Gesellschaft: Von echten und falschen Wölfen

Der Quotenhit bei Schlagzeilen ist der Mensch. Allerdings, wie ihn Thomas Hobbes sah, als Wolf. Weil "homo homini lupus est" aktueller denn je ist, kommt der wirkliche Wolf meist nur am Rande vor.

Die letzten Raucher: Werwölfe an der Friedhosmauer Bild: anbas verlag giessen (aus "heinrich der werwolf" von elmar m. lorey)

"Die Wölfe sind unter uns!" So übersetzten wir uns einen Spruch auf dem Demotransparent der kurdischen Maoisten am 1. Mai in Kreuzberg. Meinten sie damit global alle Neoliberalen oder die türkischen Ultranationalisten? "Als Mörder gelten graue Wölfe aus der Provinz", schrieb die

Unter den desorientierten kleinen Leuten in der Provinz spielt auch der slowenische Roman "Wolfsnächte" von Vlado Þabot. Der Pfarrer eines Dorfes ist "unter mysteriösen Umständen" verschwunden, sein Organist und Mesner bemüht sich um Ersatz, aber bis der kommt, nähern sich die "Wolfsnächte: Dann sind sie in der Nähe. Dann sind sie hier. Auch in den Menschen ..." Der Literaturkritiker Slavo Ðerc urteilt: Es ist zwar ein slowenisches Buch, aber "Thematik und Problematik der Wolfsnächte sind allgemein und universell". Speziell für die Global Leader war dann der "Lesetipp für Leitwölfe" in der Süddeutschen Zeitung: der Reader "Alphatiere" von Kate Ludeman und Eddie Erlandson. Der Namensgeber von Roland Berger Strategy Consultants, inzwischen Professor, schreibt im Vorwort: "Macht ist immer nur geliehen - ob Alphatiere sich tatsächlich als mutige Unternehmer und exzellente Manager bewähren, hängt letztendlich von ihren persönlichen Eigenschaften, Entwicklungsmustern und Kompetenzen ab. Die Autoren bringen diese Zusammenhänge unterhaltsam auf den Punkt und geben Tipps für den wirkungsvollen Umgang mit Alphatieren." Kate Ludeman ist Gründerin der Worth Ethic Corporation und Eddie Erlandson ihr Vizepräsident. Es scheint eine Art Scientology-Spreadout zu sein - und annonciert sich wie folgt: "Executive Coaching, Leadership Assessment, Alpha Management Training - What makes you sure your organisation is providing effective leadership? How can you know?" Einen dieser "Alpha Manager" - Klaus Hommels - stellte dann die FAS als "Leitwolf der Internetinvestoren" vor.

Unser Bundesumweltminister stritt derweil eher gleichmacherisch - für alle in Deutschland lebenden Rudel - mit der ersten "Wolfskonferenz" in Berlin. In der Pressemitteilung heißt es: "Im Anschluss an die Tagung 'Wer hat Angst vorm bösen Wolf' (9.30 bis 18 Uhr) findet ein Abendempfang statt, in dessen Rahmen die Pianistin und Wolfschützerin Hélène Grimaud ein Gespräch mit Umweltminister Sigmar Gabriel führen wird." Sein Minister-"Magazin" gab dazu die Themen vor: "Wölfe - Zu Unrecht verteufelt und verfolgt/ Rotkäppchen ist an allem schuld/ Liebevolles Rudel". Vordergründig war dieser ganze Aufwand gegen die Propaganda vom "bösen Wolf" gerichtet - meinte die Junge Welt anschließend: "Im Gespräch mit der sächsischen Jägerschaft gibt es ein echtes Problem", beklagte Gesa Kluth, die Mitarbeiterin des Wildbiologischen Büros Lupus Spreewitz, auf der Konferenz. Während die Rückkehr der Wölfe in der Bevölkerung mehrheitlich auf Zustimmung stoße, versuche "eine kleine Gruppe von Extremisten", mit Falschinformationen Angst zu verbreiten. Gemeint ist dabei vor allem der Verein "Sicherheit und Artenschutz", der fleißig "am Mythos vom bösen Wolfe" stricke. Zwei Wolfsrudel mit insgesamt 30 Tieren leben derzeit in der Lausitz. "Von den Wölfen geht derzeit keine Bedrohung aus", unterstrich Kluth. "Solange sich die Menschen richtig verhalten ..." Der Antiwolfsstimmung in Teilen der Jägerschaft liegen "rein wirtschaftliche Interessen" zugrunde, ergänzte Elisabeth Emmert, selbst Jägerin und Bundesvorsitzende des Ökologischen Jagdverbandes (ÖJV)." Ein Professor Huber Job meinte jedoch: Die Stimmungsmache in Sachsen sei lediglich "die Spitze des Eisberges". Da horchte die Bild-Zeitung auf - und titelte: "Experten fordern - Schießt die deutschen Wölfe ab!" Dazu zitierte das Blatt den finnischen Wolfsexperten Nyholm: "30 Wölfe auf 600 Quadratkilometer. Das ist Wahnsinn." Dessen Kollegen Hagelstam: "Hier ist bereits Gefahrenstufe 5 von 7 erreicht. In Stadium 7 reißt der Wolf Menschen." Und den Russen Danilov: "Die einzige Rettung ist der Abschuss." Wenig später legte Bild noch einen drauf - mit Fotos: "Wölfe greifen Tierpflegerin im Gehege an - und verletzten sie schwer."

Die FAZ titelte: "Der Kulturkampf um die erste Nachkriegspopulation des Raubtiers spitzt sich zu". In "Bertolt Brechts volkstümlicher Dialektik ('Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf') wurde Canis lupus noch eindeutig die in Fabeln und Märchen festgezurrte uralte Rolle des Bösen zugewiesen, jetzt aber, da die globalisierte Raubtiergesellschaft quasi als Krönung politischer Utopien gefeiert und gelebt wird, erfährt er eine bemerkenswerte Popularität." Bis hin zum Bundesumweltminister, der "in der Rückkehr des verfemten Räubers eine 'Herausforderung', aber keine Gefahr sieht." Nicht einmal in der Rückkehr der Bild-Zeitungsredaktion von Hamburg nach Berlin scheinen die davon Betroffenen eine Gefahr zu sehen: "Angst vorm bösen Wolf?", titelte der Tagesspiegel und befragte dazu ein Dutzend Politiker und Prominente, die dem Bild-Umzug jedoch allesamt nur Positives abgewinnen konnten.

Eher droht den wiederangesiedelten Lausitzer Wölfen Gefahr. Nicht nur von "extremistischen Jägern": Kurz nach der Wolfskonferenz wurde dort ein Jungtier überfahren: "Die Henkersmahlzeit des Wolfs war ein Wildschwein", ergab eine Obduktion - laut BZ, in der Wolfsforscher Oliver Krone sogleich alle Wolfsfans beruhigte: "Brandenburg ist ein Paradies für Wölfe". Zudem nahm dort noch ein zusätzlicher "Wolfsmanager" - André Klingenberger - seine Arbeit auf: als "Ansprechpartner für Probleme im Zusammenleben zwischen Mensch und Wolf." Und dann wurde auch noch - erstmalig - mit einer Infrarotkamera eine lebende Lausitzer Wölfin fotografiert: "Sie hat ein festes Revier und sucht einen Rüden", behauptete die BZ. Dr. Reinhard Möckel, ehrenamtlicher Wolfsbetreuer des Internationalen Tierschutzfonds, jubelte. "Diese Fotos sind Sternstunden meiner jahrelangen Arbeit." Der Berliner Kurier fragte daraufhin, ob die Wölfe nun abgeschossen gehören oder nicht. Die Mehrheit war für Verständigung statt Vernichtung. Anders in Anatolien: Als dort ein neunköpfiges Wolfsrudel mitten in der Provinzhauptstadt Bingöl auftauchte, griff ein "übereifriger Stadtbewohner zum Gewehr und erschoss ein Tier, woraufhin die anderen flüchteten," meldete AFP.

Ähnlich reagierten Teile der litauischen Bevölkerung auch auf versprengte deutsche Soldaten, die sich nach 1945 in den Wäldern versteckten, wo sie sich zu antikommunistischen Partisanengruppen zusammenfanden. Erst in den Fünfzigerjahren gelang der Roten Armee die Liquidierung der letzten "Waldmenschen", wie die Illegalen dort hießen, ihre verwaist herumirrende Nachkommenschaft nannte man "Wolfskinder". 1990 drehte Eberhard Fechner einen Film über sie, 1996 veröffentlichte Ruth Kibelka ein Buch über sie, und 2006 drehte Hans-Christoph Blumenberg noch einen TV-Film über die "Wolfskinder". Parallel dazu veröffentlichte der Spiegel eine große Reportage. Darin geht es jedoch weniger um die Waisenkinder von einst, sondern um die wölfischen Sowjetsoldaten: "Ingrid ergriff Todesangst vor ihnen." In Albanien wurde derweil ein Wolf berühmt, den man gefangen und zu einem Esel in den Stall gesperrt hatte. Statt diesen zu fressen, "freundeten sich die beiden an", wie Welt Kompakt berichtete.

Dann bekam Wolf Biermann das Bundesverdienstkreuz, woraufhin sein früherer Manager Diether Dehm im Tagesspiegel mit der Überschrift "Unter dem Wolfspelz" vor ihm warnte: "Wer diesen Wolf würdigt, muss wissen, wie gern und wohlinszeniert er in Hände beißt, die ihm Gutes antragen." Aus Russland kam eine Werwolf-Meldung: In der Petersburger Eremitage klauten Mitarbeiter Juwelierkunstwerke für 400.000 Euro. Solch "korrupte Beamte nennt man in Russland 'Werwölfe'," erklärte die FAZ. Über die "Lausitzer Wölfe", die den staatlichen Renaturierungsanstrengungen in den Braunkohlefolgelandschaften quasi die Krone aufsetzen sollen, jedoch bisher von niemandem wirklich gesehen wurden, berichtete zuletzt die taz, dass man ihre Jungtiere nun mit GPS-Sendern ausrüsten werde: "Per SMS bekommen wir dann Bescheid, wo sich der Wolf aufhält," so die Wolfsschützerin Ilka Reinhardt in Rietschen.

Le Monde Diplomatique war da - unter der Überschrift "Der Wolf als Ente" - eher skeptisch und listete eine Reihe medialer Fakes auf. U. a. einen Artikel aus der Los Angeles Times, in dem der Gouverneur von Wyoming erklärte, er wolle die Wiederansiedlung von Wölfen rückgängig machen und das Bundesgesetz zum Schutz bedrohter Tierarten nicht anerkennen. Für ihn sei der Wolf ein "Hund des Bundes, auf den die Bestimmungen nicht zutreffen". Bei dieser Gouverneursnachricht handelte es sich um einen "Aprilscherz" aus dem Internet.

Das waren die Wolfsnachrichten 2007 - bis etwa zum W-8-Gipfeltreffen. Als Trend zeichnet sich bereits ab: Die Wölfe beherrschen immer mehr die Überschriften - auch wenn sie im Text nur noch am Rande vorkommen. Sollte uns das nicht zu denken geben? Ich denke, nein.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.