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Gaza-TagebuchWarum dürfen wir nicht einfach leben?

Das Wiederaufflammen des Krieges in Gaza am Sonntag erschreckt unseren Autor. Er fordert: weg mit der israelischen Besatzung. Und raus mit der Hamas.

Chan Yunis, Gazastreifen, nach Luftangriffen am 19. Oktober Foto: Ramadan Abed/reuters

M ein Herz schmerzt. Von Anfang an hatte ich das Gefühl, dass etwas passieren würde, dass die Waffenruhe doch wieder enden würde. Ich konnte nicht glauben, dass der Krieg einfach so zu Ende gegangen sein sollte.

Mein Instinkt schien richtig zu sein: Am Sonntag ist der Krieg temporär zurückgekehrt. Von den ersten Augenblicken an, als die israelischen Luftangriffe auf Gaza wieder aufgenommen wurden, fühlten wir uns völlig verloren.

Für ein paar Tage – sie fühlten sich an wie ein Wimpernschlag – hatten wir bis zum Sonntag das Gefühl, dass der Krieg wirklich beendet sein könnte. Dass ein neues Leben beginnen könnte – ein Leben mit einem gewissen Maß an Stabilität, auch wenn es natürlich voller Herausforderungen blieb. Zumindest hatten wir die Hoffnung, dass die ständigen Vertreibungen endlich vorbei wären, dass wir uns wieder frei bewegen könnten. Gerade als am Sonntag die Angriffe begannen, waren meine Familie und ich dabei, uns auf einen Umzug in den Norden des Gazastreifens vorzubereiten.

Jetzt verfolgen uns erneut diese Fragen: Wird der Gazastreifen doch vollständig besetzt? Und was bleibt dann von Gaza übrig? Und überhaupt: Was rechtfertigt all das anhaltende Töten?

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Die Auswirkungen des Krieges spüren wir sofort

Innerhalb weniger Stunden verschwanden am Sonntag die Lebensmittel aus Deir al-Balah. Und die Preise für Güter der absoluten Grundbedürfnisse begannen wieder zu steigen.

Wir befanden uns erneut im Krieg. Und allein dieses Gefühl ließ mich fast ersticken. Wir fühlten uns erneut, als sollten wir sterben. Warum dürfen wir nicht einfach leben – so wie der Rest der Welt?

Wir wollen keine israelische Besatzung. Und wir wollen keine Hamas im Gazastreifen. Lasst uns in Ruhe. Lasst uns ohne Einmischung von außen leben. Lasst uns in Frieden.

Wir wollen unser Leben neu aufbauen, weit weg vom Lärm der Granaten, weit weg vom Anblick des Blutes an den Wänden unserer Häuser. Ich möchte zu ruhigen Klängen einschlafen und nicht zu Geräuschen, die mich immer wieder aus dem Schlaf reißen. Die mich hochschrecken lassen, in der Annahme des Schlimmsten. Ich möchte, dass Musik durch die Straßen hallt statt Raketen.

Wir verdienen es zu leben. Die Welt muss das begreifen. Die Waffenruhe ist offiziell zurückgekehrt. Die Angst bleibt.

Nahost-Konflikt

Nach dem Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 startete das israelische Militär eine Offensive in Gaza, 2024 folgte der Vorstoß gegen die Hisbollah im Libanon. Der Konflikt um die Region Palästina begann Anfang des 20. Jahrhunderts.

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Aus dem Englischen: Lisa Schneider

Mahmoud Al-Masri ist 20 Jahre alt und wurde innerhalb des Gazastreifens in den vergangenen beiden Jahren mehrfach vertrieben.

Internationale Jour­na­lis­t*in­nen können seit Beginn des Kriegs nicht in den Gazastreifen reisen und von dort berichten. Im „Gaza-Tagebuch“ holen wir Stimmen von vor Ort ein. Es erscheint meist auf den Auslandsseiten der taz.

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6 Kommentare

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  • Warum dürfen wir nicht einfach leben? fragt der Autor, und die traurige Antwort ist: Weil auf beiden Seiten die entscheidenden Kräfte keinen Frieden wollen. Auf palästinensischer Seite ist es die Hamas, auf israelischer Seite die Regierung Netanjahu. Beide würden viel, nein, alles verlieren, wenn es endlich Frieden gäbe.



    Der Augenblick der Hoffnung dauerte nur einen Herzschlag lang an. Es ist einfach nur grausam, was dort geschieht.

    • @Klabauta:

      Was würde die Regierung in Israel denn bitte verlieren? Die nächste Wahl in Israel ist Oktober 2026. Ein dauerhafter Friede und zurückgekehrte Geiseln dürfte für diese demokratische Wahl wohl eher von Vorteil sein für die aktuelle Regierung.

  • Dieses Statement ist absolut nachvollziehbar und mir tut es im Herzen weh, das zu lesen.



    Aber solange eine Terror-Organisation die täglichen Geschäfte regelt und sich gebiert wie ein Wahnsinniger auf Speed,



    solange dieser Terror von Staaten finanziert wird, der die Auslöschung Israels zum obersten Ziel erkoren hat,



    solange ein Staatschef mit allen Mitteln und einer enormen Militärmacht durchpeitscht, blutige biblische Rache zu üben,



    solange wird Mahmoud und alle Palästinenser ein Spielball der Gewalt bleiben.

    • @bmw_sepp:

      Dem ist nichts hinzuzufügen. Es ist eine Schande.

  • Dieser Aufruf ist authentisch, beeindruckend und - herzzerreissend.



    Da werden allerhand Süppchen gekocht: von Israel, Trump-USA, Arabern und den "Wegguckern". Warum kann man nicht den ureigenen Wünschen von Menschen nachkommen, sie einfach nur in Frieden zu lassen? Es ist Gier, Machtgeilheit, Geltungsbedürfnis und -vor allem- unverantwortliche Gleichgültigkeit zum Eigennutz. Alle Religionen lehen solche Dinge strikt ab, alle. Nur: wer hält sich daran??

  • Langsam wird deutlich, dass die sog. Friedensverhandlungen vor allen Dingen den Geschäftsinteressen des Trumpclans und der Araber (Saudis, Katar) gedient haben. Das hat mit den Israelis, Palästinensern oder der Hamas direkt nichts zu tun. Im Gegenteil Trump hat letztere noch als Ordnungstruppe in Gaza befördert. So lange die USA und die Araber die Materialisierung der Idee der Vernichtung Israels (in Gestalt der Hamas) dulden, wird es leider so weiter gehen wie bisher.