Geschichtsklitterung: Bremer „Allemanns“-Legenden

Im Rathaus erinnert eine Schau an dessen repräsentativen Neubau. Wie der Senat damals die Arbeiter behandelte, erfährt man im „Beiprogramm“

Die Ausstellung zeigt, wie die Schaffer-Damen auf die Männer-Tradition stehen. Bild: kawe

Kaufleute und Arbeiter im „Allemannsmanöver“ ist eine gern genutzte Legende der bremischen Selbstbetrachtung. Ein Bild, das sich für Hochglanz-Betrachtungen anbietet. Wenn man in diesen Tagen in die Untere Rathaushalle kommt, fällt der Blick auf ein großes Bild, das drei Damen und drei fein gekleidete Herren auf der Rathaustreppe zeigt: Schaffermahl ist das Thema. Das Bild soll den Touristen zeigen, welche schönen Traditionen in Bremen lebendig sind.

Einheimische, die die scharfe Auseinandersetzung um den Ausschluss von Frauen von diesem Event erinnern, werden sich fragen, ob da im Rauhaus sehr feinsinnig Ironie gepflegt werden soll. Der Beitext zu dem Bild vertreibt aber den Eindruck der Ironie. Juliane Kamlin-Schmielau, vorgestellt (und damit offenbar vollkommen charakterisiert) als „Gattin des 2. Schaffers“, lobt in feinsten Tönen die Tradition, die „seit 470 Jahre unverändert“ sei und die „fortzuführen“ ihr „besonders am Herzen“ liege. Da sind sie alle versammelt, die Klischees: Herz, Gattin, eben Frau.

Im Beiprogramm zu der Ausstellung hatte die Historische Gesellschaft „Wittheit zu Bremen“ den Berliner Historiker Andreas Schulz eingeladen, der höchst instruktiv davon berichtete, wie weit die Realität der bremischen Politik in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg von der Legende eines hanseatischen Bündnisses von Kaufleuten und Arbeitern entfernt war: In Bremen galt noch das Acht-Klassen-Wahlrecht. Das bedeutet in der Realität, dass im Jahre 1911 nicht einmal ein Drittel derer in Bremen bei der Bürgerschaftswahl eine Stimme hatten, die bei den Reichstagswahlen stimmberechtigt waren. 297 Wähler der „4. Klasse“ hatten soviel Stimmgewicht wie 17 Kaufleute, Gewerbetreibende oder „Wähler mit akademischer Vorbildung“. Frauen waren selbstredend völlig ausgeschlossen. Die Herren Abgeordneten und Bremer Senatoren haben in der Bürgerschaft damals herzlich gelacht, wenn von Seiten der Liberalen und Sozialdemokraten angemahnt wurde, dass doch auch in Bremen den Frauen ein „Staatsbürgerthum“ und damit das Wahlrecht zuerkannt werden sollte.

Wichtiges Thema der Honoratioren des Bremer Senats war der Neubau des Rathauses, dies ist auch – 100 Jahre danach – der Anlass der Ausstellung im Rathaus. Die im Deutschen Reich breit geführte Wahlrechts-Diskussion wurde abgewehrt – im Reichstag galt seit 1871 das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht für Männer über 25 Jahren, die Frage, ob dieses Wahlrecht nicht in die Kommunalverfassung übernommen werden müsse, wurde insbesondere in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg breit diskutiert. So war die politische Öffentlichkeit in Bremen gespalten – auf der ersten Seite berichteten die wichtigen Bremer Zeitungen beinahe täglich von dem Parteienstreit im Reich um das reaktionäre preußische Dreiklassenwahlrecht, das den Bremer Honoratioren aber schon zu weit ging. Sieben Wahlkämpfe erlebte Bremen zwischen 1900 und 1913 – drei mit allgemeinem Wahlrecht für den Reichstag und vier mit dem bremischen Acht-Klassen-Wahlrecht. Während die Sozialdemokraten und auch die Liberalen im modernen parteipolitischen Sinne die Wähler mobilisierten, hielten die bremischen Kaufleute daran fest, dass Parteipolitik eigentlich nicht ins Rathaus gehöre.

Aus einem nachvollziehbaren Grund, wie Schulz in seinem Vortrag erläuterte: Aufgrund der Industrialisierung befürchteten sie, dass die Sozialdemokratie großen Einfluss erlangen könnte. 1912 gewann der Sozialdemokrat Alfred Henke die Reichstagswahl und vertrat Bremen somit in Berlin.

Der Historiker Schulz warf die Frage auf, ob vielleicht ein Zusammenhang zur Radikalität der Bremer Sozialdemokratie in der Novemberrevolution besteht: Die Arbeiter- und Soldatenräte schlossen im November 1918 die Bremer Kaufleute von der Wahl zu „ihren“ Gremien der Räterepublik genauso aus wie die Bremer Honoratioren das einfache Volk vor 1913 aus ihrer „Bürgerschaft“ ausgeschlossen hatten. Die Räterepublik scheiterte bekanntlich, weil die Bremer Banken dem „Rat der Volksvertreter“ keinen Kredit geben wollten.

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