Gericht in Israel stärkt Frauenrechte: Erstes Gebet am heiligen Ort

Feministische Jüdinnen erkämpfen sich ihren Platz an der Klagemauer. Die Kritik der Ultraorthodoxen ist scharf, doch zu Übergriffen kommt es nicht.

Eine ultraorthodoxe Frau ist vertieft in ihr Gebetsbuch – durch Polizistinnen von den „Frauen der Klagemauer“ getrennt. Bild: dpa

JERUSALEM taz | Nicht mehr länger nur Zuschauerinnen sein, die auf die oberen Etagen verbannt werden, wollen die „Frauen der Klagemauer“. Am Montag kamen einige hundert fromme Jüdinnen zu Gebeten und Gesang an die heiligste jüdische Stätte in Jerusalems Altstadt.

Gerade rechtzeitig zum 25. Jubiläum, das die feministische Bewegung diese Woche feiert, erlaubte ein Richterspruch den Frauen, eine Kippa zu tragen sowie den jüdischen Gebetsmantel und Gebetsriemen anzulegen. Damit haben sie fast dieselben Rechte wie die Männer. Nur die Thora durften sie noch nicht mitbringen. Sie hielten stattdessen die Stoffhülle des heiligen Buches symbolisch über ihre Köpfe.

Die liberalen, traditionell-gläubigen oder modern-orthodoxen Jüdinnen treffen sich im gemeinsamen Lager der frommen Feministinnen. Um Zusammenstöße mit den ultraorthodoxen Frauen zu vermeiden, blieben die „Frauen der Klagemauer“ bei ihrem Gebet auf Abstand.

Direkt an der Mauer beteten die zumeist ganz in Schwarz gekleideten ultraorthodoxen Frauen, die fast alle entweder Perücke oder Kopftuch trugen, jede still ins Gebetsbuch vertieft. Fünf bis zehn Meter weiter weg ging es bei den „Frauen der Klagemauer“ sehr viel bunter und lauter zu. Sie stimmten zwei- bis dreistimmige Choräle an, unterstützt von einer Gruppe solidarischer Männer.

Schutz statt Verhaftung

Noch vor Kurzem riskierten die „Frauen der Klagemauer“ Verhaftungen wegen öffentlicher Unruhestiftung, wenn sie sich mit dem Gebetsmantel der heiligen Stätte näherten. Gestern hatten die Sicherheitsleute den Auftrag, sie vor eventuellen Übergriffen zu schützen. „Was für eine Schande“, zischte eine ultraorthodoxe Jüdin, die zusammen mit zwei Freundinnen das Gebet der Klagemauer-Frauen verfolgte. „Das sind gar keine Jüdinnen“, stimmte eine andere zu. Von „Provokation“ war die Rede und sogar davon, dass „die Schoah Folge der Emanzipation“ war.

Für ultraorthodoxe Juden ist nicht nur das Anlegen von Gebetsriemen und Gebetsmantel eine Sünde, wenn es eine Frau tut. Als fast noch schlimmer empfinden viele den Gesang der weiblichen Stimmen. „Bei diesem Lärm kann man sich nicht konzentrieren“, wetterte die ultraorthodoxe Schulamit van Berger, die „seit 30 Jahren täglich zum Gebet an die Klagemauer kommt“. Der Gesang der Frauen „stört die Männer“ und verstoße gegen die Halacha, das jüdische Recht.

Alle paar Minuten tönte ein Pfeifkonzert von der Seite herüber, auf der die Männer beten. Zu Übergriffen kam es nicht. „Die Leute müssen verstehen, dass dies ein öffentlicher Platz ist, der geteilt werden muss“, meint Shira Pruce von den „Frauen der Klagemauer“. „Dies ist keine private Synagoge.“ Eine endgültige Lösung für die Aufteilung des Gebetsraums wird derzeit noch diskutiert. Ginge es nach den „Frauen der Klagemauer“, sollte es auch einen Platz geben, an dem beide Geschlechter gemeinsam beten können.

Die weltlichen Richter stellten sich nach dem 25-jährigen Kampf um gleiche Gebetsrechte letztendlich hinter die „Frauen der Klagemauer“. Pluralismus, Religionsfreiheit und Gleichberechtigung der Geschlechter gaben offenbar den Ausschlag.

Für die jüdischen Feministinnen ist der Kampf an der Klagemauer nur ein Teil ihres Vormarschs. Sie fordern eine Gesellschaft, in der sich die Frauen ihren Platz selbst suchen, anstatt wie in einigen ultraorthodoxen Buslinien von den Männern auf die hinteren Bänke verbannt zu werden. „Wie kämpfen um die Zukunft unseres Staates“, sagt Tami Gottlieb, Vorstandsmitglied der „Frauen der Klagemauer“. „Wenn wir jetzt nicht aufpassen, sitzen wir bald alle überall nur noch hinten.“

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