Ganovenroman von David Schalko: Sympathie für den Halsstich

Der österreichische Regisseur Schalko versteht sich als Autor. Sein neuer Roman „Schwere Knochen“ würde jedoch als TV-Serie besser funktionieren.

Der österreichische Regisseur und Autor David Schalko steht an einem See

Der österreichische Regisseur und Autor David Schalko. „Schwere Knochen“ ist sein neuer Roman Foto: Ingo Pertramer

Es ist das Drama des doppelt Begabten. David Schalko hat mit bitterbösen Fernsehserien wie „Braunschlag“ und „Altes Geld“ für Furore gesorgt. Als Regisseur ist er inzwischen im gesamten deutschsprachigen Raum ein gut eingeführter Name. Der Ruf des Autors Schalko dagegen ist noch nicht wirklich über Österreich hinausgedrungen.

Das wurmt ihn, sieht er sich doch – vergleichbar dem erfolgreichen Schauspieler, der sich noch lieber für seine Musik bejubeln ließe – in erster Linie als Autor. Er schreibt die Drehbücher zu seinen Serien und Filmen selbst und hat darüber hinaus im Lauf der Zeit eine gute Handvoll Bücher veröffentlicht. Diese werden in der öffentlichen Wahrnehmung jedoch eher unter „Regisseur hat nebenbei einen Roman geschrieben“ verbucht, als Nebenschauplatz.

Anders als der Schauspieler aus unserem Beispiel, der wahrscheinlich mit rotweinschwerem Bariton Songs von Leonard Cohen oder aus dem Great American Songbook interpretiert, handelt es sich bei Schalkos Ambitionen aber nicht um etwas, das sich schnell unter Eitelkeit verbuchen ließe. Die Literatur war tatsächlich seine erste Liebe.

Zum Geldverdienen zum Fernsehen

Als 22-Jähriger veröffentlichte er 1995 im inzwischen verblichenen Kubus Verlag einen Gedichtband mit dem schönen Titel „Bluterguss und Herzinfarkt“, in dem er sich an Vorbildern wie Georg Trakl oder Werner Schwab abarbeitete. H. C. Artmann las das Buch und fand es gut. Trotzdem wurde Schalko der Literatur untreu, er musste Geld verdienen und landete beim Fernsehen. Was er dort machte, war dummerweise so gut, dass ihn das Fernsehen nicht mehr in Ruhe ließ.

Seit zehn Jahren nimmt er sich zwischen Film- und Fernsehprojekten wieder vermehrt Zeit zum Schreiben. Der Autor Schalko ist schwerer zu fassen als der Regisseur, seine Bibliografie umfasst einen zu spät gekommenen Poproman („Frühstück in Helsinki“), einen hübschen Band mit absurden Erzählungen („Wir lassen uns gehen“) und einen grenzgenialen Roman über Jörg Haiders „Lebensmensch“ Stefan Petzner, der von österreichischen Medien zu Unrecht auf ein Skandalbuch reduziert wurde („Weiße Nacht“).

Mit dem Roman „Knoi“ wechselte er 2013 vom kleinen Wiener Czernin Verlag zum auch nicht viel größeren, aber mehrfach Buchpreis-erprobten Salzburger Verlag Jung und Jung. Das sollte Aufmerksamkeit in Deutschland bringen, klappte aber nicht. Vielleicht lag es auch daran, dass ein Liebesroman so ziemlich das Letzte war, was Feuilleton und Buchhandel von Schalko erwartet hatten.

Die Welt der Wiener Gauner und Strizzis ist gerade en vogue

Nun ist er bei Kiepenheuer & Witsch gelandet und legt mit „Schwere Knochen“ einen Roman vor, mit dem er sich thematisch treuer bleibt. Ähnlich wie bei seinen TV-Serien geht es hier darum, das Sittenbild eines bestimmten Ausschnitts der österreichischen Gesellschaft zu malen. Und nachdem Österreich bekanntlich eine kleine Welt ist, in der die große ihre Probe hält, sollte sich der Rest der Menschheit auch angesprochen fühlen. Ein klein wenig zumindest.

Die Welt der Wiener Gauner und Strizzis ist gerade en vogue. Die beliebte Autorin Stefanie Sargnagel wie auch der Sänger Voodoo Jürgens haben sich die Inspiration zu ihren Werken in zwielichtigen Wirtshäusern geholt. „Bauchstich-Hütten“ werden diese auch genannt, weil hier, wenn der Alkohol die letzten Hemmungen weggeschwemmt hat und Worte nichts mehr ausrichten können, gern mittels Messer kommuniziert wird.

Alles wahnsinnig aufregend und tiefgründig

De facto sind diese Lokale fast ausgestorben, nur ein paar existieren in Wiener Randbezirken noch. Hier sitzen traurige Alkoholiker Seite an Seite mit Kunststudenten, die das alles wahnsinnig aufregend und tiefgründig finden.

David Schalko: „Schwere Knochen“. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018, 576 Seiten,19,99 Euro.

„Schwere Knochen“ erzählt von der Zeit, in der dieses Milieu noch von Leben erfüllt war, ja gerade erblühte. Im Mittelpunkt stehen vier kleine Ganoven, die im Krieg in Mauthausen und Dachau inhaftiert wurden. Als sie danach zurück nach Wien kamen, wurden sie zu Schwerverbrechern, die über Glücksspiel und Zuhälterei sowie einen guten Draht zur Polizei in den fünfziger Jahren die halbe Stadt kontrollierten. Die Handlung ist erfunden, lediglich Schalkos Protagonist Ferdinand Krutzler hat ein reales Vorbild. Josef Krista wurde „Notwehr-Krista“ genannt, weil es ihm gelang, seine Morde stets als Gegenwehr darzustellen.

Das Lesen des mehr als 500 Seiten dicken Wälzers stürzt in ein Wechselbad der Gefühle. Der Autor hat „Schwere Knochen“ mit viel Fleisch überzogen. Sprich: Alles wird auserzählt. Großartige Szenen und Leerlauf wechseln einander ab. Die Lektüre wird oft auf eine Weise unangenehm, die der österreichische Begriff „grauslich“ besser trifft als „ekelig“.

Grausliche politische Hintergründe

Schalko schildert, wie sich Menschen wie Krutzler entwickeln, die von früh an nur Schlechtes erlebt und gesehen haben, und wie das Klima in Österreich – egal, ob vor dem Krieg, danach oder währenddessen – ihre charakterliche Deformation noch begünstigt. Die politischen Hintergründe sind oft noch grauslicher als Krutzlers Morde, die er mit blitzschnell ausgeführten Halsstichen verübt.

Was diesem Roman leider schmerzlich fehlt, ist eine Haltung. Nein, es sind sogar zwei Haltungen, die er vermissen lässt: eine moralische und eine erzählerische, wobei Erstere nur aus Letzterer erwachsen könnte. Der von Schalko gewählte Weg über einen unpersönlichen Erzähler tut der Sache nicht gut. Der böse Krutzler und seine ebenfalls ziemlich bösen Freunde bleiben dadurch lange ungreifbar, wirken wie ­Pappkameraden. Erst gegen Ende hin, als es dem Abgrund entgegengeht, erwachen sie zum Leben. Typische Wiener eben.

Der Leser, der es so weit geschafft hat, wird mit einem ­Finale belohnt, das entfernt an Mafia-Filme mit Robert De Niro in der Hauptrolle erinnert. Wie in diesen wirkt das Böse auch bei Schalko zum Teil anziehend und sympathisch. Wenn es besonders brutal wird, stößt es einen ab. Eine differenziertere Wahrnehmung ermöglicht einem der Roman nicht, dafür fehlt es ihm an Tiefenschärfe.

Die bittere Pointe: Ja, David Schalko kann schreiben, aber aus „Schwere Knochen“ hätte er besser eine Fernsehserie gemacht. Nicholas Ofczarek wäre doch der perfekte Krutzler.

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