Gefühltes Geschwätz: Der Sommerlochverbotsreflex

Ein Sommerloch ohne Sommer, dafür mit viel Donner, Blitz und Nässe. Die Disziplinierungsfantasien von Politikern allerdings hagelt es pünktlich wie jedes Jahr.

Es braucht ja etwas, worüber man sich unter der als Regenschutz umfunktionierten Café-Markise unterhalten kann. Bild: imago/Steinach

Man kann es ja auch mal verstehen: Ein Sternburg Export – liebevoll Sterni genannt – kostet nach nicht repräsentativen Erhebungen in Berlin-Kreuzberger Spätkäufen um die 70 Cent. Wenn sich ein Jugendlicher drei davon reinpfeift, hat er gut zwei Euro in einen möglicherweise noch angenehmen Rausch investiert, für gut drei Euro kann er sich schon in die Rabatten übergeben. Schön wird das niemand finden, nicht mal die Ratten – aber ist es schon Grund genug für ein totales Alkoholverkaufsverbot an unter 18-Jährige, wie es der Berliner Gesundheitssenator Mario Czaja jüngst anregte?

Lassen wir die Frage zunächst wie eine Stange Bier stehen und wenden uns der Familienministerin Dr. Kristina Schröder (CDU) zu. Bei ihr mündete der Sommerlochverbotsreflex in einen Gesetzentwurf, nach dem Jugendliche bis zum 16. Lebensjahr bei Konzerten, Schützen- und Stadtfesten, bei denen Alkohol ausgeschenkt wird – gibt es andere? – nur noch bis 20 Uhr ohne einen Erwachsenen an ihrer Seite mitfeiern dürfen sollen. Ministerin Schröder schlug für ihre Anregung in der Saure-Gurken-Zeit die Ablehnung so reichlich einhellig entgegen, dass wir uns auch in diesem Fall erst mal abwägend zurücklehnen wollen und die nächste Du-darfst-nicht-mehr-Fantasie aufgreifen.

Die kam von NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD): „Die Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit für Radfahrer muss von 1,6 auf 1,1 Promille gesenkt werden“, pedalte er in die Öffentlichkeit. Betrunkene Radfahrer seien eine Gefahr für sich und andere. Damit müsse Schluss sein. Allein in der Fahrradstadt Münster – ein by the way ziemlich perfider Erhebungsort – seien 2011 234 betrunkene Radfahrer belangt worden.

Schon eine Woche vorher hatte der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Bernhard Witthaut, für eine Verschärfung der Promillegrenze für Radfahrer plädiert. „Der Spaß hört da auf, wo Verkehrsteilnehmer nicht mehr in der Lage sind, sicher am Straßenverkehr teilzunehmen.“

Endlich frei

Man wird nun zwar erwartbar, aber eben auch notwendigerweise zu bedenken geben müssen: Wenn schon die schöne Urlaubszeit zur trüben Verbotszeit wird – warum dann nicht gleich die großen Themen: Nazis, Kohlekraftwerke, Währungsspekulation? Warum kein Verbot von Flughafeneröffnungsverschiebungen? Von Sätzen wie „Der liebe Gott hat es gefügt, dass ich allein durchs Leben gehe“?

Was ist es, das den Homo Politicus in den großen Ferien nicht zum guten Buch, sondern zur Presserklärung greifen lässt? Ist es der Sommer? Oder ist es nicht vielmehr das Loch? Müssen wir uns Politiker als Menschen vorstellen, die das ganze Jahr auf die Lücke in der Deckung der öffentlichen Aufmerksamkeit warten, um dann endlich in den freien Raum vorstoßen zu können, also endlich frei zu sein? Und warum kommt dann immer nur Negatives heraus, von der Sonderabgabe für Dicke (2010) bis zur elektronischen Fußfessel für Schulschwänzer (2003)?

Genug gefragt: Es sind ja nicht zuletzt die Journalisten, die den alljährlichen Nonsens dankbar aufnehmen und in die Welt blasen; und das Publikum am Strand bzw. unter der zum Regenschutz umfunktionierten Café-Markise hat etwas, worüber es sich in der dumpfsten Zeit des Jahres, dem Sommer, unterhalten kann. Gegen diese Logik hülfe wohl nur: Ein Verbot. Am besten sofort. Und für alles.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.