Fröhliche Kreuzfahrt: River Cruise Blues

Die Konkurrenz nimmt zu, die Arbeitsbedingungen auf Flusskreuzfahrtschiffen werden härter. Unterwegs auf der Schattenseite eines Boomsektors.

Kellner auf Deck

„Do you like these job?“ Foto: Imago/Jochen Tack

Hoorn, ein Städtchen am Markermeer, in der niederländischen Provinz Nord-Holland. An einem schwülen Vormittag Mitte Juli ist die „MS Amadeus Elegant“ in den Hafen eingelaufen und hat am Anleger festgemacht. Die ersten Passagiere haben sich an Land umgeschaut und kommen zurück. Einige machen Fotos von dem blütenweißen Schiff. „110 Meter Länge, 11,4 Meter Breite“, steht auf dem Rumpf, und dass 150 Passagiere an Bord Platz haben. Die begeben sich nun im Erdgeschoss der „Amadeus Elegant“ zu Tisch. Vom Steg aus sieht man, wie Kellnerinnen in hellen Hemden und dunklen Westen das Essen in den Salon tragen.

Oben an Deck, wo die Liegestühle verwaist sind, schrubben drei Matrosen in blau-grüner Arbeitskleidung auf den Knien die Reling. Um die 30 sind sie, ihr Englisch ist brüchig. Wo sie herkommen? „Rumänien.“ Die meisten der Besatzung seien von dort, erzählen eine Serbin und eine Slowenin, die nach dem Essen eine kurze Zigarettenpause am Steg anlegen. Die meisten Passagiere hingegen kommen aus Süddeutschland, den Akzenten nach zu urteilen. Während die Kellnerinnen den Salon aufräumen, sammeln sie sich draußen um zwei Reiseleiterinnen, die den Nachmittags- Ausflug erläutern.

Szenen wie diese ereignen sich zumal im Sommer täglich auf einem Flusskreuzfahrtschiff. Die Branche boomt, vor allem auf Rhein und Donau, doch auch Elbe und Seine, Wolga und Douro sind gefragt. Hoorn, mit Amsterdam durch das Ij verbunden, wird oft direkt nach der Grachtenmetropole angelaufen. Der Hafenmeister sitzt ein paar Meter vom Anleger entfernt in seinem Türmchen. Auch hier ist das Wachstum spürbar, das nicht zuletzt auf nordamerikanische Kunden zurückgeht.

„Es ist nicht lange her, da legten hier 70 Schiffe im Jahr an. Nun sind es 430. Vor allem zur Tulpen-blüte ist es voll.“ In Europa, das inzwischen dem Nil und Russland als beliebteste Destination den Rang abgelaufen hat, sind dieses Jahr 315 Schiffe auf 250 Routen unterwegs. Allein auf dem Rhein stieg ihre Zahl seit den 1990ern von 20 auf 250. Attraktive Flusslandschaften und Luxus an Bord – dies sind die Verkaufsfaktoren der Branche. Auf die Schattenseiten weisen Transport-gewerkschaften schon seit Langem hin: ein immer höherer Arbeitsdruck bei sinkenden Löhnen.

Arbeitsdruck steigt, Löhne sinken

„Wir hören von vielen Arbeitnehmern im Sektor, dass die Zahl der Gäste pro Schiff zunimmt, aber die Bezahlung nicht proportional mitwächst“, so Carl Kraijenoord, Sekretär der internationalen Schifffahrts- Gewerkschaft Nautilus. Zum explosiven Wachstum der letzten zehn Jahre komme die Gewohnheit der Arbeitgeber, Lücken der europäischen Sozialgesetzgebung auszunutzen. „Manchmal sind nautische Besatzung, Bordpersonal, Reiseleiter und Aushilfskräfte bei unterschiedlichen Arbeitgebern in Dienst, mit jeweils verschiedenen Arbeitsbedingungen.

Janusz Koslowski und Susan Weber (Namen geändert), beide Anfang 30, haben die Entwicklung aus nächster Nähe erlebt. 2008 heuerte Janusz Koslowski, ehemals Kellner in Polen, beim Branchenprimus Viking River Cruises auf dem Rhein an. Später landete er auf der Donau. 2009 stieg er zum Barchef auf. Ein Jahr später wechselte auch Susan Weber, die 2006 als Vertretung auf verschiedenen Routen in Restaurants begonnen hatte, auf die Donau. Dort traf sie auf Koslowski, Amor schoss seine Pfeile auf die beiden ab, die fortan auf den gleichen Schiffen arbeiteten, erst auf der Donau, dann auf der Elbe. 2014 wurde Susan Weber, die aus der westdeutschen Provinz kommt und zuvor als Saisonnier in Alpenhotels beschäftigt war, zur Restaurantmanagerin befördert. Eigentlich hatten beide damals schon genug von ihrer Arbeit, doch ihr gemeinsamer Plan war, Geld für ihre Hochzeit zu verdienen.

S. Weber, RestaurantmanAgerin

„Die Philippiner haben sie rübergeholt, weil sie nichts sagen und billig sind“

Der Kontakt zu Koslowski und Weber kommt durch die Gewerkschaft Nautilus zustande. Aktuelles Personal ist in der Regel zu sehr auf den Job angewiesen, um über Details zu sprechen. In einer Mail erinnert sich Susan Weber, „Do you like this job?“ sei die häufigste Frage der Passagiere gewesen. „Obwohl man nicht besonders happy mit der Arbeitsstelle ist und am liebsten zu Hause sein möchte, hat man keine andere Wahl, als zu sagen „Yes I love this job!“. Wir wollten am liebsten alles auf den Tisch hauen und die ganze Story erzählen“, schreibt sie.

Dazu kommt es im Mai 2016. In einem Café in Aachen erzählen sie vom hektischen Ablauf eines Arbeitstags an Bord. Im Restaurant beginnt die Vorbereitung für das Frühstück um 6.30 Uhr. Gegen 9.45 ist die erste Mahlzeit beendet. Eine kleine Pause bis zur Vorbereitung des Mittagessens, dann um 15.30 wieder Zeit zum Durchschnaufen, es sei denn, es gibt Kaffee und Kuchen oder ein Wine Tasting. „Um 18.15 Uhr muss man wieder zum Abendessen antanzen, und gegen 11 ist dann Feierabend.“ An der Bar dauert die erste Schicht von 10.30 bis 15 oder 15.30 Uhr. Zwei Stunden später geht es wieder los. Meist ist um Mitternacht Schluss. „Aber manche lustigen Passagiere machen bis zwei oder drei Uhr morgens weiter. Sie haben all inclusive, und das wollen sie ausnutzen.“

Im Jahr 2012 wurden die Bedingungen an Bord spürbar härter. Während durch den Konkurrenzkampf in der Branche der Arbeitsdruck steigt, wird die Bezahlung weniger. Zuvor hatte das Personal von Viking River Cruises Luxemburger Arbeitsverträge. Um Lohnkosten zu sparen, werden sie nun in Schweizer umgewandelt und die Saläre fortan in Franken ausbezahlt. Statt 1.500 Euro netto gibt es dann umgerechnet 1.270 Euro. In beiden Verträgen wird eine Pauschale für Kost und Logis berechnet. Nur, dass im Unterschied zu früher für das Personal künftig nicht mehr extra gekocht wird. Was die Passagiere übrig lassen, muss gut genug sein, und sollte es nicht ausreichen, gibt es eben Cordon Bleu, Fritten oder Fischstäbchen aus der Tiefkühltruhe.

Konkurrenzkampf auch untereinander

Auch das Klima an Bord wird härter. Zur 7-Tage-Woche und unbezahlten Überstunden, die die Arbeitszeit von 40 bzw. 48 Wochenstunden oft verdoppeln, kommt der Konkurrenzkampf untereinander. Manager, die einzelnen Personalsmitgliedern vorhalten, dass Kollegen mehr und besser arbeiten. Koslowski und Weber geraten in den Fokus, weil sie schon lange dabei sind. Den jüngeren und später angeworbenen Kräften aus Osteuropa, ohne Erinnerung an die besser bezahlten Zeiten, wird Susan Weber später sagen, kann das Management besser Druck machen. Die neue Unterschicht an Bord aber sind die Philippiner. „Die haben sie rübergeholt, weil sie nichts sagen, billig sind. Sie sind von weit gekommen, um zu arbeiten. Sie haben keinen Urlaub und bekommen weniger Trinkgelder als die Europäer.“

An einem späten am Abend im Frühjahr 2015 wirft Sandra Kramer das Handtuch. Die Saison ist noch jung, doch sie fühlt sich schon ausgelaugt wie sonst am Ende des Jahres. Wieder liegt ein langer Tag hinter ihr, auf diesem Schiff, das wegen Baufehlern zu wenig Crewkabinen hat und deswegen unterbesetzt ist. Wieder unbezahlte Überstunden, wieder der Druck, und dazu ein Operation Manager, der sie zur Eile treibt und anblafft wie bei der Armee, sie arbeite zu wenig. Und dann rutscht es ihr heraus, nach Jahren, in denen sie immer wieder ans Aufhören dachte: „Wenn du willst, kann ich auch gehen.“

Der Vorgesetzte entgegnet knapp: „Geh doch, wir brauchen dich nicht.“ Sandra Kramer macht auf dem Absatz kehrt. Sie läuft in die Bar, die von Janusz Koslowski, ihrem Freund, geleitet wird. „Ich gehe. Kommst du mit?“ Obwohl die beiden eigentlich mehr Geld für ihre Hochzeit im Sommer verdienen wollten, zögert er keinen Augenblick. Die Nacht verbringen sie noch auf dem Schiff, das in Dresden vor Anker liegt. Auf der Elbe endet ihre Flusskreuzfahrt-Karriere. Im Morgengrauen gehen die beiden von Bord. Es fühlt sich an wie eine Befreiung. Zu Beginn der nächsten Saison kommt Janusz Koslowski nach Amsterdam. Mit mehreren Gewerkschaftsvertretern aus dem Transportsektor ist er am „Passenger Terminal“ unterwegs, dem Anleger für River-Cruise-Schiffe, der an manch vollen Tagen aus allen Nähten platzt. Amsterdam ist eine der Branchenhochburgen, neben Köln, Wien und Budapest, weshalb die Gewerkschafter hier ihre neue Öffentlichkeitskampagne starten. Hinter dem Terminal haben sie Banner mit Forderungen für faire Arbeitsbedingungen aufgehangen.

Sprechverbot an Bord

Empfangszelte mit dem Logo der Reederei AMA Waterways begrüßen die neuen Fahrgäste, die von Reisebussen hier am Ufer des Ij abgesetzt werden. Zwei AMA-Mitarbeiter empfangen sie, dazu gibt es einen „Offenen Brief an die Passagiere“ von den Gewerkschaftsmitgliedern. Darin werden die Fahrgäste über die Lage informiert und gebeten, den Schiffsmanager auf die Arbeitsbedingungen anzusprechen. Auch mit dem Personal will man in Kontakt kommen, um sie auf ihre Rechte aufmerksam zu machen. Was kein leichtes Unterfangen ist: „An Bord zu gelangen, war immer schon schwierig“, sagt Carl Kraijenoord, einer der Vertreter von Nautilus International. „Oft kommen wir bis zur Rezeption, aber eine Runde an Bord können wir selten machen. Das ist wie eine Art Sprechverbot.“

An diesem Tag werden sie hinter der gläsernen Schiebetür des Schiffs mit einem strahlenden Lächeln empfangen. „Welcome on board, I am the Cruise Manager“, sagt der Mann in Betriebsuniform, der sich als Georg Schmidt* vorstellt. „Ich wusste nicht, dass Sie kommen, schön, Sie zu sehen“, säuselt er weiter. Dass er die Visitenkarte eines Gewerkschafters bekommt, findet Schmidt „phantastic“.

Doch so dick er sein Willkommen aufträgt, so räumlich begrenzt ist es. Ein paar Flugblätter im Eingangsbereich, das gesteht er zu. Weiter aber geht es auch diesmal nicht. Während die neuen Passagiere zu ihrem Tulip Cruise eintreffen, steht einer der Kapitäne draußen an der Schiebetür. Mitte 50 dürfte er sein, seit 20 Jahren ist er im Geschäft, ein Niederländer wie seine beiden Kollegen auch. Die Matrosen sind Rumänen, sagt er, und die Hilfskräfte oft Bulgaren. Was den Boom auf den Flüssen ausmacht? „Wir bieten ein Komplettpaket an, fahren mit den Menschen mit, es gibt Vollpension, drei Mahlzeiten täglich. Für uns als Kapitäne ist es auch eine schöne Arbeit, obwohl wir viel nachts fahren.“ Gewerkschaftsmitglied ist er auch, was nicht ungewöhnlich sei für einen Kapitän. Hat er in seiner Funktion nicht auch ein Interesse daran, dass die Crew fair behandelt wird? „Selbstverständlich. Es ist nicht gut, wenn Menschen unterbezahlt sind.“

Mit einem Mal ändert sich das Verhalten des Mannes, als ein anderer Kapitän auftaucht. Das Namensschild an seiner Uniform weist ihn als Ron Schuegard aus. Er hat eine Glatze und eine strenge Miene aufgesetzt. „Was machen Sie hier?“, fragt er die Besucher misstrauisch. Die Antwort interessiert ihn nicht. „Es gibt nichts zu untersuchen, alles ist prima hier. Ich arbeite zu Schweizer Konditionen.“ Der Besuch an Bord, so viel ist deutlich, ist zu Ende. Und der ältere Kapitän möchte jetzt auch nichts mehr sagen. Nicht einmal mehr seinen Namen, solange Schuegard danebensteht.Dass auch das nautische Personal unter Druck steht, davon kann Hendrik Van Loon (Name geändert) ein Lied singen. Der Niederländer war Matrose bei Viking Cruises. Anfang 2015 arbeitete er zwischen den Saisons im Winterhafen bei der Instandhaltung der Schiffe, als er eine E-Mail bekam.

Darin gab die Direktion bekannt, dass nach der Aufhebung der Wechselkursbindung des Schweizer Franken an den Euro die Löhne fortan in Euro ausgezahlt würden, zum festen Kurs von Ende 2014. Im Anhang fand sich der neue Vertrag, den man, bitte schön, unterzeichnet zurückschicken sollte. Van Loon, ein Kind des Wassers, im westfriesischen Delfzijl aufgewachsen und zuvor lange Jahre in der Binnenfahrt tätig, wollte sich mit 20 Prozent Gehaltseinbußen nicht abfinden. Stattdessen unterzeichnete er, wie gut 50 Kollegen, eine Petition, die ein Viking-Kapitän ebenfalls als E-Mail verschickte. Der Druck nahm zu. „Ein Vorgesetzter drohte uns: ‚Unterschreibt, oder ihr werdet entlassen!‘ Darauf unterschrieb ich, schickte den neuen Vertrag per Mail und per Post ab. Gekündigt wurde ich trotzdem. Sie sagten, sie hätten weder den Brief noch die Mail bekommen.“

Im Frühsommer 2016 sitzt Hendrik Van Loon in der Kajüte seines Frachtschiffs. Er liegt, wie meistens, an der Schleuse im norddeutschen Oldenburg. In der Kajüte läuft der Schweiß in Strömen, nur vom Dasitzen und Reden. Draußen geht ein Gewitter nieder. Finster wie der Himmel wird seine Miene, wenn er über den Gerichtsstreit mit seinem ehemaligen Arbeitgeber spricht.

Eine Firmenangelegenheit

Am Vorabend erst ist er aus Basel zurückgekommen, dem Hauptsitz von Viking Cruises. Ein Treffen mit dem Anwalt und dem einzigen verbliebenen von ursprünglich vier oder fünf Kollegen, die ihren Verdienstausfall einklagen wollten. Um 13.000 Euro geht es für ihn. „Viking hat eine Einigung angeboten und eine Zahlung von 1.300 Euro. Das können sie sich dorthinstecken, wo die Sonne nicht scheint!“ Die neue Hoffnung: dass nicht nur die Kündigung unrechtmäßig war, sondern auch die Umstellung der Gehaltswährung. Doch zu seinen Aussichten kann Van Loon nur die SchulteArbeitsdruck steigt, Löhne sinkenrn zucken. Vorläufig transportiert er nun als Selbstständiger Viehfutter durch Norddeutschland. Küstenkanal, Dortmund-Ems- Kanal, Mittelland-Kanal. Immerhin dürfte er dort kaum auf Flusskreuzfahrtschiffe treffen.

Was aber sagt die Direktion von Viking River Cruises zu all dem? Ist jemand bereit zu einem Gespräch über die Vorwürfe, die ehemalige Mitarbeiter und Gewerkschafter erheben? Pressesprecherin Nicole Kaiser antwortet per Mail auf eine Anfrage. „Der Vorschlag wurde unserer Betriebsleitung vorgelegt und es wurde beschlossen, das Sie die Fragen gerne schriftlich an uns schicken können und wir werden Sie dann beantworten.“ Der Sinneswandel kommt plötzlich: Antworten auf die Fragen gibt es doch keine, stattdessen nur eine knappe Reaktion von Human-Ressources-Chef Hans Gabi, ebenfalls per Mail: „Wir kommentieren keine Firmenangelegenheiten in der Öffentlichkeit.“

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