Gazprom-Pipeline Nord Stream eröffnet: Das Rohr zum Westen

Der russische Staatskonzern Gazprom gebietet über riesige Energiereserven. Mit Nord Stream nimmt er seine westlichen Partner in die Zange.

Die Arbeit der Verlegeschiffe ist beendet, die Ostseepipeline wird eröffnet. Bild: dpa

MOSKAU taz | Schon der Auftakt war symbolträchtig. Auf halbem Wege ging es los, als das Schiff "Castoro 6" vor Gotland die erste Röhre, zwölf Meter lang und mehr als 20 Tonnen schwer, für die Pipeline zu Wasser ließ. 200.000 Röhren wurden seit April 2010 auf dem Grund der Ostsee zur ersten direkten Gastrasse zwischen Russland und Deutschland verschweißt, jede Röhre zum Preis von 15.000 Euro.

Die Gesamtkosten für die 1.224 Kilometer lange Trasse belaufen sich auf 7,4 Milliarden Euro. Neben dem russischen Mehrheitsaktionär Gazprom, der 51 Prozent hält, beteiligen sich auf deutscher Seite die BASF-Tochter Wintershall und die Eon Ruhrgas AG mit je 15,5 Prozent. Frankreich und die Niederlande sind mit je 9 Prozent beteiligt.

Die Nord-Stream-Pipeline ist damit eines der wichtigsten energiepolitischen Projekte Europas der letzten Jahrzehnte. Zur Inbetriebnahme der Leitung reist heute hoher Besuch nach Lubmin an den Greifswalder Bodden. Zu den 420 Gästen gehören Bundeskanzlerin Angela Merkel, der russische Präsident Dmitri Medwedjew, der französische Premierminister François Fillon und der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte.

Gerhard Schröder: Angela Merkel wird am Dienstag beim Festakt auch ihrem Vorgänger Gerhard Schröder die Hand schütteln können. Schröder reiste im Juli 2004 mit DAX-Vorständen im Schlepp zu einer Unternehmerkonferenz nach Moskau. Dort fädelte er mit dem damaligen russischen Präsidenten Wladimir Putin den umstrittenen Bau der Ostseepipeline ein. Polen fühlte sich über- und umgangen, die Ukraine und Weißrussland fürchteten, dass die durch ihr Gebiet führenden Leitungen für russisches Erdgas an Bedeutung verlieren.

Für Gerhard Schröder hat sich der Deal gelohnt: Er wurde Ende März 2006, kurz nach seinem Abgang von der politischen Bühne, Vorsitzender des Aktionärsausschusses von Nord Stream - Entlohnung 250.000 Euro.

Mit dem direkten Rohr zum Westen ist Russland ein Coup gelungen. Moskau kann die politisch unbotmäßigen Transitländer Weißrussland und die Ukraine umgehen. Auch mit Polen muss es sich jetzt weniger herumschlagen. Was im Kreml, der eigentlichen Firmenzentrale des Staatsmonopolisten, indes nicht geringer zählen dürfte, ist die Aussicht, dem europäischen Endverbraucher näher gerückt zu sein.

"Könnten wir direkt an die Kunden liefern, müssten die Deutschen weniger zahlen", verheißt Gazprom-Chef Alexei Miller bei jeder Gelegenheit. Bislang konnte sich Gazprom aber nur bei einigen kleineren Versorgern in der EU einkaufen. Seit der Wirtschaftskrise hat der Drang zum Endkunden noch zugenommen. Die ökonomische Talfahrt schlug in Moskau mit minus 16 Prozent in der Gasverkaufsbilanz zu Buche. Seither sucht der Konzern nach zusätzlichen Einnahmen.

Gazproms europäische Partner fürchten ums eigene Geschäft, aber nicht nur. Schon die schiere Größe des Monopolisten flößt Angst ein, ganz zu schweigen von machtpolitischen Ambitionen. Gazprom ist einer der größten Konzerne weltweit mit einem Fünftel aller Energiereserven. Allein 17 Prozent der Gasförderung bestreitet das Unternehmen. Seit Wladimir Putin Gazprom zum Flaggschiff des russischen Staatskapitalismus ausbaute, hat das Imperium ein unüberschaubares Ausmaß angenommen.

Gazprom-Hüter Putin

Versicherungen, Fernseh- und Radiosender, Zeitungen und Zeitschriften, der Ölableger Gazpromneft, eine Fluglinie und ein Skiresort gehören dazu wie auch das monopolisierte Pipelinenetz und die unzähligen Firmen, die die Funktionstüchtigkeit des Kraken und der fast 400.000 Beschäftigten garantieren. Hüter des Imperiums sind ausschließlich enge Vertraute des "nationalen Liders" Wladimir Putin. Er ist ein leidenschaftlicher "Gasowik", ein "Gazprom-Mitarbeiter", der jede Kompressorstation zu kennen scheint.

Wie viele Tentakel es genau sind, weiß wohl nicht einmal die Zentrale, da Intransparenz und Vetternwirtschaft auch Gazprom-Markenzeichen sind. Nach einem Blick in die Bücher meinte ein internationaler Wirtschaftsprüfer, allein zwei Jahre seien nötig, um das Geflecht zu durchschauen.

10 Prozent des russischen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet das Unternehmen. An Gleichbehandlung ist es dank Wladimir Putin nicht gewöhnt, der mit Gazprom-Hilfe Russland als neue Energiesupermacht etablieren möchte. Gazprom gedeiht daheim von jeher unter Treibhausbedingungen. Vom Erlös zahlte es 2008 nur 19 Prozent Steuern, während der nichtstaatliche Konzern Lukoil etwa 56 Prozent entrichten musste.

Führt Gazprom für eine Energieeinheit 7,30 Dollar ab, müssen Konkurrenten 40 Dollar berappen. Auch Dividenden schüttet es nicht aus, nicht einmal an den Staat als Mehrheitsaktionär. Das wirkt sich positiv auf die Bilanz aus, fördert jedoch Korruption, drosselt die Produktivität und steht Modernisierungen im Wege.

Daheim ist Gazprom beliebt

So misstrauisch man im Westen dem Gaslieferanten begegnet, so sehr wird er daheim geschätzt. Ein Drittel der Russen möchte laut Umfragen bei den "Gasowiki" arbeiten. Nur die Präsidialverwaltung des Kreml ist noch begehrter. Wer es unters Gazpromdach schafft, ist viele Sorgen los. Höhere Löhne, bessere Sozialleistungen, eigene Gesundheitsversorgung, zinslose Kredite für Wohnraum, kostenlose Reisen und Kinderbetreuung. Der Arbeitgeber lässt sich nicht lumpen und wird im Gegenzug mit Loyalität belohnt. "Za was, za nas, za gas!" - "Auf euch, auf uns, aufs Gas!", prosten sich die Mitarbeiter am Feiertag des "Gasowiks" im September zu.

Die Krise hat der Konzern inzwischen hinter sich. Im ersten Quartal 2011 stieg der Erlös gegenüber 2010 um 38 Prozent. Für Auftrieb sorgten die Unruhen in Nordafrika und die Aussicht auf den deutschen Atomausstieg.

Moskau will sich die führende Rolle nicht streitig machen lassen. Nach der Ostseepipeline plant es noch eine Südroute, den South Stream durch das Schwarze Meer. Sie soll Gas aus Aserbaidschan und Zentralasien nach Europa fördern. Es ist ein Konkurrenzprojekt zur Nabucco-Trasse, mit der sich die EU gegen Kreml-Launen absichern wollte. Putins Emissäre sind rund ums Kaspische Meer unterwegs, um Gasbestände aufzukaufen.

Noch konnte aber keiner der beiden Konkurrenten wenigstens mit Lieferzusagen die imaginären Röhren füllen. Auch in Deutschland versucht der Kreml - bei RWE etwa - Investoren für die Südtrasse zu finden und das EU-Bemühen um Diversifizierung zu hintertreiben. Noch ist der Ausgang offen.

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