Geschäftsmodell der Rocket-Brüder: Cashout, Exit, Samwer-Style

Statt auf eigene Ideen setzen die Brüder Samwer auf die Nachhahmung bestehender Modelle. Manche in der Netzbranche nennen das Ideenklau.

Oliver Samwer, Gründer und Vorstandsvorsitzender der Rocket Internet AG: kein Einstein, eher ein „Typ wie Bob der Baumeister“. Bild: dpa

BERLIN taz | „Eine Idee haben, das ist wie Aufwachen“, sagt Oliver Samwer, wenn man ihn aufs Kopieren anspricht. „Ein Unternehmen zu gründen dagegen wie Aufstehen.“ Soll heißen: harte Arbeit. Wäre dem so, dann würde Samwer, eine der wichtigsten Figuren der deutschen Internetwirtschaft, wohl noch immer schlafen: Er hat noch nie einer eigenen Idee so weit über den Weg getraut, dass er darauf eine Firma aufgebaut hätte.

Trotzdem ist Samwer gemeinsam mit seinen Brüdern Marc und Alex als Internetunternehmer reich geworden. Mit eigenen Versionen von digitalen Geschäftsideen, die sich bereits als profitabel erwiesen haben. Also: Firmenklonen, die ihren Vorbildern bis hin zum Webseiten-Design verblüffend ähneln.

Weil das nicht gut klingt, hat Oliver Samwer noch so einen Satz, der sich in Interviews mit ihm immer wieder findet: Kein Einstein sei er, eher ein „Typ wie Bob der Baumeister“. Schmunzelsoundbits aus der PR-Abteilung, die das Bild eines Kopiermoguls gegen das eines rechtschaffenen Hartarbeiters austauschen sollen. Erfolg kommt nicht von selbst. Gute deutsche Unternehmertugenden. 18-Stunden-Tage. Ehrgeiz. Fleiß. So will Samwer sich sehen. Als Schrauben-Würth des Internets.

Zalando. eDarling. Home24. StudiVZ. MyVideo. Wimdu. Die Namen der Firmen, hinter denen die Samwers oder ihre Millionen stecken, sind bekannter als die Brüder. Die kannte bislang nur, wer sich für Digitalwirtschaft interessierte. In der Branche sind sie weltweit berüchtigt. „Copycats“, Nachahmer, nennt man sie verächtlich im digitalen Brutkasten des Silicon Valley. Schnell kopieren, schnell großmachen, schnell verkaufen – mit diesem simplen Rezept wurden sie Ende der 1990er Millionäre.

Abos an Minderjährige vertickt

Nur Monate nachdem sie mit ihrer Firma Alando das Geschäftsmodell des Internet-Auktionshauses eBay für den deutschen Markt kopiert hatten, kaufte das Original ihnen ihre Kopie ab. Für 43 Millionen. 2004 sollen 273 Millionen für die Klingeltonklitsche Jamba hinzugekommen sein, die Abos auch an Minderjährige vertickte.

2007 begannen die Samwers die Fließbandproduktion von Neugründungen: In Berlin-Mitte starteten sie Rocket Internet. Dort werden fast im Monatstakt neue Firmen gegründet: Onlinehandel für Möbel, für Kosmetik, digitale Putzdienstvermittler, Dienste fürs digitale Bezahlen, Partnerbörsen, einen Onlineanbieter für Selfstorage-Boxen.

Dafür werden Jungunternehmer wie die Zalando-Gründer David Schneider und Robert Gentz mit Geld ausgestattet. Auch bei der Architektur ihrer Seiten wird ihnen geholfen – dann müssen sie laufen lernen. Rocket Internet ist eine Brutstätte für Unternehmen. Rund 100 Firmen sind so in den vergangenen Jahren entstanden, oft angesiedelt in Schwellenländern. Die Strategie der Samwers scheint sich aber leicht verschoben zu haben: statt ihre Start-ups schnell wieder zu verkaufen, setzen sie nun auch darauf, an den Umsätzen mitzuverdienen.

In einem Hochglanz-Werbefilmchen zum Börsengang vergleicht ein ranghoher Rocket-Internet-Mitarbeiter die Firma mit einer Fabrik. Der Geschäftsführer ergänzt: „Erst identifizieren wir erprobte Geschäftsmodelle, dann bauen wir daraus Unternehmen, indem wir einem standardisierten Master-Launch-Prozess folgen.“ Ziemlich genau das Gegenteil der Gründungserzählungen über Leidenschaft, Garagen und Weltverbesserung, mit denen sich Internet-Start-ups gern schmücken.

Die meisten von Firmen unter dem Rocket-Dach schreiben rote Zahlen – und selbst die Unternehmen, die als „Proven Winners“ bezeichnet, machten 2013 zwar 757 Millionen Euro Nettoumsatz – verzeichneten aber einen kumulierten Verlust von 442 Millionen. Hinzu kommt, dass Rocket Internet den Samwers und anderen Anteilseignern einem Bericht der Wirtschaftswoche zufolge von 2012 bis 2014 über 800 Millionen Euro Ausschüttungen bedacht haben soll. (taz)

Goldgräberstimmung auf den Märkten

Rocket-Internet-Firmen werden oft aus dem Boden gestampft. Angeblich reisen Mitarbeiter mit Touristenvisa in die Zielländer, um Zeit zu sparen. Goldgräberstimmung auf Märkten, die noch nicht so klar verteilt sind wie die USA oder China mit ihren E-Commerce-Riesen Amazon und Alibaba. Viele dieser Firmen machen bald Umsatz – dank viel Marketing und geringer Margen beim E-Commerce. Marktbeobachter bemängeln, dass es ihnen an Struktur fehle: So schnell, wie sie aufgepumpt werden, fallen sie wieder in sich zusammen.

Aber das Samwer-Imperium ist noch größer: direkt, über ihren European Founders Fund (EFF) oder den Global Founders Capital (GFC), sind die Brüder auch an über hundert weiteren Firmen beteiligt. Früh stiegen sie bei Facebook und LinkedIn ein, bei der Selbstbastelverkaufsplattform Dawanda und dem Vergleichsportal Check24. Und bei Firmen, die Wettbewerber eigener Neugründungen sind.

„Alles und jeder“ werde in der Samwer-Maschine dem unternehmerischen Erfolg untergeordnet, schreibt Joel Kaczmarek, langjähriger Chefredakteur des Branchenportals gruenderszene.de, in einem Buch über die Samwers. In Start-up-Kreisen raunt man sich fiese Geschichten zu, vor allem über Oliver Samwer, den Choleriker, der Bildschirme zertrümmert und nachts in Mails zum „Blitzkrieg“ aufruft. Ein Bild, das es zu übermalen gilt, bevor Rocket Internet und Zalando an die Börse gehen.

Genau wie all die Geschichten über unsauberes oder überaggressives Geschäftsgebahren von Unternehmern aus dem Samwer-Kosmos: Mails, mit denen Samwer-Klon Wimdu versucht haben soll, Zimmeranbieter beim Vorbild Airbnb abzuwerben. Rocket-Internet-Mitarbeiter, die angehalten werden, unter immer neuen Email-Adressen Produktbewertungen zu verfassen. Einem afrikanischen Modehändler werden von Rocket Internet einfach Domains mit ihren Firmennamen weggekauft, um die Expansion in Nachbarländer zu verhindern. Bei der Partnerbörse Parship von Holtzbrinck kauften die Samwers sich ein, nur um kurz später mit eDarling einen eigenen Dienst aufzuziehen.

35 Millionen Euro Subvventionen

Ein weiterer Kratzer am Mythos der Samwers: Zumindest Zalando hat kräftig Subventionen erhalten. Insgesamt 35 Millionen Euro haben der Bund, Thüringen, Brandenburg und Berlin in die Firma gepumpt – vor allem im Gegenzug dafür, dass der Handel mit Schuhen im Netz in Logistikzentren Arbeitsplätze schafft. Die Niederlassungen vieler Firmen, an denen die Samwers beteiligt sind, sitzen aber in Luxemburg oder im US-Bundesstaat Delaware – Orte, die sich zum Steuersparen anbieten. Das aber, so Samwer im Interview mit der ZDF-Sendung „Frontal21“, sei der „falsche Fokus“.

So viel Kritik an den Samwers und ihren Geschäftspraktiken zu lesen ist, so selten trauen sich Brancheninsider, die Brüder offen zu kritisieren. „Wahrscheinlich ist es manchmal clever, mit den Samwers gemeinsam irgendwo einzusteigen – aber keinesfalls, etwas von ihnen zu kaufen“, zitierte das Manager-Magazin 2011 einen hochrangigen Manager des Springer-Konzerns.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.