Gewalt gegen Frauen in Argentinien: Sie sollen leben dürfen

In Argentinien stirbt rechnerisch alle 32 Stunden eine Frau an sexistischer Gewalt. Hunderttausende demonstrierten am Freitag erneut dagegen.

Ein Schild mit der Aufschrift "Basta"

„Genug“: Demonstrantin mit Schild bei der Demo in Buenos Aires Foto: reuters

BUENOS AIRES taz | Argentinien stand am Freitagabend ganz im Zeichen gegen Gewalt gegen Frauen. Allein in der Hauptstadt Buenos Aires zogen Hunderttausende auf die Plaza de Mayo vor den Präsidentenpalast. “Vivas Nos Queremos – Lebend Wollen Wir Sie“ skandierten sie. Und zeigten auf den Verantwortlichen „El Estado Es Responsable – Der Staat ist verantwortlich.“

Schon vor einem Jahr waren die Menschen auf die Straße gegangen. Damals brachte die Ermordung der 14-jährigen Chiara Páez das Fass zum Überlaufen. Weil das schwangere Mädchen nicht abtreiben wollte, erschlug ihr zwei Jahre älterer Freund sie und verscharrte ihre Leiche mithilfe seiner Familie im Garten des Hauses. Der Fall löste Wut und Entsetzen aus. In den sozialen Netzwerken lief die Kampagne „Ni Una Menos – Nicht Eine Weniger“ an. Am 3. Juni 2015 gingen schließlich Hunderttausende auf die Straßen.

Daran, dass in Argentinien rechnerisch alle 32 Stunden eine Frau umgebracht wird, hat sich auch ein Jahr danach wenig geändert. In den letzten zwölf Monaten wurden 275 Frauen und Mädchen ermordet, davon 162 von ihrem Ehemann, Freund, Partner mit oder ohne der Vorsilbe ‚Ex‘. Die Zahlen beruhen auf den Erhebungen des La Casa del Encuentro, einer Frauen-NGO, die bereits seit Jahren täglich über 120 Tageszeitungen nach Gewaltverbrechen auswertet. Offizielle Statistiken sind, sofern sie überhaupt vorliegen, wenig glaubwürdig. Für die vergangenen acht Jahre registrierte das Haus der Begegnung 2.094 Femizide.

Rosa Romero steht auf der Plaza de Mayo. Noch immer zittert die 71-Jährige am ganzen Leib, wenn sich über den Mord an ihrer Tochter spricht. Als “Papá mató a mamá“ erschütterte der Mord der 31-jäihrgen Roxana Pacheco ganz Argentinien. Am 21. Februar 2011 hatte Víctor Andrada seine Lebensgefährtin im Auto vor den Augen ihres vierjährigen Kindes umgebracht. „Papa hat Mama getötet,“ sagte das Kind, als man es auf dem Rücksitz fand. Andrade wurde zu 22 Jahren Gefängnis verurteilt. Darauf, dass der Mörder ihrer Tochter seine Strafe auch absitzt, vertraut Rosa Romero nicht. „Ich bin hier, um weiter Gerechtigkeit einzufordern.“

„El Machismo mata“ steht auf dem kleinen Plakat von Laura Ferroz. „Der Ursprung der Gewalt liegt in der patriarchalen Kultur Argentiniens,“ so die Psychologin. Der Macho sehe sich als Eigentümer der Frau. „Die männliche Vormachtstellung und die weibliche Unterwerfung ist der Nährboden, auf dem die Brutalität entsteht,“ sagt die 45-Jährige. Daran habe auch vorgenommene Strafverschärfung noch nicht viel geändert. Seit 2012 gilt Femizid als eigenständiger Tatbestand im Strafgesetzbuch. Seither droht jedem Mann eine lebenslange Haftstrafe, wenn er eine Frau oder eine Person, sie sich als Frau fühlt, aus „geschlechtsspezifischer Gewalt“ ermordet.

Für die Mitschuld des Staates macht Raquel Vivanco von Mujeres de la Matria Latinoamericana (Mumalá) eine einfache Rechnung auf. Die finanziellen Zuwendungen an den für den Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt zuständigen Nationale Frauenrats machen gerademal 0,0055 Prozent des Staatshaushalts aus. „Das sind 30 Cent pro Frau für die Vorbeugung vor machistischer Gewalt,“ so Vivanco.

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