Gegenentwürfe: Kein Bild über Kopf

Schloss Gottorf präsentiert „Realisten im Norden“. Deren idyllische Bilder mit viel Lokalkolorit wirken wie archaische Relikte, über die die Zeit hinweggegangen ist. Sie selbst empfinden sich als Gegenströmung zum zeitgenössischen Kunstbetrieb

Ambivalentes Idyll: Manfred Bluths "Altes Kriegsschiff", entstanden zwischen 1977 und 1980 Bild: Markus Hilbig

Gewiss kennen Sie das: Sie haben irgendwo an der Küste ein kleines Ferienhaus gemietet, wollen mal ausspannen und das genießen, was man gemeinhin Natur nennt, also das Meer, den Sandstrand. Und die Wolken nicht zu vergessen, die sich in Schichten über den Himmel spannen und die der flachen, scheinbar bewegungslosen Landschaft eine besondere Dramatik einhauchen.

Darum geht’s und bevor Sie es sich im Feriendomizil gemütlich machen, inspizieren Sie es – und schnell fällt Ihnen ein Bild auf, das im Wohnbereich hängt: eine Malerei. Es ist ein Original und kein preiswerter Kunstdruck, womöglich im Ikea-Rahmen. Das Bild zeigt einen Streifen Ufersaum, zeigt Möwen und Wellen, mit wenigen Strichen überzeugend angedeutet, die Wolken getupft. Es ist nicht zu abstrakt, aber auch nicht fotografisch realistisch, so dass Platz für Ideen bleibt. Kurz: Das Bild hält die Balance. Okay: Das ist keine große Kunst – aber Sie sind im Urlaub, das Bild gefällt Ihnen. Es stellt sofort ein grundsolides Gefühl von Heimeligkeit her und immer wenn Sie in den nächsten Tagen von Spaziergängen am Strand oder Fahrradausflügen zurückkehren, begrüßt Sie das kleine Strandbild dank seiner herzerfrischenden Schlichtheit und Sie grüßen zurück.

Und genau das ist das Problem. Denn die „Reithalle“, der große, lichtdurchflutete Kunstraum des Landesmuseums Gottorf, umfasst 800 Quadratmeter. Dazu kommen Kabinett und Empore. Eine Riesenfläche, und sie ist schlicht zu groß für jene kleine, sanfte Ferienhausmalerei, die im anderen Kontext ihren ganz eigenen Reiz entfaltet. Denn diese großen Hallen nehmen den kleinen Lokalkolorit-Bildern ihre Intimität. Denn auf Schloss Gottorft sind diese kleinen Bildchen umgeben von wuchtigen Landschaften, von Stillleben und Hafenansichten und brausenden Stürmen.

Zusammengeführt unter dem Label „Realismus in Norddeutschland“ zeigt sich so das Resultat der Arbeiten einer 18-köpfigen, anfangs durchaus lockeren Künstlergruppe, die sich aber 1995 den Namen „Norddeutsche Realisten“ gab. Die Mitglieder stammen fast alle aus Norddeutschland; die meisten leben noch immer hier und haben nicht vor, das je zu ändern. Gemalt, skizziert und gearbeitet wird vorzugsweise im Freien, ausgearbeitet im Atelier.

Der Brunsbüttler Ulf Petermann bietet pastelline Strandansichten, Hans-Joachim Billib schrammt in seinen Ansichten von einzelnen Höfen zuweilen hart an der naiven Malerei vorbei; Christopher Lehmpfuhl tanzt angenehm aus der Reihe, indem er seine Kliff- und Wolkenbilder beherzt mit Ölfarbe spachtelt. Und Frauke Gloyer aus Flensburg ist so vorsichtig, die Regeln der Stilllebenmalerei zu negieren, indem sie Details der Ordnung der Gesamtansicht vorzieht. Allzu selten lugt der banale Alltag um die Ecke, wie in Michael Arps Bild „Marktwagen Süderbrarup“, wo ein Verkaufswagen in der Dämmerung wenigstens einmal davon erzählt, wie trist es auf dem Lande ist. Die Idylle ist den Gruppenmitgliedern am Ende dann doch näher als der Bruch oder gar die Konfrontation.

Was fast komplett fehlt, ist eine Befragung des Genres der Malerei auf seine Wirksamkeit hin. Und das braucht man schon, im heutigen digitalen Zeitalter. Entsprechend ist die aktuelle Gruppenausstellung nicht allein formale Werkschau, sondern ebenso Postulat: Hier haben sich unter der Markierung „Realismus“ 15 Maler und drei Malerinnen zusammengefunden, denen die aktuellen und zugegeben oft abstrakten und selbstreferenziellen Debatten des akademischen Kunstbetriebs schon deshalb egal sind, weil sie seit Langem den Anschluss verpasst haben.

Nikolaus Störtenbecker, der maßgeblich die Gruppe gründete, formuliert das so: „In den 1970ern verspürte ich eine immer größer werdende Lust, die Dinge so darzustellen, wie sie aussehen. Und so ging es auch anderen Malern, die nun nach Sicht malten. In den 1980ern war das nicht mehr erwünscht. Wir flogen aus den Kunstvereinen, wir wurden nicht mehr in den Museen ausgestellt. Wir waren in einer gewissen Isolation.“

Und so sind die Exkursionen der Malergruppe nach Sylt oder an die Ostsee immer auch Bekenntnisse, sich allein an dem zu orientieren, was an Sichtbarem vorzufinden ist. Störtenbecker sagt es so: „Es ist kein neuer Kunststil entstanden, aber einer, der vom offiziellen Kunstbetrieb und von modischen Trends völlig unabhängig ist. Kann auch sein, das man zum Großkünstler nicht geeignet ist und irgendwo seine Grenze findet, das macht alles nichts. Hauptsache, man entwickelt sich und macht seine Erfahrungen am Sichtbaren.“ Und er zeigt auf die gefüllten Wände, geht ein paar Schritte vor und wieder zurück und formuliert es griffiger: „Hier muss keiner ein Bild über Kopf hängen.“

„Realisten im Norden. Eine Zwischenbilanz“: bis 20. Oktober, Schloss Gottorf
Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.