Körperflüssigkeiten: Dem Schleim auf der Spur
In körperlichen Schleim entdecken Forschende wahre Powerstoffe. Sie könnten im Kampf gegen das Altern helfen und dabei, Arzneien zu entwickeln.

Klar, schleimige Körperflüssigkeiten sind erst mal eklig – dennoch spielen sie eine wichtige Rolle für Gesundheit und Krankheit. Ohne Rotz könnten wir keine pathogenen Keime nach draußen befördern, ohne Speichel keine Nahrung schlucken, ohne Gebärmutterschleim keine Kinder zur Welt bringen. Kurz: Ohne Schleim könnten wir nicht überleben.
Gut also, dass einige Wissenschaftler ihren Ekel überwunden haben und seit einiger Zeit zunehmend erforschen, welche Funktionen Mukus, also Schleim, übernimmt. Ihre Arbeit macht deutlich, dass dieser 200 Quadratmeter umfassende Biofilm im menschlichen Körper weit mehr ist als nur eine einfache physikalische Barriere. „Mukus ist auch eine chemische Barriere, die mit Fremdstoffen interagiert“, sagt Katharina Ribbeck vom Massachusetts Institut für Technologie (MIT) in Cambridge gegenüber der Zeitschrift New Scientist.
Die Powerstoffe in Schleim bilden vor allem sogenannte Muzine. Sie zählen zu den Glykoproteinen, das sind Proteine mit langen Zuckerketten, die wie bei einer Flaschenbürste von den Proteinen abstehen. Durch diese Struktur können sie gut Wasser einlagern und sorgen damit für die gelartige Konsistenz von Schleim. Produziert und abgesondert werden Muzine von Zellen in Schleimhäuten – 1 bis 1,5 Liter Schleim, der vor allem aus Wasser besteht, entstehen hier täglich. Aber Mukus ist nicht gleich Mukus – je nach Körperregion ist er anders beschaffen und unterscheidet sich auch in seiner Funktion.
Mukus schützt die Lunge
In der Lunge etwa ist der von den dort ansässigen Becherzellen gebildete Biofilm bei fast neutralem pH-Wert sehr dünnflüssig. Er schützt das Atmungsorgan vor dem Austrocknen und hilft bei der Abwehr krankmachender Keime – schätzungsweise eine bis hundert Millionen Bakterien, Viren und andere Partikelchen wie Feinstaub atmen wir täglich ein.
Trotzdem hilft die physikalische Barriere nicht gegen alle Erreger. So hindert sie zwar das Influenza-Virus daran, überhaupt die Bronchialzellen zu erreichen. SARS-CoV-2-Viren spazieren aber einfach durch die gelartige Substanz hindurch. Ob sie die Zellen erreichen, ist wichtig, denn um sich zu vermehren und für ein Krankheitsgeschehen brauchen Viren die Zellkernmaschinerie des Menschen.
Oliver Lieleg, Polymerforscher
Dabei können aber bestimmte Muzine verhindern, dass SARS-CoV-2-Viren in die Lungenzellen gelangen, wie Wissenschaftler der Universität in Berkeley 2022 zeigten. Andere Muzine, die die Forscher in der Lunge fanden, taugten andererseits nicht als Schutzschild gegen eine Covid-19-Infektion. Dies könnte erklären, warum einige Menschen während der Pandemie kaum etwas von einer Corona-Infektion bemerkten, während andere auf die Intensivstation mussten. „Jemand, der die richtige Art Mukus produziert, könnte also geschützt sein“, sagt Studienautor Scott Biering.
Auch gegen Bakterien können Muzine vorgehen, indem sie die Signalübertragung, also die Kommunikationswege der Bakterien, bereits in der Nase stören. Das bietet Schutz, wenn der erkältete Büronachbar soeben mehrmals niesen musste. Problematisch können da nur die Feinstaubpartikel werden. Sie können die schützende Schicht in den Atemwegen schwächen, wie Studien an der TU München belegen. „Mukus fängt sehr viel ab, was von der äußeren Umwelt auf unsere Schleimhäute trifft“, sagt Oliver Lieleg, Polymerforscher an der TUM. „Wenn Verunreinigungen diese Barriere schwächen, kommen vielleicht Dinge durch, die das nicht sollten.“
Unangenehm wird der Schleim dann bei bestimmten Atemwegserkrankungen, bei denen der Mukus in der Lunge oft sehr zähflüssig ist und kaum abgehustet werden kann. Hustenlöser setzen hier an, aber auch das Hausmittel Inhalieren gegen Erkältungshusten. Durch den eingeatmeten Wasserdampf verflüssigt sich der Schleim und kann mitsamt den lästigen Erregern besser aus dem Körper befördert werden. Auch reichlich zu trinken, hilft dabei.
Ohne Schleim keine Verdauung
Ohne Schleim gelänge die Verdauung nicht. Bereits im Mund beginnt sie mit dem Einspeicheln der Nahrung. Der Speichel erleichtert das Schlucken und hilft beim Sprechen. Das Speichel-eigene Antibiotikum und Protein Lysozym tötet eindringende Bakterien ab. Und im Magen schützt die Schleimhaut die Magenwand vor der zersetzenden Magensäure. Hier, bei einem extrem niedrigen, also sauren pH-Wert ist der Schleim fast gummiartig.
Weiter geht es im Darm: Im Zuge der Erforschung des Darmmikrobioms wurde immer deutlicher, dass der Schleim mit den dort ansässigen Mikroben interagiert und so das Immunsystem beeinflusst. Muzine können etwa das Abschalten von Virulenzgenen in Bakterien auslösen. Sprich: Vom Schleim hängt ab, ob eigentlich harmlose Bakterien vielleicht doch ihre Waffen aktivieren und krank machen.
Zumal in der Darmschleimhaut Bakterien leben, die sich gut anhaften können und gleichzeitig Glykoproteine als Futter nutzen, die Proteinklasse, zu der eben auch Muzin zählt. Eines dieser Bakterien, die sich in der Darmschleimhaut häuslich eingerichtet haben, ist Akkermansia muciniphila, das unter anderem die Mukus-Produktion anstachelt.
Da der Körper hier einiges an Energie investieren muss, werden Kalorien verbraten. Und tatsächlich wurden reichlich Akkermansia-Zellen vor allem im Darmmikrobiom von schlanken Menschen gefunden. Insofern hilft die Zunahme von Ballaststoffen, da sie die Ansiedlung von eben solchen Bakterien fördern, die eine dicke Schleimschicht bilden und so die Darmbarriere stabil halten.
Im Gegensatz dazu stehen bestimmte Emulgatoren in Verdacht, der Schleimschicht zuzusetzen. Auch Schadstoffe wie Schwermetalle, Pestizide oder Mikroplastikpartikel, die über die Nahrung in den Körper gelangen, könnten die Schleimschicht über verschiedene Mechanismen verändern, wie Tierstudien zeigen.
Zumal töten Antibiotika auch gutartige Darmbakterien ab. Häufige Antibiotika-Gaben bringen daher lang anhaltend das Darmmilieu aus dem Gleichgewicht. Durch eine dünne Schleimschicht können schädliche Bakterien nah an die Darmwand gelangen, was das Immunsystem triggert, Entzündungsgeschehen und auf Dauer chronisch entzündliche Darmerkrankungen auslösen kann.
Unter Stress wird die Schleimschicht im Darm dünner
Studien zeigen zunehmend, dass Gemütszustände auch vom Mikrobiom abhängen und umgekehrt psychische Erkrankungen die Verdauung beeinflussen – man spricht von der „Darm-Hirn-Achse“. Auch bei diesem Crosstalk könnte die Schleimschicht eine Rolle spielen. „Unter Stress und bei Depressionen verändert sich das Mikrobiom, und dabei spielt Mukus eine wichtige Rolle“, sagt Katharina Ribbeck vom MIT. So wird etwa unter Stress die Schleimschicht im Darm dünner, mit den bekannten Folgen.
Übrigens, Muzine gibt es nicht nur in Mukus. Im Gehirn findet man diese Glykoproteine auf der Blut-Hirn-Schranke. Diese Barriere besteht aus spezialisierten Zellen, die an den Blutbahnen im Gehirn sitzen und dafür Sorge tragen, dass keine Schadstoffe ins Gehirn gelangen. Forscher der Stanford University haben gezeigt, dass ein marginalisiertes Vorhandensein an dieser Stelle zu kognitivem Abbau bei Mäusen führte.
In den weiblichen Geschlechtsorganen sind es spezialisierte Zellen des Gebärmutterhalses, die einen Biofilm produzieren. Auch hier verhindert Schleim das Eintreten von Krankheitserregern. Das ist von besonderer Bedeutung in der Schwangerschaft, da vaginale Entzündungen Frühgeburten auslösen können.
Der Zervixschleim gewährleistet zudem, dass Spermien leichter zur Gebärmutter und den Eileitern gelangen, wo die Befruchtung stattfindet. So ist der Schleim während des Eisprungs dünnflüssiger, die Spermien kommen dann also leichter zum Ziel. Es wird umgekehrt angenommen, dass sehr zähflüssiger Schleim ein Grund für Unfruchtbarkeit sein kann. Wenn hier die Forschung weiter voranschreitet, könnten Arzneien entwickelt werden, die bei unerfülltem Kinderwunsch helfen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
E-Autos versus Verbrenner
Der gefühlte Freiheitsverlust
Kürzungsdebatte im Sozialbereich
Und eure Lösung, liebe Linke?
Krieg in Gaza
Israel tötet Al-Jazeera-Korrespondenten in Gaza
1.265 Tage Krieg in der Ukraine
Plötzlich Soldat
Opferzahlen im Gaza-Krieg
Wie viele Tote gibt es in Gaza?
100 Tage Merz-Regierung
Kein Rezept gegen rechts