Freiwillige Ausreise nach Syrien: Zurück in den Krieg

Im Gegensatz zur Internationalen Organisation für Migration unterstützt Niedersachsens Landesregierung die freiwillige Rückkehr von Geflüchteten nach Syrien.

Zerstörte Hochhäuser ohne Fassaden und Fenster.

Ein Ort zum Zurückkehren? Zerstörte Wohnblocks im syrischen Duma Foto: dpa

Beim Beschuss einer Schule in der syrischen Region Ost-Ghuta sind nach Angaben von Aktivisten 15 Kinder und zwei Frauen getötet worden. Die Menschen suchten dort Schutz vor den Angriffen mutmaßlicher russischer Flugzeuge, meldete die oppositionsnahe Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London in der Nacht auf Dienstag. 52 weitere Menschen seien verletzt worden.

Solche Nachrichten über Getötete, Plünderungen und zehntausende Menschen auf der Flucht, kommen täglich aus dem Bürgerkriegsland Syrien. Die niedersächsische Landesregierung will die freiwillige Rückkehr in das Land trotzdem unterstützen – obwohl die zuständige Internationale Organisation für Migration (IOM) die Rückkehrhilfe ausgesetzt hat.

Die IOM unterstützt die freiwillige Rückkehr von Migranten und gibt in Zusammenarbeit mit dem Bund und den Ländern finanzielle Starthilfen (siehe Kasten). „Es geht darum, Menschen die Option einer Rückkehr in Würde zu geben“, sagt die Pressesprecherin des deutschen Ablegers der internationalen Organisation, Sabine Lehmann.

Menschen, die überlegten, in ihr Herkunftsland zurückzukehren, sollten alle Informationen haben, um diese Entscheidung treffen zu können, sagt Lehmann. Die IOM arbeitet deshalb mit Beratungsstellen in ganz Deutschland zusammen. „Aufgrund der Lage vor Ort können wir aber eine freiwillige Rückkehr nach Syrien nicht unterstützen“, sagt Lehmann.

Auch nach Jemen oder Libyen unterstützt IOM keine freiwilligen Ausreisen. Das kann verschiedene Gründe haben. „Zum Beispiel, wenn die sichere Reise in das Land nicht gewährleistet ist“, sagt Lehmann. „Oder wenn die Weiterbetreuung der Menschen vor Ort zu schwierig ist.“

Niedersachsen gibt einer freiwilligen Ausreise Vorrang vor einer Abschiebung.

Ausländerbehörden sollen ausreisepflichtige Ausländer über Rückkehrhilfen informieren. „In geeigneten Fällen ist auf einer Inanspruchnahme solcher Programme hinzuwirken“, heißt es in einem Erlass vom 27. Februar.

Das sogenannte REAG/GARP-Programm übernimmt die Reisekosten für die Rückkehrer und gibt im neuen Land finanzielle Starthilfe.

Diese finanzielle und auch organisatorische Unterstützung bekommen Rückkehrer von der Internationalen Organisation für Migration (IOM).

Für Syrien hat die IOM die freiwillige Rückkehr ausgesetzt.

Das Land Niedersachsen und auch der Bund finanzieren die Rückkehrhilfen deshalb jetzt selbst. Aus Niedersachsen reisten im vergangenen Jahr 69 Menschen freiwillig nach Syrien aus. Das geht aus einer Anfrage der Grünen hervor.

Hinweise darauf, dass sich die Ausreisenden als Kämpfer an kriegerischen Auseinandersetzungen in Syrien beteiligen wollten, habe es nicht gegeben, schreibt die Landesregierung. Die Rückkehrer bekamen Individualhilfen des Landes. Das können auch Sachmittel wie Medikamente sein oder Geld, um sich eine Wohnung im Heimatland herzurichten.

Die Grünen kritisieren den Erlass des Landes: „Es ist richtig, dass die IOM aufgrund der schrecklichen Situation in Syrien die Mithilfe bei der freiwilligen Rückkehr eingestellt hat“, sagt der Abgeordnete der Grünen Belit Onay. „Schaut man auf die Sicherheitslage in Syrien, so sollten sich Debatten über Rückführungen in das Bürgerkriegsland verbieten.“

Es sei deshalb unverantwortlich, dass das Land an der Praxis festhalte. Schließlich gingen die Syrer nicht zurück, um sich dort eine Existenz aufzubauen, sondern aus Not. „Viele Menschen sind vorgereist, um später ihre Familien nachzuholen“, sagt Onay.

Da der Familiennachzug noch immer ausgesetzt sei und die Familien darunter litten, gingen manche Syrer zurück. „Und anstatt dieses Leid zu beheben, wird hier eine Paralleldebatte geschaffen“, sagt der Grüne. Es werde so getan als sei Syrien sicher.

Kai Weber vom niedersächsischen Flüchtlingsrat sieht die Beratungen und Rückkehrhilfen für Syrer ambivalent. „Es gibt immer wieder Einzelfälle, wo Betroffene trotz bestehender Gefahren zurück wollen“, sagt Weber. Auch er glaubt, dass das oft mit dem ausgesetzten Familiennachzug zu tun habe.

Flüchtlingsrat fordert seriöse Beratung

Menschen, die an einer Rückkehr interessiert seien, müssten seriös und angemessen beraten werden, sagt Weber. „Sie müssen ausdrücklich auch den Hinweis erhalten, dass ihr Aufenthaltsrecht hier ungefährdet ist“, fordert der Geschäftsführer des Flüchtlingsrates.

Es sei deshalb besser, wenn Interessierte von einer unabhängigen NGO und nicht von einer Ausländerbehörde beraten würden. „Wenn die Betroffenen dann trotzdem die Entscheidung treffen, dass sie das Risiko eingehen wollen, zurückzukehren, kann ich daran nichts Negatives sehen.“

Das Innenministerium argumentiert ähnlich. In der Praxis hätten sich Fälle gehäuft, in denen Syrer in den Ausländerbehörden um Unterstützung bei der Rückkehr gebeten hätten, sagt Ministeriumssprecher Philipp Wedelich. Es habe deshalb bundesländerübergreifend das „Bedürfnis nach einer möglichst baldigen bundeseinheitlichen Lösung gegeben“.

In ganz Deutschland würden Syrer unterstützt, „wenn sie selbstbestimmt und freiwillig zurückkehren möchten“, sagt Wedelich. Die Behörden würden im Zweifel aber die Unterstützung für die Rückkehr in das Bürgerkriegsland auch verweigern – „wenn die Vermutung nahe liegt, dass die Person sich nicht der vollen Tragweite ihres Entschlusses bewusst ist“.

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