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Freiwilliges Soziales JahrModerner Kolonialismus im Mantel der Entwicklungshilfe

Gastkommentar von

Nick Ennulat

Knapp drei Wochen Schnellkurs braucht es, um im Globalen Süden Englisch unterrichten zu dürfen. Das kann nicht reichen, um die Kinder effektiv zu unterrichten.

SChulkind in Dakar, Senegal: 14 bis 20 Tage, so lange dauert die Vorbereitung, um Kindern im Globalen Süden zu unterrichten Foto: Zohra Bensemra/reuters

L ehrer sein ohne Ausbildung, Krankenschwester ohne Erfahrung, Betreuer ohne pädagogische Qualifikation? Kein Problem. In Tansania, Namibia und etlichen anderen Ländern des Globalen Südens können sie ohne Erfahrung für etwas Geld ihren Traumjob ausüben. Ein Freiwilliges soziales Jahr (FSJ) im Ausland bedeutet für viele junge Erwachsene wichtige Erfahrungen und das Aufhübschen ihres Lebenslaufs.

Das eigentliche Ziel, postkoloniale Abhängigkeit zu reduzieren, Menschen, die unter extremer Armut und menschenunwürdigen Bedingungen leben, zu helfen und neue Zukunftsperspektiven zu schaffen, bleibt dabei oft auf der Strecke. 2.373 Tage. Das ist die durchschnittliche Dauer, um voll qualifizierter Lehrer in Berlin zu werden. 1.826 Tage sind vorausgesetzt. Das ist sicher berechtigt, wenn man bedenkt, welche Verantwortung sie tragen. 14 bis 20 Tage.

So lange dauert die Vorbereitung, um Kindern in Tansania Englisch beizubringen. Wie ist diese Diskrepanz zu rechtfertigen? Das Phänomen lässt sich mit dem White-Savior-Komplex erklären. Weiße, privilegierte Menschen denken, dass sie Menschen in weniger wohlhabenden Gesellschaften retten müssten. Die Projekte vor Ort profitieren nur minimal von der Arbeit der Freiwilligen. Hier geht es primär um die Zuschüsse, mit denen der Aufenthalt der FSJler finanziert wird.

Nick Ennulat

ist 19 Jahre alt und Student der Politikwissenschaft an der Leibniz Universität Hannover.

Der Fokus liegt auf den Helfenden, nicht den Hilfsbedürftigen. Wie schon in der Kolonialzeit fließen Ressourcen nicht den Einheimischen zu, sondern dienen der Unterstützung und Selbstdarstellung externer Akteure. Der Nutzen für die lokalen Gemeinschaften bleibt dabei jedoch oft marginal. Anstelle von langfristigen, nachhaltigen Entwicklungsmaßnahmen geht es um eine Kurzzeitmission.

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Solange solche Programme vorrangig den Freiwilligen dienen, bleibt ein FSJ nichts anderes als ein moderner Anstrich für koloniale Muster, die bis heute andauern. Wer wirklich helfen will, muss die Stimmen der Menschen vor Ort in den Mittelpunkt stellen, nicht die eigenen Erfahrungen.

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