21. April trotzdem geben. Neuer Herausforderer von Sebastian Risch ist Nico Penzer, ein sympathischer Student und Spezialist des Brazilian Jiu-Jitsu aus Stuttgart.

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