Gamification und der Anschlag von Halle: Rechter Terror als Event

Die Verbindung zwischen Gaming und Rechtsterrorismus ist komplexer als oft dargestellt. Um sie zu verstehen, bedarf es einer Menge Aufklärungsarbeit.

Hände auf Tastaturen in einer Reihe

Der Täter von Halle versuchte Game-ähnliche Achievements zu schaffen Foto: Hettrich/imago

Nach dem antisemitischen Akt des Terrors in Halle wird noch immer versucht, das Geschehene zu verarbeiten und zu verstehen. Gerade die Umstände und der Ablauf der Tat – das Livestreaming, die Memes, die Gamifizierung – werfen Fragen auf. Leider zeigt sich in den darauf folgenden Diskussionen häufig die verkrustete Distanz der Deutschen zu Themen des Digitalen. Dabei wäre eine kritische und konstruktive Auseinandersetzung gerade jetzt wichtig. Was steckt also dahinter?

Etwas gemeinsam zu erleben treibt Menschen zu Streaming-Plattformen wie Twitch: Man kann live dabei sein. Das war wohl auch die Hoffnung des Täters: Zu Beginn grüßt er die Zuschauer, ganz wie sonst auf der Plattform üblich. Aus Hass Entertainment zu machen soll in rechten Kreisen vor allem das Gemeinschaftsgefühl stärken. Das Ziel: sich gemeinsam überlegen fühlen. Überlegen, wo sie sonst vermeintlich unterdrückt sind.

Der Terrorist von Halle bezeichnete sich selbst als “Weeb“ (ein erniedrigender Begriff für Männer, die glauben aufgrund ihres Hobbys keine Partnerin zu finden) und Loser und steht damit exemplarisch für den verinnerlichten Opferstatus radikalisierter Männer. Es ist kein Zufall, dass er vor der Tat nicht nur den Holocaust leugnete, sondern auch über Feminismus wütete. Frauenfeindlichkeit findet sich immer wieder bei rechten Terroristen – antifeministische und rechtsextreme Kreise überlappen sich massiv. Der gemeinsame Feind: Frauen, die keine Kinder mehr wollen, und Gesellschaften, die das mit einem Bevölkerungsaustausch mit muslimischen Migrant*innen ausgleichen würden.

In der verqueren Logik der Rechten bekommen die freundlichen netten Männer von nebenan keine Frauen mehr ab, leben also unfreiwillig ohne Sexualkontakte, werden zu “Incels“ und müssen nun mit Männern of Color konkurrieren, die in ihren Augen fetischisiert für das Ur-Männliche stehen.

Mehr Verständnis fürs Digitale

In der Folge sehen sich die weißen jungen Männer als die wahren Unterdrückten, angeblich zum Opfer gemacht durch aggressive Feministinnen, übermächtige Juden oder hinterlistige Muslime. Der Täter von Halle kündigte sich selbst zwar als Teil der “Internet-SS“ an, aber jede Radikalisierung verläuft in Phasen. Niemand kommt als radikaler Rechtsextremer auf die Welt. Stattdessen werden in Online-Communitys junge Männer mit dem Gemeinschaftsgefühl geködert, dass sie hier verstanden würden. Rechte bieten “sichere Häfen“, wo Männer “endlich mal sie selbst sein können“, bei der Stange gehalten durch Memes, Hass auf Minderheiten und “spielerisches“ Ausleben der eigenen Wut.

Genau diese Mechanismen gilt es zu benennen und zu kontern. Mit oberflächlichen Auseinandersetzungen wie der Verteufelung von Computerspielen, Plattformen oder ganzen Online-Communitys tut man sich keinen Gefallen, eher treibt es Gruppen von Männern in ebenjene Sphären – denn Rechte haben den Online- und Gamingdiskurs längst besser verstanden als die meisten Politiker*innen. Wer sich unterdrückt und missverstanden fühlt, sucht einen Ort, wo er aufgefangen wird. Rechte bieten das – und animieren dann dazu, das Unrechtsgefühl in Aggression zu wandeln.

Und das Element der Gamifizierung? Selbst Personalabteilungen in mittelständischen Unternehmen wissen heutzutage, dass man durch die Gamifizierung von sonst öden Prozessen Menschen einbinden und aktivieren kann. Im Gaming selbst gibt es Errungenschaften (Achievements) für so ziemlich alles: Von “Sammle 100 Kräuter“ bis “Töte 500 Gegner im Nahkampf“ werden Spielende dafür belohnt, dass sie das Spiel eben auf möglichst vielfältige Art und Weise durchspielen. Am liebsten immer wieder. So bindet man Menschen auf spielerische Art und Weise an die Marke und die Community.

Der Täter von Halle versuchte offensichtlich, in seinen Notizen zur Tat ein ähnliches Element zu schaffen, dachte sich verschiedene Achievements aus, die hier nicht wiederholt werden müssen. Die Gamifizierung von Hass und Terror ist ein dankbarer Mechanismus, um Menschen an rechte Gedanken und schließlich an Taten heranzuführen. Es ist jedoch vor allem eins: Teil einer rechten Propagandamaschine.

Diese zu entlarven ist unser aller Verantwortung. Dafür braucht es Verständnis für und Erforschung von Online-Communitys, digitalen Umgangsformen und anderen kulturellen Faktoren. Verschiedene Initiativen gegen Rechtsextremismus in Deutschland leisten genau diese Pionierarbeit. Umso bitterer, dass ihnen gerade von der Regierung die Mittel gekürzt wurden.

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Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

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