Freiraumplanung: "Alt und jung gemeinsam"

Auch in Zeiten knapper Mittel müssen Freiflächen im Dialog mit der Bevölkerung gestaltet werden, fordert Landschaftsarchitekt Sven Hübner. Dabei muss immer mehr unter einen Hut gebracht werden.

taz: Herr Hübner, warum müssen Freiräume in der Stadt gestaltet werden?

Sven Hübner: Der demografische Wandel hat massive Auswirkungen auf die Lebensbedingungen in den Städten. In den dicht besiedelten Wohnvierteln Berlins sind Freiräume eher knapp, anders als etwa in schrumpfenden Stadtquartieren, wo oft Nutzer für zusätzliche Freiflächen gesucht werden. Die öffentlichen Räume für Jung und Alt müssen alltagstauglich gestaltet werden, auch um die Abwanderung junger Familien in den Speckgürtel zu verhindern und um die Älteren im Kiez zu halten.

Anerkannt ist inzwischen, dass Planung nicht mehr rein "von oben" kommen darf, sondern Anwohner beteiligt werden. Wie kann das gehen?

Zunächst ist ein neues Verständnis von Planung in den Stadtquartieren erforderlich. Die Behörden können nicht einfach Grünflächen zur Verfügung stellen, sondern es muss genau geschaut werden: Was braucht denn das Wohnquartier? Wer lebt dort? Und was will er oder sie? Welche gemeinsamen Interessen gibt es? Und was können die Bewohner beitragen, um Freiräume attraktiv zu gestalten und zu beleben?

Was wollen die Bewohner?

Die Älteren brauchen barrierefreie Zugänge und Freiräume im näheren Wohnumfeld. Bewohner- und Altersgruppen dürfen nicht das Gefühl haben, aus öffentlichen Räumen verdrängt zu werden - deswegen sind nur Spielplätze nicht die Lösung. Der Austausch zwischen den Generationen gewinnt an Bedeutung. Daher sollte auch geschaut werden, wo es Gemeinsamkeiten gibt für Jung und Alt. Ein gelungenes Beispiel sind die neuen Bewegungselemente am Nauener Platz im Wedding, die von allen für alle entwickelt wurden. Jugendliche sind die am schwersten zu erreichende Gruppe. Für sie gibt es Ideen, etwa WLAN-Gebiete in Grünanlagen zu schaffen, damit sie sich mit ihren Laptops auf Parkbänke setzen und surfen können.

Dann wollen die Kleinen Fußball spielen, die Großen eine Ruheoase und die Alten ein Schachbrett. Es muss ziemlich schwierig sein, diese Bedürfnisse unter einen Hut zu bringen.

Ja, daher ist es wichtig, die Bewohner so früh wie möglich zu beteiligen. Nicht den Siegerentwurf präsentieren, dem man zustimmen oder ablehnen kann. Beteiligung heißt auch Mitmachbaustelle.

Das muss doch sicher von der Politik unterstützt und von der Verwaltung intensiv begleitet werden?

Ja, da muss erst einmal investiert werden, schließlich ist das eine Zukunftsaufgabe. Außerdem muss die Zusammenarbeit mit den Bürgern geübt werden. Die Verwaltung muss sehen, wie sie Initiativen betreut, die engagierten Bürger müssen lernen, verbindlich und zuverlässig zu handeln. Absprachen müssen eingehalten werden. Sinnvoll ist bei diesem Prozess ein externer Moderator, der die beteiligten Parteien aufeinander abstimmt und in Konfliktfällen vermittelt.

Wie soll das gehen in Zeiten immer klammer werdender Haushaltskassen?

Auf der einen Seite steigen mit dem Wandel der Stadtgesellschaft die Anforderungen an den öffentlichen Raum und bürgerorientierte Planung wird ernsthaft gewünscht, auf der anderen Seite verringern sich die finanziellen Handlungsspielräume der Städte. Ohne eine entsprechende Prioritätensetzung für Planungsprozesse, Baukultur sowie für Pflege und Unterhalt in der Mittelverteilung der städtischen Haushalte werden die Aufgaben nicht zu lösen sein. Gleichzeitig zeigen die bisherigen Forschungsergebnisse, dass durch die Aufwertung öffentlicher Freiräume auch Privatmenschen eher bereit sind zu investieren. Außerdem steigt die Wohnzufriedenheit, wenn sich die Bewohner mit ihrem Quartier identifizieren. Dieser Mehrwert wird sich allerdings kaum monetär bewerten lassen.

Und wenn wegen fehlender Mittel erst einmal eine Brache bleibt?

Auch das kann funktionieren, die Stadt braucht ja auch räumliche Pausen. Beim Wriezener Freiraumlabor an der Warschauer Straße etwa haben die Anwohner und die Beteiligten gesagt: Wir wollen nicht darauf warten, bis der Bebauungsplan umgesetzt wird und an der Stelle des Wriezener Bahnhofs ein Park gebaut wird. Wir nutzen und gestalten die Brache jetzt und lassen den Park schrittweise in bürgerschaftlicher Initiative wachsen. Dabei soll der urwüchsige Charakter dieser Stadtbrache nicht überformt werden - die Konzepte haben sich angepasst.

Macht der ganze Aufwand Sinn?

Auf jeden Fall, wenn man die Dimensionen der demografischen Entwicklung in der Stadt bedenkt: Der Anteil der Bevölkerung, der älter als 60 Jahre ist, wächst, und die Senioren wollen nicht ausgegrenzt werden, sondern so lange wie möglich in ihren Wohnquartieren verbleiben können. Sie wollen mit Kindern und jungen Menschen zusammenkommen, das haben wir bei unseren Untersuchungen immer wieder gemerkt. Dafür sind die Freiräume da. Und wir haben inzwischen über 40 Prozent Singlehaushalte in Berlin. Diese Menschen brauchen Orte der Begegnung, und zwar im öffentlichen Raum. Sonst fällt die Stadt irgendwann auseinander.

www.stadtquartiere.de

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