Fußball und Fernsehen: Schleichende Entwöhnung

Football for free? Das gibt es fast nur, wenn die Nationalmannschaft spielt. Nur dann lodert das Familienlagerfeuer noch – ein bisschen.

Manuel Neuer mit einem Fußball

Immer noch gern gesehen: Manuel Neuer im Nationaldress Foto: reuters

Wie viel hat Liebe eigentlich mit Sichtbarkeit zu tun? Und hat jemand mal untersucht, ob die Müdigkeit am modernen Fußball vielleicht vor allem daran liegt, dass man ihn kaum mehr sieht? Weil EM-Qualifikation nun so spannend auch nicht ist, kommen einem dabei solche Gedanken. Während ich halb wach den Deutschen bei ihrer Plackerei gegen Nordirland zuschaue, hauptsächlich zum Zweck dieses Textes, fällt mir auf, dass ich sehr lange kein Fußballspiel mehr im TV gesehen habe. Jedenfalls nicht in voller Länge.

Denn dass ein Spiel fünf zerhäckselte Minuten dauert, wovon zwei Minuten Torzeitlupe, Wie-war-Ihr-Leben-für-Sie-heute und Ist-Ihr-Job noch-sicher-Diskussion einnehmen, das kann ja auch keiner gewollt haben. Früher, natürlich war das früher nicht besser. Aber man hat das ja viel mit Champions League kompensiert, damals bis vor gut einem Jahr. Die hat dann auch die gemeinsame Beziehung aufgekündigt und ist hinter die Geld-her-oder-sieh-mich-nie-wieder-Schranke gewandert. Es bleibt nur so was wie Deutschland – Nordirland, wofür wahrscheinlich sowieso niemand Pay TV zahlen würde.

Sinkende Quoten

Eine Kurzrecherche zeigt Folgendes: die Einschaltquoten bei Sky waren in der Saison 2018/19 schlechter als in der davor, obwohl es ja sogar eine Art Meisterschaftskampf gab. Und die Quoten der Champions League sind letzte Saison bekanntermaßen so heftig abgeschmiert, dass selbst Rummenigge plötzlich zum Verfechter von Basisnähe wurde; 84 Prozent weniger Zuschauer, wenn man mal dem Focus glauben kann.

Es blieb nur noch der russische Stream des Vertrauens, die Bildqualität hat was, wie bei den Impressionisten. Aber will man wirklich mit dem Laptop auf den Knien vor drei offenen Fenstern sitzen und sich auf Arabisch anschreien lassen? Doch, Liebe hat ziemlich viel mit Sichtbarkeit zu tun. Bei Deutschland gegen die Niederlande am Freitag im Free TV also 9,6 Millionen bei RTL. Free Football! Das Nationale zieht, trotz WM 2018, trotz Rassismus-Debatten, trotz Heimniederlagen von 2:4.

Wenn ich mir so das Nordirland-Spiel anschaue, weiß ich nicht ganz, warum. Ich habe mich längst entwöhnt. Kann man Liebe verlernen? Die Nationalmannschaft, das wohl allerletzte Lagerfeuer der Gesellschaft, funktioniert aber noch so halb. Die intellektuelle Elite setzt sich gefühlt davon schon ab, etwas hochmütig, etwas distinguiert. Man sollte Jogi und Jungs nicht den Rechten überlassen, fällt mir noch kurz ein, und dass man darüber mal schreiben könnte. Dann ist Schlusspfiff und das Spiel zum Glück vorbei.

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Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de

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