Fremdenfeindlichkeit in Sachsen: „Ihr holt uns Scheiße ins Land“

In Meerane sitzen die Ressentiments gegen Geflüchtete tief, da gehen Bürger mit Rechtsextremen auf die Straße. Der Bürgermeister stellt sich dagegen.

Zwei Menschen, die nicht im Detail zu erkennen sind, laufen eine Straße entlang. Sie tragen eine Deutschlandfahne

So hätten es viele in Meerane gern: schön deutsch Foto: dpa

MEERANE taz | Die Schmierereien am Neuen Rathaus der mittelsächsischen Stadt Meerane vom Januar sind mittlerweile entfernt worden. „Verräter“, stand dort zu lesen, „IS-Zentrale“ und „Ihr holt uns Scheiße ins Land“. Der Zorn richtet sich gegen die Stadtverwaltung, namentlich gegen Bürgermeister Lothar Ungerer.

Der parteilose Professor und promovierte Verwaltungswirt führt seit 2001 die Stadt und hat sich stets eindeutig gegen hier präsente Neonazistrukturen und die seit eineinhalb Jahren verstärkt sichtbare Fremdenfeindlichkeit positioniert. „Ich habe keine Angst vor der Angst unserer Bürger“, sagt er. Die Schmierereien sind der öffentliche Ausdruck der Drohungen im Netz oder in anonymen Briefen, ihn zu „zerlegen“ oder aufzuhängen.

Lange schien die Stadt, unter Radsportlern für die kopfsteingepflasterte, hoch ansteigende Straße „Steile Wand“ bekannt, relativ ruhig zu bleiben. Doch am 1. November des Vorjahres lieferten sich Polizei und Asylfeinde am Bahnhof eine regelrechte Schlacht um einen ankommenden Flüchtlingszug.

Im Netz und auf der Straße ist die Gruppe „Meerane unzensiert“ aktiv. Auf einer ihrer Demonstrationen Mitte Februar sprach auch der mehrfach vorbestrafte NPD-Kreischef Patrick Gentsch und wetterte gegen kriminelle Ausländer. Ungefähr 50 Anhänger stürmten außerdem eine Fragestunde des Stadtrats.

Niedrige Arbeitslosenquote

Die Stadtspitze stellt sich der fremdenfeindlichen Stimmung entgegen – daran kann es also nicht liegen, dass das Klima in Meerane nicht so aufgeschlossen ist wie im nur 40 Kilometer entfernten Wiederau. Auch prekäre wirtschaftliche Verhältnisse, die Abstiegsängste und Sozialneid begünstigen, liefern hier keine Erklärungen: Die Stadt weist heute die niedrigste Arbeitslosenquote seit 1990 aus, es gibt derzeit eine Fülle offener Stellen.

In den 26 Jahren zuvor war die Einwohnerzahl um 5.000 auf jetzt 15.000 geschrumpft, 600 Wohnungen stehen leer. Nicht mehr als 170 Flüchtlinge sind dezentral untergebracht, die Ausländerquote liegt mit 1,2 Prozent deutlich unter dem Landesdurchschnitt. „Die Flüchtlinge halten uns den Spiegel vor, wie privilegiert wir eigentlich sind“, mahnt der Bürgermeister.

Die geplante Eröffnung einer Erstaufnahmeeinrichtung im Ortsteil Seiferitz gab fremdenfeindlichen Gruppierungen einen ersten Anlass zur Stimmungsmache. Sie wird aber angesichts drastisch gesunkener Flüchtlingszahlen möglicherweise gar nicht benötigt. Warum hunderte Bürger gemeinsam mit Rechtsextremen auf die Straße gehen, lässt sich rational nicht erklären.

Attacken und Hass

Auch Dyaa Kassoma bemerkt die schwierige Stimmung in der Stadt. Der aus Damaskus geflohene zwanzigjährige Student der Zahnmedizin wohnt heute in Meerane. Er lobt zunächst die Freundlichkeit derer, die sich um ihn gekümmert haben. Sie bestimmen für ihn das Bild der Stadt, die er als „klein, aber nett“ beschreibt. Wenn er selbst freundlich grüßen wolle, spüre er aber oft den Hass der Leute.

Von Attacken berichtet auch Jasmin Wellner, die seit Herbst 2015 Flüchtlingskoordinatorin der Stadt ist. Besonders dann, wenn sie mit Flüchtlingen unterwegs ist. Das sei „schon erschreckend“. Nur über direkte Begegnungen ließen sich die Ressentiments abbauen, ist Jasmin Wellner überzeugt. Die Erfahrung zeige aber, dass sogar wohlgesinnte Leute lieber spendeten als sich persönlich zu engagieren. Mit bemühter Zurückhaltung kritisiert Bürgermeister Ungerer auch das schwache Engagement von Kirchen und Vereinen. Das lokale Gewerbe sei da weiter und unterstütze das ehrenamtliche Engagement.

Unabhängig von den Bemühungen um eine Verbesserung des Klimas in Meerane ist zunächst einmal der „starke Staat“ gefragt, von dem die sächsische Landesregierung jetzt auffallend häufig spricht: Die Blockade des Flüchtlingszuges hat ein gerichtliches Nachspiel, ebenso die Bedrohungen des Bürgermeisters.

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