Gewerkschaften empört: Brüssel will Entlassungen erleichtern

Die EU plant, auch über Tarife und Arbeitsrecht zu bestimmen. Arbeitnehmervertreter warnen vor einem Angriff auf die Tarifautonomie.

Europa will ins Tarifrecht eingreifen, fürchten die Gewerkschaften. Hier eine Demonstration in Stuttgart. Bild: rtr

BRÜSSEL taz | Nach der Finanzpolitik will die EU nun auch noch die Wirtschafts- und Sozialpolitik koordinieren. Die Löhne müssten stärker an die Produktivitätsentwicklung angepasst werden, Entlassungen müssten leichter möglich sein, fordert die EU-Kommission. Bundeskanzlerin Angela Merkel will das sogar zur Pflicht machen – für den Frühjahrsgipfel im März bereitet sie eine Wettbewerbs- und Reforminitiative nach dem Vorbild der Agenda 2010 vor.

Daran würden selbstverständlich auch die Sozialpartner beteiligt, heißt es in Berlin. Doch nun sind die Gewerkschaften in Brüssel ausgeschert. Ungewöhnlich heftig protestiert vor allem der europäische Dachverband IndustriAll. Der Vorschlag der Kommission, auf EU-Ebene über Tarifpolitik und Arbeitsrecht zu reden, sei ein Anschlag auf die Tarifautonomie und könne zur „Senkung der Löhne“ führen, heißt es in einem Protestschreiben des Dachverbands, der 197 europäische Industriegewerkschaften vereint (darunter IG Metall und IG BCE).

Man sei nicht bereit, sich auf Forderungen wie „Modernisierung der Systeme zur Festlegung der Löhne“, „Stärkung der Flexibilität bei der Lohnfindung, wie Erleichterung der Bedingungen für Unternehmen, auf höherer Ebene geschlossene Tarifverträge aufzukündigen und die Prüfung sektoraler Lohnvereinbarungen“, einzulassen. Es komme auch nicht in Frage, auf EU-Ebene über Lohngestaltung zu reden.

Dies ist nicht nur ein herber Rückschlag für die EU-Kommission, die schon jetzt in den Krisenländern Südeuropas in die Tarif- und Sozialpolitik hineinregiert und gerne noch mehr Durchgriffsrechte hätte. Es ist auch ein Warnschuss für Merkel. Denn „Flexibilisierung“ und „Modernisierung“ des Arbeits- und Tarifrechts hat sich auch die Kanzlerin auf die Fahnen geschrieben.

Kanzlerin für Wettbewerbspakt

Bei einem viel beachteten Vortrag vor der globalen Wirtschaftselite vor einer Woche in Davos ließ sie daran keinen Zweifel. Analog zum umstrittenen Fiskalpakt solle die EU einen „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ bekommen, so die CDU-Chefin. Dabei werde es „um Dinge wie Lohnzusatzkosten, Lohnstückkosten, Forschungsausgaben, Infrastrukturen und Effizienz der Verwaltungen gehen – also um Dinge, die in nationaler Hoheit“ liegen.

Doch nicht nur die Gewerkschaften stellen sich quer. Auch Schweden und Belgien haben Bedenken gegen Merkels neuen Wettbewerbspakt. „Da haben wir eine klare Differenz mit Deutschland“, sagte der schwedische Premier Fredrik Reinfeldt dem Handelsblatt. „Die Idee, dass wir neue Vollmachten an Brüssel geben, und die EU-Kommission sagt uns dann, was wir zu tun oder zu lassen haben, lehnen wir kategorisch ab.“

Ähnlich äußerte sich der belgische Regierungschef Elio Di Rupo. Der Sozialist stellt sogar Merkels Austeritätskurs in Frage. Dabei wurde der gerade erst rechtsverbindlich – mit dem Fiskalpakt, der am 1. Januar offiziell in Kraft getreten ist.

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