Genetiker über die Herkunft der Europäer: „Ureuropäer hatten dunkle Haut“

Paläogenetiker Johannes Krause analysiert mit seinem Team Gene aus der Vorgeschichte. Sie kommen so auch der Herkunft der Europäer auf die Spur.

Johannes Krause vor dem MPI in Jena

Untersucht alte DNA: Paläogenetiker Johannes Krause Foto: Sven Doering/Agentur Focus

taz: Herr Krause, wenn seit einem Jahr verstärkt Flüchtlinge aus dem Nahen Osten nach Deutschland kommen, treffen wir dann auf alte Bekannte?

Johannes Krause: Alle Menschen sind irgendwo alte Bekannte. Der Mensch hat sich vor 50.000 Jahren aus Afrika heraus entwickelt. Danach gab es viele Verschiebungen, eine Eiszeit in Europa. Die Menschen haben sich zurückgezogen und danach wieder ausgebreitet, Vermischungen gehörten immer dazu.

Sie haben Hunderte prähistorische Skelette untersucht und können anhand deren Gene auf Wanderungsbewegungen schließen. Was haben Sie über die Herkunft der Europäer herausgefunden?

Dass wir eine genetische Mischung sind, die im Laufe der Zeit entstanden ist. Vor 14.000 Jahren kam es zur ersten Einwanderung nach Europa wahrscheinlich von Menschen, die mit denen aus dem heutigen Nahen Osten eng verwandt sind. Vor 8.000 Jahren wanderten dann erneut Menschen aus dem Nahen Osten ein, vor zirka 5.000 Jahren dann aus Asien.

Wie genau finden Sie so etwas heraus?

Nehmen wir die Migration vor 8.000 Jahren. Es gibt schon lange Hinweise in der Archäologie, dass mit dem Ackerbau und der Viehzucht Menschen nach Europa kamen. Es hätte aber auch sein können, dass sich die Ureuropäer diese Techniken von den Nachbarn abgeschaut haben, ohne Migration. Wir haben die Gene der Menschen in dieser Zeit untersucht und festgestellt, dass es da eine sehr große genetische Verschiebung gab. Anhand unserer Analysen können wir jetzt sagen: Ja, es hat eine starke Zuwanderung aus dem Nahen Osten vor circa 8.000 Jahren gegeben.

Was heißt stark?

Bis zu 90 Prozent der Gene in Europa wurden zu dieser Zeit ersetzt. Wenn man das auf heute überträgt, hieße das: Nicht ein paar Millionen Menschen wandern ein, sondern zehn Milliarden.

35, ist Professor und Direktor am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena. Im Mittelpunkt seiner Forschung steht die Analyse von alter bis sehr alter DNA mithilfe der DNA-Sequen­zie­rung. Der Archäo- und Paläogenetiker war auch maßgeblich an der Entschlüsselung des Erbguts des Neandertalers beteiligt.

Wie kamen die Menschen nach Europa?

Das können wir nur grob sagen. Wahrscheinlich wanderten die Menschen über Anatolien und Südosteuropa nach Zentraleuropa ein.

Eine jungsteinzeitliche Balkanroute?

So genau wissen wir das nicht. Die Leute erreichten Europa natürlich auch nicht wie heute innerhalb weniger Monate. Bis sich der Ackerbau vom Nahen Osten über die Türkei nach Mitteldeutschland ausbreitete, dauerte es 2.000 Jahre. Da gab es keinen langen Wagentreck. Mit dem Ackerbau hatten die Menschen schlicht die Möglichkeit, mehr Kinder zu ernähren, sie breiteten sich aus. Es begann damals eine Bevölkerungsexplosion, die zu den sieben Milliarden Menschen führte, die heute auf der Erde leben.

Die Forscher haben nicht nur menschliche Skelette, sondern auch tierische Überreste untersucht.

Bei Schweinen, Rindern und Ziegen stellte man fest: Auch diese Nutztiere stammten aus dem Nahen Osten, sie wurden dort domestiziert. Getreidesorten wie Gerste, Einkorn, Emmer kamen ebenfalls aus dieser Region.

Lassen die Gene Schlüsse zu, wie die Menschen damals aussahen?

Wir können tatsächlich sagen, wie sich das Erscheinungsbild verändert hat im Laufe der Zeit. Vor der Eiszeit hatten die bisher untersuchten Menschen in Europa alle braune Augen, nach der Eiszeit waren die Augen blau. Die Ureuropäer, die vor Zehntausenden Jahren in Europa lebten, hatten eine dunkle Hautfarbe. Das entspricht nicht dem üblichen Bild. Wenn ich ins Museum gehe, sind die Jäger und Sammler von vor 10.000 Jahren meist weiß dargestellt – dabei waren sie schwarz und hatten blaue Augen. Sie wiesen keines der Gene auf, die heute eine helle Hautfarbe verursachen. Die heutige helle Haut hat sich erst in der Bronzezeit in Europa ausgebreitet, also vor circa 5.000 Jahren.

Neben den Wanderungsbewegungen aus dem Nahen Osten stellten Genetiker noch etwas fest: An circa 5.000 Jahre alten Skeletten fanden Sie genetische Spuren aus der Region nördlich des Kaukasus. Sind wir also auch mit Russen verwandt?

Was wir heute als Russen bezeichnen, ist eine Population, die sich erst in den letzten Jahrhunderten entwickelte. Aber tatsächlich kam es vor 5.000 Jahren zu einer massiven Einwanderung aus der Steppe Osteuropas und Zentralasiens. Diese Menschen hatten Wagen, Pferde, sie waren in Gruppen mit großen Viehherden unterwegs und sehr mobil. Sie kamen und ersetzten die lokale Ackerbaupopulation, in deren Genen finden wir eine massive Verschiebung.

Keiner lässt sich gerne ersetzen. Hat es deswegen Kriege gegeben?

Wie es zu der Verschiebung kam, lässt sich nur spekulieren. Auch, welche sprachlichen und kulturellen Veränderungen es in Europa gab, ist in der Diskussion. Was wir aber nachweisen können, ist, dass diese Menschen die Pest nach Europa brachten – 4.000 Jahre bevor wir dachten, dass die Pest in Europa überhaupt eine Rolle spielte. Vielleicht ist auch das eine Erklärung, warum die Bevölkerung so stark ausgetauscht wurde.

Manche Archäologen sind skeptisch, was die Zuwanderung aus der Steppe angeht, weil sie anhand archäologischer Befunde keine Anzeichen für Migration erkennen können. Zum Beispiel in der Bestattungskultur: Die für die Steppenbewohner typischen Hügelgräber finden sich nicht in Mitteleuropa wieder.

Die archäologische Forschung ist früher davon ausgegangen, dass es diese Zuwanderung gab, später wurde das wieder zurückgenommen. Als ich die Ergebnisse unserer Genanalyse das erste Mal vor Archäologen präsentiert habe, waren viele sehr unglücklich. Sie sagten, sie hätten diese Zuwanderung schon vor 50 Jahren widerlegt. Wir finden in den Genen aber eine klare Verschiebung, diese lässt sich schlecht wegdiskutieren. Jetzt müssen wir uns mit den Archäologen zusammensetzen und schauen, wie wir da weiterkommen. Es gibt im Übrigen auch heute sehr wohl Archäologen, die sagen, dass in dieser Zeit eine große Mobilität und Veränderung stattgefunden hat.

Der Genetik wird auch der Vorwurf gemacht, dass sie, indem sie bestimmte genetische Gruppen ausmacht, Rassismus Vorschub leistet. Was sagen Sie dazu?

Ich glaube, keine Disziplin hat den Rassismus so dekonstruiert wie die Genetik. Wir zeigen, dass jeder Mensch verschiedene Genkomponenten in sich trägt. Man kann nicht sagen: Hier fängt der Amerikaner an und hier hört der Asiate auf, das geht ineinander über. Jeder ist mit jedem irgendwie verwandt. Das fängt schon beim Neandertaler an, auch mit dem haben wir uns genetisch vermischt.

Die Paläogenetik ist ein junges Forschungsfeld. Was nehmen Sie sich als nächstes vor?

Wir arbeiten auf allen Kontinenten und an allen Zeitperioden. Die Frage ist: Wo können wir einen Beitrag leisten? Wir werden den Dreißigjährigen Krieg nicht mithilfe von Genetik verstehen, da gibt es genügend historische Aufzeichnungen. Aber zum Beispiel bei der Völkerwanderung können wir schon schauen: Gab es die überhaupt? Da sind wir dran.

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