Gelände des ehemaligen KZ Semlin: Kindergarten statt Gedenkstätte

In Belgrad zog ein Kindergarten dort ein, wo Nazi-Deutschland einst Jü­d*in­nen ermordete. Das öffentliche Entsetzen ist groß.

Kinder stehen in einem Kindergarten

Nicht doch lieber ein Mahnmal? In Belgrad spielen Kinder, wo andere einst litten und starben Foto: dpa

BELGRAD taz | Als „Ort, wo sich ihre Kinder sicher und geliebt fühlen werden“, so wirbt der neue private „Kindergarten an der Save“ für sich. Kinder würden hier durch Spiel lernen, heißt es. Daneben stehen Fotos von nagelneuen Räumlichkeiten auf 950 Quadratmetern. Die Adresse: Staro Sajmište 20, Novi Beograd.

Spätestens da wird der Belgrader stutzig: Denn das ist die Adresse des ehemaligen Konzentrationslagers, während der deutschen Okkupation Serbiens als Anhaltelager Semlin bezeichnet, von Belgradern einfach Lager Alte Messe genannt. In dem Gebäude, in dem sich heute der Kindergarten befindet, war von 1941 bis 1944 das Lagerkrankenhaus eingerichtet. In das KZ kamen über die Jahre insgesamt über 30.000 Menschen; rund 11.000, vorwiegend Juden, wurden ermordet.

Der Belgrader Historiker Dejan Ristić konnte es nicht fassen. Auf Face­book postete er: „Ich verstehe nicht, was mit uns passiert, und weiß nicht, ob das überhaupt jemand verstehen kann. Ein Objekt des nazistischen KZ Staro Sajmište ist in einen Kindergarten umgebaut worden.“ Man stelle sich einen Kindergarten in Auschwitz, Dachau oder Mauthausen vor, schrieb Ristić empört. „Ihr könnt es nicht? Ich auch nicht … Natürlich nicht … Weil das nicht möglich ist … Außer bei uns.“

Sofort griffen auch Belgrader Medien die Geschichte auf. „Skandalös! Ein Kindergarten wird in einem Gebäude des nazistischen Lagers eröffnet“, titelte die Tageszeitung Blic. „Nach einer Disco und einem Restaurant kommt nun ein Kindergarten auf das Gelände der alten Messe“, berichtete die Tageszeitung Danas. Weder der Status des KZ-Geländes noch die Eigentumsfrage sei jemals geregelt worden – obwohl die Stadtverwaltung vor zwei Jahren entschieden habe, dass auf dem Areal eine Gedenkstätte errichtet werden soll. „Der Kindergarten ist nur die Spitze des Eisbergs, dort befinden sich auch ein Fitnesszentrum und Kneipen“, erklärte der Vorsitzende des Bundes jüdischer Gemeinden Serbiens, Robert Sabadoš. Da sei ein Kindergarten noch das kleinere Übel.

Der Eigentümer bleibt uneinsichtig

An denen mangelt es in Belgrad. Das Geschäft mit Vorschulkindern blüht. So erklärt sich Dragana Soćanin vom Vorstand des Vereins Eltern, dass manche Eltern ihre Kinder trotz der Geschichte des alten Messegeländes dem umstrittenen Kindergarten anvertrauten.

Der Eigentümer des Objekts mit der Adresse Staro Sajmište 20 findet nichts dabei. Im Gespräch mit der Tageszeitung Politika sagt Miodrag Krsmanović, dass er es 1998 völlig legal für rund 2 Millionen D-Mark erworben habe. Zuerst versuchte er es mit einem Nachtklub, dann mit einem Fitnesszentrum. Als ihm die Behörden sagten, es schicke sich nicht, an dem Ort des Grauens zu saufen und zu tanzen, habe er das auch eingesehen, erklärt er. Was könne er denn tun? Eine Bildungsanstalt oder so etwas eröffnen. Das habe er dann auch getan, nämlich den Kindergarten.

Obwohl über die Eigentumsrechte des Objekts ein Prozess im Gange ist, kann Krsmanović alle notwendigen Dokumente für den Kindergarten vorweisen. Er weist darauf hin, dass auf dem Messegelände rund 5.000 Menschen leben, und beschuldigt den Staat, die Verhältnisse seit mehr als sieben Jahrzehnten nicht geregelt zu haben. Das Bildungsministerium weist die Schuld von sich: Es sei nicht zuständig dafür, an welchem Ort private Kindergärten eröffnet würden, sondern dafür, ob sie alle Kriterien erfüllten. Die Genehmigung bekam Krsmanović von der Belgrader Bildungsinspektion.

Manche Medien erinnerten an die Gräueltaten in dem KZ, etwa daran, dass Lagerinsassen in einem umgebauten Lkw mit einem Kastenaufbau von 5,8 Meter Länge und 1,7 Meter Höhe durch Abgase erstickt wurden. Der Lkw konnte 80 bis 100 Häftlinge fassen. Von März bis Mai 1942 fuhr er fast täglich zu einem Schießplatz bei Avala, etwa 15 Kilometer südöstlich von Belgrad. Dort wurden die Leichen vergraben.

Lagerkommandant Herbert Andorfer wurde nach dem Krieg zu sechs Jahren Haft verurteilt und nach drei Jahren freigelassen. Im Fall seines Stellvertreters Edgar Enge lautete das Urteil: „Von einer Verurteilung wird abgesehen.“ Der Kindergarten im ehemaligen Belgrader KZ wird zwar von der Öffentlichkeit verurteilt, ansonsten aber darf er weiter Kinder aufnehmen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.