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Fußballer und Nahost-PostsEs ist Zeit für Aufarbeitung

Das Urteil für Fußballer Anwar El Ghazi im Falle der Nahost-Posts ist richtig. Doch im deutschen Sport wird die rigide Sanktionspolitik der Klubs weiterhin kaum problematisiert.

Rauswurf war nicht rechtens: Fußballprofi Anwar El Ghazi Foto: Arne Dedert/dpa

E in wenig Häme wollte Anwar El Ghazi offenbar nicht missen. „Regelmäßige Niederlagen auf dem Platz reichen der Klubführung wohl nicht, also kommt sie für mehr Niederlagen vor deutsche Gerichte“, postete der Kicker bei Instagram. Gemeint ist Ex-Arbeitgeber Mainz 05, gegen den El Ghazi vor dem Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz erneut Recht bekam. Das Gericht bestätigte ein erstinstanzliches Urteil: Der Rauswurf des Profis Anwar El Ghazi wegen seiner Posts zum Nahostkrieg war nicht gerechtfertigt. Die Beiträge seien von der Meinungsfreiheit gedeckt, und die überwiege gegen Arbeitgeberinteressen.

Dieses Urteil ist überwiegend eine gute Nachricht. Für die Redefreiheit von Sportler:innen, für Schutz gegen willkürliche Kündigungen und für eine zaghafte Entsanktionierung des deutschen Nahost-Diskurses. El Ghazi, Niederländer mit marokkanischen Wurzeln, war von Mainz 05 im Oktober 2023 zunächst wegen eines „From the river to the sea“-Posts abgemahnt worden, unmittelbar nach dem Massaker vom 7. Oktober.

Man braucht weder seine Meinung klug zu finden, noch den Zeitpunkt angemessen. Der Post war im besten Fall empathielos gegenüber den Opfern, im schlechteren Fall gewaltverherrlichend. Und eine typische Projektion mit überschaubarer Nahost-Expertise, wie sie zu dem Zeitpunkt zigfach aus beiden Lagern kam. Antisemitisch aber ist diese Formulierung nicht per se. Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Propalästinensische Posts wurden und werden auch im Sport enorm repressiv behandelt und pauschal als antisemitisch diskreditiert, darunter auch die von Bayerns Noussair Mazraoui und Unions Aïssa Laïdouni. Das ist ein Problem.

Jüdisch mitgeprägte Klubs wie Mainz 05, die nachvollziehbar klare Kante zeigen wollten, waren außerstande oder unwillens, auch Israels völkerrechtswidrige Besatzung, Vertreibungen und die schon damals von Ex­per­t:in­nen geäußerten Völkermordwarnungen ernst zu nehmen. Zur Kündigung El Ghazis führte ein weiterer Post im November: Er sei gegen Krieg und die Tötung unschuldiger Zivilist:innen, gegen Antisemitismus, Apartheid und Genozid. Das Töten in Gaza müsse enden.

Entlassung nicht zu rechtfertigen

In der Rückschau würden diesen Aufruf wohl viele Deutsche unterschreiben. Dass El Ghazi dafür entlassen wurde, ist nicht zu rechtfertigen. Und mag als Warnung dienen, wohin Schmerz führen kann, wenn er vorwiegend für eine Seite empfunden wird. Die Sanktionspolitik der Klubs hat die arabische Minderheit aus dem Diskurs gedrängt, Kritik an Israel unterdrückt und eine echte Verständigung in geschützten Räumen für alle verunmöglicht. Seinerzeit beschrieb manch Sportler, unter welchem Druck er durch Trainer und Klub stehe, sich nicht zu äußern. Auch die Verweigerung der beantragten deutschen Staatsbürgerschaft war eine reale Sorge. Das alles ist im deutschen Sport nicht mal ansatzweise aufgearbeitet. Es ist höchste Zeit dafür. Das muss gehen, ohne Schutz und berechtigte Ängste jüdischer Sport­le­r:in­nen weniger wichtig zu nehmen.

Diese Gratwanderung ist schwer, aber Schweigen ist eine schlechte Lösung. Anwar El Ghazi hat Recht bekommen, doch seine Positionierung hat er sportlich teuer bezahlt: Heute kickt er im bedeutungslosen Katar, wenngleich sicher gut alimentiert. Online erhält er viel Lob. Seine Positionierung ist einerseits wirklich stark: Nicht viele Fußballer riskieren die Karriere, um sich gegen einen Genozid zu äußern.

Doch ein so großer Verbündeter der Unterdrückten, wie er sich darstellt, ist er nicht. Zur völkerrechtswidrigen Annexion der Westsahara bleibt der Mann mit marokkanischen Wurzeln still. Und seine neue Wahlheimat ist ausgerechnet der Sklavenhalterstaat und Islamistenfinanzierer Katar. Wie bei manch arabischem Sportler beginnt und endet El Ghazis öffentliches Gewissen mit Palästina. Die Schräglage des Weltbilds ist dem deutschen nicht unähnlich. Ins Gespräch kommen beide wohl nicht mehr. Weiter ist der deutsche Sport für einen ehrlichen Nahost-Austausch kein einladender Ort.

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Alina Schwermer
freie Autorin
Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum und Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen und übers Reisen. Autorin mehrerer Bücher, zuletzt "Futopia - Ideen für eine bessere Fußballwelt" (2022), das auf der Shortlist zum Fußballbuch des Jahres stand.
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