Freies Radio: Hauptsache auf Sendung

Das temporäre Herbstradio ist abgeschaltet, nun geht Pi-Radio on air. Mit einem Pogramm zum Thema "Verwertung" zeigten die Aktivisten, wie freies Radio klingen könnte.

Ein olles Radiogerät oder ein Pi-Radio? Weiß man erst, wenn man am Knöpfchen dreht Bild: Reuters

"Es sieht so aus, als ob wir einen Riesenmüllblock bauen." Mit diesem für Uneingeweihte möglicherweise seltsam klingenden Satz beginnt die Programmplanung. Ungewöhnlich sind auf jeden Fall die Umstände, unter denen die Vorbereitung eines Radioabends anläuft: Johannes Wilms sitzt mit einigen Gleichgesinnten entspannt auf einer Bank in der Abendsonne und beginnt zu konkretisieren, welche Sendungsinhalte im Angebot sind - anderthalb Stunden bevor es losgehen soll.

Es ist Dienstag, einer von zwei Wochentagen, an denen Pi-Radio auf dem zu Pfingsten von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg gestarteten Sender für nichtkommerzielle Radiogruppen 88.4 das Abend- und Nachtprogramm bestreitet. Pi-Radio ist der langfristig angelegte Nachfolger vom nur temporär erlaubtem Herbstradio und somit das Sammelbecken kleinerer Radiogruppen der Stadt. Unter gleichem Namen gab es schon 1998 freies Radio, doch damit besteht kein Zusammenhang. Laut Wilms wurde der Name gewählt, da mit Bezug auf die Zahl Pi, die "unberechenbare Konstante", und auf das gleichnamige Projekt von früher zum Ausdruck gebracht werde, dass der Wunsch nach einem freien Radio immer noch nicht erfüllt ist, trotz 88.4.

Wilms macht seit 20 Jahren in verschiedenen Städten freies Radio. In Berlin hat er in den letzten Jahren an Projekten wie Juniradio, Radioriff auf Reisen, Radiotesla und reboot.fm teilgenommen, auch im Rahmen der mittlerweile inaktiven Radiokampagne e. V. Bei Bootlab, einem Verein zur Förderung von freier Medienarbeit, engagierte er sich für die Schaffung eines freien Radios. Im Berufsleben unterrichtet der Quereinsteiger, dem seine über 40 Lenze nicht anzusehen sind, Deutsch und Geschichte an einer Gesamtschule.

Für den heutigen Abend hat er mit anderen ein - selbst für die Verhältnisse von Pi-Radio - alternatives Programm angedacht. Zu einem Überthema sollen verschiedene Gruppen und Einzelpersonen gemeinschaftlich Radio machen, ohne dass es feste Sendeplätze gäbe. Gewollt sind fließende Übergänge.

Im Kellerlokal

In einem Kellerlokal der Lottumstraße befindet sich das Studio. Schon kurz nach Sendebeginn hat sich ein Dutzend Leute eingefunden. Sie stehen oder sitzen im Studio, im Vorraum, oder draußen herum. Allzu leise muss es dabei nicht sein. Die Kondensatormikrofone im Studio erlauben es sogar, dass die Studiotür die ganze Zeit offen steht.

Überthema des Abends ist "Verwertung", ein bewusst offen gehaltener Begriff. Zufällig ergibt sich der angesprochene "Müllblock". So sind Beiträge zu hören zum Müllproblem von Mexiko-Stadt und zur angeblichen ökologischen Notwendigkeit, WCs durch Kompostklos zu ersetzen. Diskutiert wird über die "Abwrackprämie", die die Bundesregierung 2009 zur Ankurbelung des Autoabsatzes eingeführt hatte, und über die Frage, ob es zutreffend ist, uns in einer "Wegwerfgesellschaft" leben zu sehen.

Wenn Musik läuft, werden die nächsten Beiträge erläutert und die Ideen für die nächsten Sendungen. Das Programm entsteht faktisch spontan. Wer das Studio verlässt, führt eventuell die in der Sendung begonnene Diskussion draußen weiter. Bertolt Brecht war von den partizipativen Möglichkeiten des Radiomachens so angetan, dass er auf den "großartigsten Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens" hoffte. Hier wird etwas Derartiges im Kleinen vorgeführt.

Nach einer Stunde gönnt sich auch Johannes Wilms eine Pause. "Es ist ein bisschen wie Open Space. Wer kommt, macht was", erläutert er. Dazu passend beginnt nun die Klärung der Frage, wer eigentlich wie lange bleibt.

Drinnen läuft mittlerweile auf Englisch und Deutsch eine Musiksendung zu Sampling, Remix und Cover - es wird also stilübergreifend musikalische Wiederverwertung behandelt. Später wird das von einem Radioaktivisten mitorganisierte interdisziplinäre Kunstfestival "Verwertung" vorgestellt, das bis Sonntag in den Katakomben des Stadtbads Wedding laufen wird. Um Mitternacht fängt die Gruppe Toysrnoise aus dem französischen Lille an, ihre vielen elektronischen Geräte aufzubauen. Sie ist für besagtes Festival nach Berlin gekommen und soll nun auch im Radio vorführen, wie Kinderspielzeug elektronisch manipuliert (bzw. wiederverwertet) klingen kann.

Angesichts solch eines bunten Programms und des "Herzbluts", das laut Wilms viele Menschen in freies Radio investieren, ist es schade, dass es so schlecht zu empfangen ist. Andreas Jerumin von den Radiopiloten, an diesem Abend für einige Stunden an der Technik, klagt: "Unsere Hörerschaft kann uns nicht hören." Ein allgemeines Problem sei, dass der Berliner Frequenzraum voll sei. Und: "Die großen Stationen brezeln wie die Verrückten." Sie hätten nicht nur hoch stehende Antennen, sondern sendeten mit mehreren tausend Watt.

Elektra Wagenrad schaltet sich ins Gespräch ein und ruft eine Internetseite auf, wo die jeweiligen Sendeleistungen und Antennenpositionen der Berliner Radiosender aufgelistet sind. Demnach sendet die 88.4 mit 0,5 Kilowatt (kW) von einem nicht besonders hohen Standort. Die anderen Sender, seien sie öffentlich-rechtlich oder privatwirtschaftlich betrieben, senden hingegen vor allem von Fernseh- und Funkturm, und das in den meisten Fällen mit einer Leistung von 80 bis 100 kW.

Schlechter Empfang

Star.FM sendet zwar nur mit 1 kW, mache der 88.4 aber sehr zu schaffen, so Elektra. Seine Antenne steht nämlich ebenfalls auf dem Fernsehturm, und da er die Nachbarfrequenz zur 88.4 hat, komme es zu "Intermodulationen", bei denen das "überlegene" Signal das andere behindert.

Über Internet war die 88.4 noch nicht zu hören. Steffen Meyer von der mabb kündigt allerdings auf taz-Anfrage an, das sei ab Freitag möglich.

So gut, wie der Kommunkationsapparat Pi-Radio in sozialer Hinsicht ist, muss er es in technischer also noch werden.

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