Gesundheitsökonom über Krankenhausreform: „Wollen wir ein kaltes Kliniksterben?“

Um die Krankenhaus­reform wird in dieser Woche weiter gerungen. Der Gesundheitsökonom Wolfgang Greiner spricht über seine Horrorvision.

Krankenhausbett in einer Notaufnahme

Es gebe gute und schlechte Krankenhäuser, sagt Gesundheitsökonom Wolfgang Greiner Foto: Erik-Holm Langhof/imago

taz: Herr Greiner, wie schwer krank ist der Patient Krankenhauswesen?

Wolfgang Greiner: Das Bild passt aus meiner Sicht gar nicht. Wir haben auf der einen Seite sehr gute Krankenhäuser in Deutschland, die auch international mithalten können. Aber wir haben auf der anderen Seite viel zu viele Grundversorger. Und denen geht es schlecht, die sind teilweise runtergewirtschaftet.

Der Wirtschaftswissenschaftler lehrt an der Universität Bielefeld Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement. Bis vor Kurzem war Greiner Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung zur Begut­achtung der Entwicklung im Gesundheitswesen.

Wenn Sie selber ins Krankenhaus müssten, woran erkennen Sie, ob das zu den guten gehört?

Das werde ich öfter auch von Bekannten gefragt. Ich schaue dann immer erst mal in der weißen Liste nach, ob die entsprechende Behandlung überhaupt für das Krankenhaus verzeichnet ist und wie oft sie dort durchgeführt wird. Experten gucken auch noch mal in einen Qualitätsbericht rein, aber das wird dann schon sehr komplex.

Sollte ich mich als Pa­ti­en­t*in nicht darauf verlassen können, dass ein Krankenhaus, das zum Beispiel Krebsbehandlungen anbietet, auch über die entsprechende Erfahrung verfügt?

Im Moment ist das leider nicht immer ausreichend der Fall. Es gibt, wie gesagt, gute und schlechte Krankenhäuser. Und man sollte nicht unbedingt sofort in das nächste gehen, weil Oma Erna da mit einer ganz anderen Krankheit lag und gesagt hat, die Pfleger sind so nett. Gerade bei Krebsbehandlungen sollte man darauf achten, dass die Klinik dafür zertifiziert ist.

Mit der Krankenhausreform will das Bundesgesundheitsministerium jetzt einheitliche Qualitätsvorgaben festlegen. Geht das in die richtige Richtung?

Auf jeden Fall. Ein relativ unumstrittener Teil der Reform sind ja die Leistungsbereiche, mit denen definiert wird, welche sachliche und personelle Ausstattung ein Krankenhaus braucht, um eine bestimmte Behandlung anzubieten. Aber um eine entsprechende Steuerung kommen wir nicht herum, wenn die Qualität insgesamt steigen soll.

Eine von der Regierung berufene Ex­per­t*in­nen­kom­mis­si­on hat im Dezember einen Vorschlag für die längst überfällige Reform der Krankenhausfinanzierung vorgelegt. Demnach sollten die Kliniken nicht mehr nur die behandelten Fälle über die sogenannten Fallpauschalen abrechnen, sondern unabhängig davon auch Vorhaltekosten finanziert bekommen. Der Reformvorschlag der Kommission sieht außerdem verbindliche Vorgaben vor, welches Krankenhaus welche Leistungen abrechnen darf. Folge der Reform wäre ein Umbau der Krankenhauslandschaft. Der Reformvorschlag wird vor allem von einigen Ge­sund­heits­mi­nis­te­r*in­nen der Länder, aber auch von der Deutschen Krankenhausgesellschaft scharf kritisiert. In dieser und der nächsten Woche sollen weitere Gespräche zwischen Bundesgesundheitsministerium und den Ländern stattfinden, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will seinen Entwurf der Reform vorstellen – bis zum Beginn der Sommerpause soll dieser dann abgestimmt sein. (mah)

Bislang sind die Länder für die Krankenhausplanung zuständig. Sie sollen eigentlich auch für notwendige Investitionen aufkommen. Ist diese Aufteilung aus ökonomischer Sicht sinnvoll?

Überhaupt nicht. Einige Krankenhäuser sind überdimensioniert, andere unterfinanziert. Das folgt oft gar nicht den tatsächlichen Notwendigkeiten, sondern der politischen Lage vor Ort. So kommt es zu regionalen Schieflagen.

Haben Sie ein Beispiel?

Oft gibt es ein mäßig ausgestattetes Krankenhaus in dem einen Kreis und direkt nebenan, im nächsten Kreis, noch mal das gleiche Angebot. Betriebswirtschaftlich wäre es viel sinnvoller, die Ressourcen da zu einem gut ausgestatteten Krankenhaus zusammenzulegen.

Das System ist überökonomisiert, sagt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Was sagt der Gesundheitsökonom?

Ökonomisierung ist inzwischen leider zum Kampfbegriff geworden. Aber ganz nüchtern betrachtet, bedeutet das zunächst einmal, dass eine ökonomische Denkweise eine Rolle spielt. Was nicht falsch sein kann, denn die Ressourcen sind nun mal begrenzt. Auch jeder noch so gemeinnützige Betrieb muss sich letztlich daran ausrichten. Der eigentliche Subtext der Ökonomisierungsdebatte ist: Es geht gar nicht mehr um die Patienten. Und das würde ich nicht unterschreiben. Ich glaube, was einfach nach der Einführung der Fallpauschalen vergessen wurde, ist, dass jedes System alle 2 bis 4 Jahre evaluiert und nachjustiert werden muss.

Also ist die viel gescholtene Abrechnung der Krankenhausleistungen über Fallpauschalen gar nicht das Problem?

Ich war und bin Anhänger der Fallpauschalen. Nur eben nicht so, wie sie im Moment angewendet werden. Die Krankenhäuser brauchen eine Finanzierung der Vorhaltekosten unabhängig von den abgerechneten Fällen.

Das sehen die Vorschläge für die Krankenhausreform ja jetzt vor. Und trotzdem warnen die Länder und viele Ärz­t*in­nen vor einem Kranken­haussterben durch die Reform.

Das werden wir so oder so haben. Der Prozess hat längst begonnen. Die Frage ist: Wollen wir ein strukturiertes oder ein kaltes Krankenhaussterben? Wenn wir keine Reform auf den Weg bringen, werden sicher zum Teil auch die richtigen Krankenhäuser eingehen, aber eben nicht nur. Fakt ist: Es müssen weniger Krankenhäuser werden. Das wissen eigentlich alle.

Momentan sind es um die 1.900 Kliniken. Wie viele sollten es am Ende sein?

Ich habe Kolleg*innen, die da Zahlen raushauen: Ein Drittel weniger, oder so. Daran will ich mich wirklich nicht beteiligen. Das verschreckt eher und lässt sich sowieso nicht im Hinterzimmer festlegen. Es gibt gewachsene Strukturen, die auch berücksichtigt werden müssen.

Wenn irgendwo eine Abteilung oder gar ein ganzes Krankenhaus geschlossen werden soll, geht nicht selten die halbe Stadt auf die Straße.

Das ist genau das, was ich meinte mit den politischen Gegebenheiten vor Ort. Für die Kommunalpolitiker ist das das Schwerste überhaupt. Im Grunde sind sich alle einig, dass wir Krankenhäuser mit klaren Qualitätsvorgaben und davon auch weniger brauchen. Aber wenn es dann um einen speziellen Ort geht, dann gibt es einen Aufstand. Wir müssen die Leute schon vor dieser Abwehrschlacht in der Diskussion mitnehmen – nicht erst wenn sich die erste Initiative gegründet hat. Im Vordergrund muss stehen, dass man ihnen nichts wegnimmt, sondern dass die Qualität besser wird, gerade auch im ländlichen Raum. Vielleicht habe ich dann für eine Spezialbehandlung eine Stunde längere Fahrzeit. Aber angesichts der Qualität, die da möglich ist, sollte es uns das wert sein.

Die Flächenländer kritisieren, dass dann selbst bei einem Herzanfall der Fahrtweg deutlich weiter werden könnte.

Aber auch das ist sinnvoll. Gerade bei einem Herz- oder Schlaganfall ist die Überlebenswahrscheinlichkeit in einem gut ausgestatteten und erfahrenen Krankenhaus deutlich höher. Ökonomisch macht es mehr Sinn, entsprechend ausgerüstete Rettungswagen wohnortnah zur Verfügung zu haben, als in allen Krankenhäusern für wenige Behandlungen im Jahr die Ausstattung und das Personal für solche Spezialbehandlungen vorzuhalten. Das geht vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels sowieso nicht mehr.

Ist eine so radikale Zentralisierung von Krankenhausleistungen wie in Dänemark auch für Deutschland erstrebenswert?

Wenn man das auf unsere Verhältnisse übertragen würde, dann bräuchte man eine viel weitergehende Reform. Da kämen auch ganz andere Härten auf uns zu, was zum Beispiel Wartezeiten, aber auch die Transformationskosten betrifft. Nein, ich glaube, wir können mit viel weniger an Veränderung schon sehr viel schaffen.

Apropos Transformationskosten – was wird der Umbau kosten?

Auch wenn aus geschlossenen Abteilungen oder Häusern Mittel frei werden, werden zusätzliche Investitionsmittel benötigt. Genau wie bei der Digitalisierung muss auch bei der Krankenhausreform relativ viel Geld in die Hand genommen werden. Aber dann haben wir eben auch eine Struktur, die 20, 30 Jahre lang wirklich gut funktioniert.

Bis zu 100 Milliarden Euro geistern durch die Diskussion ­…

Das ist Kaffeesatzleserei! Es werden auf jeden Fall zweistellige Milliardenbeträge sein, aber das ist ja keine explosionsartige Reform. Das wird sich über mehrere Jahre verteilen.

Und von wem soll das Geld für den Umbau kommen?

Ob das jetzt von den Krankenkassen bezahlt wird oder aus einem staatlichen Gesundheitsfonds, ist letztlich nicht so entscheidend. Die Krankenkassen haben ja jetzt schon Milliardendefizite, die wiederum vom Staat ausgeglichen werden müssen.

Würden Sie die Verantwortung für Krankenhausinvestitionen aus den Händen der Länder nehmen?

Die Grundidee dieser Aufteilung ist doch: Wer mitbezahlt, soll auch mitentscheiden können. Aber das haut ja jetzt schon nicht hin. Auch die Länder, die seit Jahren viel zu wenig in die Krankenhäuser investieren, entscheiden im gleichen Maße mit. Das spräche für eine Mitfinanzierung aus Bundesmitteln. Dafür müssten die Steuereinnahmen zwischen Bund und Ländern natürlich teilweise umverteilt werden. Ökonomisch wäre das aus meiner Sicht absolut sinnvoll.

Aber realistisch ist es nicht?

Nein. Wir müssen wohl mit den Gegebenheiten, die wir jetzt haben, also der anteiligen Länderfinanzierung, weitermachen. Es ist aber auch unrealistisch zu glauben, dass die Länder jetzt nach all den Jahren auf einmal mit Investitionen im ausreichenden Umfang um die Ecke kommen.

Sie sind einer der führenden Gesundheitsökonomen in Deutschland. Wie oft klopfen bei Ihnen Lobbyisten an?

Ich werde oft auf Veranstaltungen eingeladen, um meine Meinung zu sagen. Ich rede mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft, mit den Krankenkassen und so weiter. Aber wir streiten auch viel. Das ist meine Rolle. Ich erlebe jedenfalls nicht, dass Menschen auf mich zukommen und sagen, sagen Sie doch mal das und das. Ich glaube auch nicht, dass sich die Lobbyisten etwas davon versprechen, wenn der Greiner was in ihrem Sinne sagt. Da muss man den eigenen Einfluss realistisch sehen.

Diese Woche will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach den Ländern wohl seinen Entwurf für die Krankenhausreform vorstellen, noch bis zur Sommerpause soll er abgestimmt sein. Was erwarten Sie?

Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass wir jetzt zwar eine Krankenhausreform mit Qualitätsvorgaben und einer Bindung an Leistungsgruppen bekommen. Aber mit einer Riesenöffnungsklausel könnte so eine Reform durch lange Übergangsfristen und Ausnahmeregeln schlimm verwässert werden. Dann kann Minister Lauterbach sagen, er hat eine Reform durchbekommen. Und die Länder können sagen, macht euch keine Sorgen, wir machen natürlich trotzdem erst mal so ähnlich weiter wie bisher. Dass sich auf diese Weise fast gar nichts ändert, das wäre meine Horrorvision. Ich sehe aber in Teilbereichen wie der Notfallversorgung, dass sich da mehr bewegt. Insofern bin ich nicht ganz pessimistisch.

Die Mitglieder der Regierungskommission, die den Vorschlag für die Reform erarbeitet haben, sehen die Not als so groß an, dass nur ein grundlegender Umbau helfen kann.

Vielleicht müssen leider noch ein paar Krankenhauspleiten über uns kommen, damit der Reformbedarf nicht nur gesehen wird, sondern auch der Wille zur Umsetzung in der Fläche ankommt. Auszuschließen ist das nicht.

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