Gastkommentar Psychische Erkrankungen: Vorsicht vor Generalverdacht

Nach Vorfällen wie der Amokfahrt in Münster werden Antworten gesucht. Aber die Stigmatisierung psychisch Kranker sollte vermieden werden.

Eine Person sitzt zusammengekauert in der Ecke

Psychische Erkrankungen sind divers und sollten nicht zusätzlich stigmatisiert werden Foto: unsplash/Verne Ho

Ein gewaltsamer Vorfall wie in Münster erschüttert die Menschen und es ist verständlich, nach den auslösenden Ursachen zu fragen. Trotzdem hält es die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie (DGPPN) als wissenschaftliche Fachgesellschaft für unangemessen und vorschnell, auf der Basis unvollständiger Informationen die mögliche Rolle einer psychischen Erkrankung beim Täter zu diskutieren. Das Unfassbare menschlichen Handelns darf nicht automatisch mit „psychisch krank“ gleichgesetzt werden. Menschen mit psychischen Erkrankungen, und dazu zählt zeitweise jeder Dritte in Deutschland, dürfen nach schweren Gewalttaten nicht unter Generalverdacht gestellt werden.

Studien und Statistiken belegen, dass es in der Regel andere Faktoren sind, die zu einer solchen Tat führen – etwa Alkohol- und Drogenmissbrauch und frühe eigene Gewalterfahrung. Eine adäquate Ursachenzuordnung kann deshalb erst nach fundierter psychiatrischer Diagnose erfolgen.

In der öffentlichen Diskussion wird fälschlicherweise vermittelt, dass von Menschen mit psychischen Erkrankungen Gefahren für die Allgemeinheit ausgehen können, die Schutzmaßnahmen erforderlich machen. Diese pauschale Auffassung trägt jedoch wesentlich zur Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen bei und führt dazu, dass Betroffene ihre Krankheit verbergen und spät oder auch gar nicht professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.

Je eher und je kontinuierlicher aber Krankheitsbilder behandelt werden, desto größer ist die Chance auf Therapieerfolg. Doch Vorurteile in der Bevölkerung und eine undifferenzierte Berichterstattung können Betroffene davon abhalten, sich in Behandlung zu begeben. Eine verantwortungsbewusste Aufklärung durch Fachexperten, Medien und Behörden ist daher notwendig. Ebenso ist die Politik gefordert, eine bedarfsgerechte Versorgung zu gewährleisten und für einen niedrigschwelligen Zugang zum Hilfesystem, ausreichende Behandlungsplätze und eine Verkürzung der Wartezeiten zu sorgen.

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