piwik no script img

Geplantes Verbot des „Veggie-Burgers“Triumph des Sandkasten-Stalinisten

Eigenverantwortung beim Autokauf, aber nicht beim Veggie-Burger? Wenn Freiheit nur gilt, solange sie nach Wurst schmeckt, wird’s inkonsequent.

Der Bundeskanzler der viertgrößten Volkswirtschaft macht klar: Eine Wurst sei eine Wurst, deshalb nicht vegan Foto: Tanja Luther/plainpicture

A ls unsere Kinder klein waren, also im späten Mittelalter, war der freie Wille in unserer Familie nur eine Fiktion. Wenn mein Sohn mit der Schere herumfuchtelte, wurde sie einkassiert. Ab zwei Metern Höhe pflückten wir unsere Tochter von jedem Klettergerüst, auch durch direkten Zwang. Als der Dritte mit dem Schraubenzieher die Steckdosen erkundete, verbannten wir das Werkzeug in einer Kurzschlusshandlung in den Keller. Nix mit freier Entfaltung der Persönlichkeit. Ich war ein Sandkasten-Stalinist.

Dieser Hang zum Autoritären brachte eine gesunde Abgrenzung zum „Laisser-faire“ der Wirtschaftsliberalen. Ich finde ein Tempolimit richtig, die Jünger der Freiheit setzen auf den Verstand am Lenker. Ich finde, man muss nicht-recycelbares Plastik verbieten – sie setzen auf den mündigen Shampookäufer. Ich plädiere dafür, überzuckerte Joghurts für überfütterte Kinder aus dem Regal zu verbannen, sie schwören auf die Weisheit der Erziehungsberechtigten. Ich finde, Sprit schluckende Autos und fossile Heizungen sollten von der Effizienzpolizei verschrottet werden, sie finden: Freiheit hat die Form einer Rußfahne aus dem Auspuff.

Es war die gute alte Zeit, wie gesagt, am Ende des Mittelalters. Den Freunden dieser angeblichen Freiheit war ich in freundlicher Abneigung verbunden. Ich hielt sie für durchgeknallt, sie fanden mich verbohrt. Alles in bester Ordnung also.

Und jetzt der Schock: Die Konservativen im EU-Parlament setzen einen Beschluss durch, nach dem ein Veggieschnitzel nicht mehr Schnitzel heißen darf. Der Bundeskanzler der viertgrößten Volkswirtschaft fühlt sich zur Klarstellung bemüßigt, eine Wurst sei eine Wurst, deshalb nicht vegan.

„Fleisch von einem Tier namens Tofu?“

Wo sind sie hin, die Cheerleader der Eigenverantwortung? Die Helden der mündigen BürgerInnen? Sie trauen den Menschen zu, bei ihrem Sparkassenberater den Unterschied zwischen einer Schrottimmobilie und einer soliden Geldanlage zu verstehen – aber nicht, das Wort „vegan“ auf einer Packung zu lesen? Sie meinen, all die verantwortungsvollen Citoyens, denen sie ihre Wahl verdanken, würden den Unterschied zwischen Fast Food und fast Fleisch nicht kapieren? Wie viele Wursthungrige denken: „Tofuwurst? Ah, Fleisch von einem Tier namens Tofu, das muss ich mal probieren!“. Und fallen dann ins Erbsenprotein-Koma, weil ihnen auf der Zunge der Geschmack des Todes fehlt?

Kommt mündig also doch von Mund? Der Verdacht liegt nahe, dass all die Liberalen und Konservativen ihren Mitmenschen gar nicht so viel Urteilsvermögen zutrauen, wie es der von ihnen herbeigeredete homo oeconomicus eigentlich braucht. Dann gehen alle ihre anderen Rechnungen ja vielleicht auch nicht auf. Dann ist die Freiheit gar nicht unbegrenzt? Es gibt Grenzen, die die Natur uns setzt und unsere fossile Wirtschaft kann nicht einfach immer weiter wachsen? Meine Güte: Das wäre das Wurst-Case-Szenario.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
Mehr zum Thema

0 Kommentare