Gewalt gegen Kinder: Was heißt „sexualisierte Gewalt“?

Ein Gesetzentwurf des Justizministeriums will den Begriff „sexuellen Missbrauch“ ersetzen. Der Vorschlag stößt jedoch auf Kritik.

Justizministerin Christine Lambrecht am Podium

Bundesjustizministerin Lambrecht will härtere Strafen für Kindesmissbrauch durchsetzen Foto: Kay Nietfeld/reuters

Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) will den sexuellen Missbrauch von Kindern nicht nur härter bestrafen, sondern auch begrifflich „brandmarken“. Künftig soll in den Überschriften der Paragrafen von fünf Einzeldelikten jeweils von „sexualisierter Gewalt gegen Kinder“ die Rede sein. Dies geht aus einem Gesetzentwurf des Justizministeriums hervor, der der taz vorliegt.

Der Begriff „sexueller Missbrauch“ wurde im Strafgesetzbuch bisher verwendet, wenn ein Abhängigkeitsverhältnis ausgenutzt wurde, nicht nur bei Kindern, sondern beispielsweise auch im Gefängnis oder im Pflegeheim. Mit Kindern unter 14 Jahren ist jede sexuelle Handlung tabu, unabhängig davon, ob sie erzwungen oder „freiwillig“ erfolgt.

Bei Fällen gegenüber Kindern will Lambrecht den Begriff „sexueller Missbrauch“ nun generell durch „sexualisierte Gewalt“ ersetzen. So soll das Unrecht der Taten „klarer umschrieben“ werden, heißt es im Gesetzentwurf. Lambrecht will die Taten mit dem neuen Begriff „brandmarken“.

Im taz-Interview kritisierte die Rechtsprofessorin Tatjana Hörnle Lambrechts Plan. Die neue Terminologie sei „geradezu irreführend“, da es beim sexuellen Missbrauch nicht auf Gewaltanwendung im umgangssprachlichen oder im juristischen Sinne ankomme, erklärte Deutschlands führende Sexualstrafrechtlerin. „Wer hier ‚Gewalt‘ in die Überschrift schreibt, gibt manipulativen Tätern möglicherweise das Gefühl, dass sie nicht gemeint sind“, so Hörnle.

Der Entwurf sieht härtere Strafen vor

Der nun vorliegende Gesetzentwurf hält jedoch an der irritierenden Uneindeutigkeit fest. Auch wenn in der Überschrift von „sexualisierter Gewalt“ die Rede sei, bleibe es dabei, dass es „nicht auf die Anwendung von Gewalt oder auf Drohung mit Gewalt ankommt“, heißt es in der Begründung des Entwurfs. Besonders deutlich wird der Widerspruch beim neuen Paragrafen 176a. Hier ist „Sexualisierte Gewalt gegen Kinder ohne Körperkontakt mit dem Kind“ als Überschrift vorgesehen.

Inhaltlich behandelt der Paragraf vor allem Strafverschärfungen. Grundsätzlich soll jeder sexuelle Missbrauch als „Verbrechen“ eingestuft werden – was eine Mindeststrafe von einem Jahr bedeutet. Die Aussetzung zur Bewährung bleibt zwar möglich, aber Verfahren können nicht mehr gegen Geldbuße eingestellt werden. Auch ein Strafbefehl ist nicht mehr möglich, das heißt, es muss stets eine Gerichtsverhandlung stattfinden, wovon sich Lambrecht einen „nachhaltigen Eindruck“ auf die Täter verspricht.

Es soll allerdings zwei Ausnahmen von der Einstufung als Verbrechen geben. Bei Taten „ohne Körperkontakt“, etwa dem Zeigen pornografischer Bilder, soll die Mindeststrafe sechs Monate betragen. Und wenn die Tat einvernehmlich ist und „zwischen Täter und Kind“ nur ein geringer Unterschied im Alter und Reifegrad besteht, soll die Tat sogar straffrei bleiben.

Konkret geht es etwa darum, dass ein 14-jähriges Mädchen (Täter) und ein 13-jähriger Junge (Kind) Zärtlichkeiten austauschen. Laut Begründung soll damit ein „Freiraum sexueller Selbsterprobung mit annähernd Gleichaltrigen“ gesichert werden. Kommt es zum Geschlechtsverkehr, gilt die Ausnahme aber nicht mehr.

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