Gedanken zum Muttertag: Immer schön locker bleiben

Es ist der zweite Muttertag, seit ich ein Kind bekommen habe. Was bin ich denn jetzt? Raben-, Helikopter- oder Insta-Mom?

Mütter in Sportbekleidung, mit Babys auf dem Arm und mit Kinderwagen beim Sport im Park

Schlank sein, gut aussehen: „Mamalauf“ in einem Park im sächsischen Döbeln Foto: Waltraud Grubitzsch

Neulich saß ich im Garten einer Freundin. Ein Garten, rund um einen Neubau mit bodentiefen Fenstern in Berlin-Neukölln. Vier Frauen Anfang 30 mit jeweils einem einjährigen Kind, Sekt trinkend und Kuchen essend. An einem Mittwoch. Gesprächsthemen: Kita-Eingewöhnung, Junkie-Spritzen auf Spielplätzen, Reisen mit Kind.

Drei Punks kamen vorbei, zwei Männer, eine Frau, Mitte 20. Sie blieben stehen und schrien: „Drecksvolk. Ihr macht Neukölln kaputt.“ Das machte mich sprachlos. Denn alles, was mir einfiel, war: Ihr habt ja recht.

Schon bevor die drei schrien, hatte ich mich unwohl gefühlt. In der Sonne sitzen, wenn andere arbeiten. Über Kinder reden statt über die AfD, Syrien oder Kollegah beim Echo. Auf Spielplätzen sitzen statt in Theatern, auf Konzerten und in Clubs. Vollgesabberte Pullover tragen statt eine schicke Bluse. Ich war eine richtige Mutter geworden und schämte mich dafür.

Dabei habe ich nie so etwas Schönes erlebt, wie ein Kind zu kriegen. Meins ist 14 Monate alt, hat einen runden Kugelbauch und blonde Locken, läuft etwas tapsig und brabbelt unverständliches Zeug. Trotzdem fällt es mir schwer zu sagen: Mutter sein ist toll!

Negative Bilder

Die Mutter ist heftig umkämpft. Jeder hat eine, viele sind eine, und trotzdem sind die Mutterbilder, die öffentlich diskutiert werden und in denen auch ich mein Muttersein vermesse, vor allem negative: Rabenmutter, Glucke, Latte-Macchiato-Mutter, Helikoptermutter und ganz aktuell die „Insta-Mom“, die sich und ihr Kind perfekt ausgeleuchtet als Lifestyle im Internet inszeniert.

Ich bin mit meinem Unwohlsein nicht allein. Die Autorin Antonia Baum hat gerade ein sehr kluges Buch geschrieben, das die Schizophrenie der Mutterrolle auf den Punkt bringt. „Stillleben“ heißt es und schon allein der Titel ist preiswürdig. Denn es ist doch so: Wenn man bei Amazon nach Büchern sucht, die „Mutter“ im Titel tragen, findet man mehr als 20.000 Ergebnisse.

Ich war eine richtige Mutter geworden und schämte mich dafür. Dabei habe ich nie so etwas Schönes erlebt, wie ein Kind zu kriegen

Unter den ersten fünf finden sich: „Die Kunst, keine perfekte Mutter zu sein – Das Selbsthilfebuch für gerade noch nicht ausgebrannte Mütter“, „Völlig fertig und irre glücklich – Meine ersten Jahre als Mutter“ und „Am Arsch vorbei geht auch ein Weg – Für Mütter: Wie sich dein Leben mit Kind verbessert, wenn du dich locker machst“.

Macht man die gleiche Suche für „Vater“, bekommt man 10.000 Ergebnisse. Ganz oben stehen: „So geht das! Papa: Das ultimative Anleitungsbuch“, „Wir sind Papa!: Was Väter wirklich wissen müssen“ und der „Papa Ratgeber – Überlebensbuch für werdende Väter“.

Nicht emanzipiert

Während es bei den Vaterbüchern also darum geht, Rat zu geben, weil der Vater, der sich um seine Kinder kümmert, neu ist im Business, scheint es bei Mütterbüchern darum zu gehen, nicht durchzudrehen. Viele dieser Ratgeber sind fluffig geschrieben – haha, wir Mütter, ist aber auch lustig, wie viel Sorgen wir uns machen, wie wir versuchen, alles unter einen Hut beziehungsweise unter eine Windel zu kriegen und dabei auch noch gut auszusehen.

Das Problem an diesen Büchern ist, dass sie nicht halb so emanzipiert sind, wie sie klingen. Weil sie nicht fragen, woher es kommt, dass Mütter durchdrehen und Väter einfach nur angeleitet werden müssen – und vor allem nicht, wie sich das ändern lässt.

Antonia Baum: „Stillleben“. Piper Verlag, München 2018. 220 Seite, 20 Euro

Darauf weiß auch Antonia Baum keine einfache Antwort, aber sie hat ein paar Ideen. Sie hat lange für das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung geschrieben, mittlerweile arbeitet sie für die Zeit. Ihre Themen bisher waren unter anderem: Zeitgeist, HipHop, Internet, Literatur. Das Schöne, Hippe, Coole eben. Über Kinder, da war sie sich vor der Geburt sicher, würde sie nie schreiben. Weil AutorInnen, die sich mit dem scheinbar profanem Familienzeug beschäftigen, nicht ernst genommen würden.

An einem Apriltag der sich nach Juni anfühlt, sitzt sie in einem Café im Prenzlauer Berg. Sie wohnt dort seit sie ein Kind bekommen hat. Es ist der Stadtteil, wo die Latte-Macciato-Mütter zu Hause sind, die eigentlich niemand sein will, auch Antonia Baum nicht. Eltern, das waren für Baum die, die „verzottelt rumlaufen, kitschbereit“ seien und sich nur noch mit „entwürdigenden Wörtern“ ausdrücken: Kita, Pekip, Manduca. Baum war überzeugt: Mit einem Kind ziehen das Chaos in ihr Leben ein, und die Kreativität und Flexibilität aus.

Frauen beleidigen sich selbst

„Ich habe unreflektiert all die negativen Annahmen über Mütter übernommen, die man im Laufe des Lebens mitbekommt“, sagt Baum. Erst später habe sie festgestellt, dass sie damit Frauen generell abwerte, und letztlich sich selbst beleidige. Dabei ist Baum entzückt von ihrem Kind. „Das Baby passierte mir wie ein Wunder“, schreibt sie. „Es roch gut und war schön, wie noch nie etwas schön gewesen war.“

Trotzdem muss auch Baum heute, wo sie seit knapp zwei Jahren Mutter ist, eine Weile überlegen, welche positiven Mutterbilder ihr einfallen. „Madonnen“, sagt sie dann. Die findet sie schön, sie hat mehrere davon zu Hause herumstehen. Und dann gibt es ja noch „Mutter Erde“ und „Mutter Natur“. Aber auch in denen steckt nicht nur Positives: Wer will heute, bei Frauenquote und einer Bundeskanzlerin schon noch die Übermutter sein, die sich für die Kinder aufopfert? Nicht einmal mehr Frauke Petry.

Wer sich dennoch dafür entscheidet, läuft Gefahr, als „Helikoptermutter“ abgestempelt zu werden und damit genauso verhasst zu sein wie die karriereristische Rabenmutter. Spiegel Online hat gerade dazu aufgerufen, Helikopter-Eltern zu denunzieren. „Sind Sie Hebamme, Lehrer, Erzieher, Kinderarzt? Haben Eltern schon mal absurde Forderungen an Sie gestellt?“ Wenn ja, würde sich die Spiegel-Online-Redaktion freuen, wenn man ihnen „die absurdesten Anekdoten und/oder anonymisierte WhatsApp-Dialoge einsendet“.

Antonia Baum sieht zwei Gründe dafür, warum sich jede und jeder berechtigt fühlt, über Mütter zu urteilen. „Die Mutter ist Allgemeingut. Sie gehört allen, denn eigentlich ist sie ja nichts. Man braucht keine Qualifikation um Mutter zu sein“, sagt Baum. „Außerdem berührt die Mutter die sogenannte Nation, denn sie bringt das hervor, was diese Nation am Leben erhält: die Kinder. Und für diese Nation fühlen sich viele Menschen zuständig.“ Denn sie geht ja alle an.

Ideologisch umkämpft

Wie verrückt einen das als Mutter macht, beschreibt Antonia Baum in ihrem Buch so: „Ich wollte meine Pflicht tun (heißt: sexuell befreit sein, ein gepflegtes Äußeres und eine heterosexuelle Beziehung haben, eine gute Konsumentin und Mutter sein), ich wollte all diesen Pflichten nachkommen, sie nicht als solche empfinden und glücklich sein. Ich wollte mich freiwillig dafür entscheiden, was von mir erwartet wurde.“

Müttern wird vorgegaukelt, dass sie die Wahl haben – wie lange sie Elternzeit nehmen, wie sie arbeiten wollen, wo sie ihre Kinder betreuen lassen, ob und wie lange sie stillen wollen. In Wahrheit ist das aber keine freie Wahl, weil jeder Schritt im Muttersein ideologisch umkämpft ist.

Wenn ich in der Redaktion sitze, denke ich an mein Kind, und dass ich jetzt eigentlich bei ihm sein müsste anstatt mich selbst zu verwirklichen. Wenn andere Mütter erzählen, sie holen ihr Kind um 15 Uhr aus der Kita, weil es ja noch so klein sei, habe ich ein schlechtes Gewissen, weil meins genauso klein ist und ich es erst 16.30 Uhr abhole. Nach der Arbeit rase ich nach Hause, mit schlechtem Gewissen, weil ich früher Feierabend gemacht habe, schreibe in der Sandkiste noch zwei Mails, mit schlechtem Gewissen, weil andere Mütter mit ihrem Kind an der Rutsche stehen, statt am Handy zu hängen.

Jammere ich auf hohem Niveau? Weil es mir eigentlich gut geht, weil ich doch alles habe? „Ich kann ihn nicht mehr hören, diesen ‚Stell-dich-nicht-so-an-Imperativ‘“, sagt Antonia Baum. „Als wäre die Klage über die Überforderung die viele Mütter erleben, eine Befindlichkeit und unser privates Problem. Dabei haben sie strukturelle und historische Ursachen. Es geht bei der Diskussion doch um die ziemlich grundsätzliche Frage wie Menschen heute Leben wollen und können.“

Sorgearbeit besser bezahlen

Ein erster Schritt zur Lösung, meint Baum, wäre es, soziale Berufe, Erzieher, Alten- und Krankenpfleger, besser zu bezahlen. Um Sorgearbeit endlich als das anzuerkennen, was sie ist: ein essentieller Bestandteil, ohne den die Gesellschaft nicht funktionieren würde. Die Feministin Laurie Penny sagt: Wenn alle Frauen eines Morgens entscheiden würden: Wir lassen das heute mit der Hausarbeit, wir tun nicht, was von uns erwartet wird – schön aussehen, duften, konsumieren –, dann würde der Kapitalismus zusammenbrechen.

Insofern ist die Frage, was für eine Mutter ich sein will – Raben, Latte Macchiato oder Helikopter – nicht nur falsch, sondern vor allem unsolidarisch. Die Frage muss doch eher sein: Wie kriegen wir diese Begriffe endlich verbannt? Sie sind beleidigend und helfen niemandem.

Kinder zu haben ist eine ziemlich anstrengende Angelegenheit – nebenbei arbeiten, eine funktionierende Beziehung führen, Freunde und Familie nicht vernachlässigen und das tägliche Organisationschaos bändigen sind Aufgaben, die eigentlich nicht gleichzeitig zu leisten sind. Wie wäre es da mit ein bisschen mehr Nachsicht und weniger Härte gegenüber sich selbst und anderen Müttern (und Vätern)?

Wäre doch schön, wenn alle öfter in der Sonne sitzen und Sekt oder Cola trinken könnten – auch die Kinderlosen und die Punks.

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