Gewichtheben – Das Schönste an Olympia: Aaaaaaarrrrrrrggggggghhhhhhh!

Die Dopingquote ist hoch, die Schurkenstaatenquote auch. Dennoch ist Gewichtheben eine wunderbare und sehr fernsehtaugliche Sportart. Eine Liebeserklärung.

Witwer und Olympiasieger 2008: Matthias Steiner Bild: dpa

Ja, dieser Sport ist verseucht. Fünf der 19 Olympiasieger, die nach 1968 wegen Dopings ihre Goldmedaillen abgeben mussten, waren Gewichtheber oder Gewichtheberinnen – in keiner anderen Sportart ist diese Zahl so hoch. Und in keiner anderen Sportart wurden jemals pauschal sämtliche Weltrekorde annulliert, nur die International Weightlifting Federation sortierte im Jahr 1993 die Gewichtsklassen neu und erklärte alle bestehenden Rekorde für ungültig.

In keiner anderen Sportart schließlich tauchen in der Medaillenstatistik so viele Länder mit zweifelhaftem politischem Leumund auf den vorderen Rängen auf: Nordkorea, Weißrussland, Iran – keine Frage: Gewichtheben ist der Lieblingssport von Diktatoren. Sogar Baschar al-Assad hat zwei nach London geschickt; einen Mann und eine Frau, und beide sehen so aus, als kämen sie direkt aus Aleppo.

Die beiden sind freilich nicht die Einzigen, die aussehen, als würden sie hauptberuflich Aufstände niederschlagen, den Einlass in Diskotheken regeln oder Telefonbücher zerreißen. Freilich gilt dies nur für die höheren Gewichtsklassen. In den niedrigen hingegen konnte man in London wieder beobachten, dass Kraft und Eleganz, Anmut und Athletik auf wunderbare Weise miteinander harmonieren können. Das gilt für die Männer und mehr noch für die Frauen.

Denn nicht alle Gewichtheberinnen sind von obelixhafter Gestalt. Die 18-jährige Kasachin Sulfija Tschinschanlo, Olympiasiegerin in der Klasse bis 53 Kilo, etwa erinnert an Lara Croft, die Chinesin Wang Mingjuan könnte in einem Tarantino-Film einen Rachefeldzug starten und die Thailänderin Rattikan Gulnoi in einem Schönheitswettbewerb antreten. Sage keiner, das hätte nichts mit Sport zu tun. Das Auge hebt mit.

Genuss ohne Technik

Überhaupt ist Gewichtheben so fernsehtauglich wie nur wenige andere Sportarten. Um den Sieger zu ermitteln, braucht man beim Schwimmen oder Laufen so viel Elektronik wie sonst nur in der Raumfahrt, beim Fechten sind die Treffer nur mithilfe von Lampen zu erkennen, und beim Turnen entscheidet nur die Jury.

Beim Gewichtheben hingegen sieht man alles: Die Konzentration der Athleten, ihren Respekt vor der Last, die Kraftanstrengung, das Versagen, den Erfolg, die Erleichterung. Spätestens, wenn ein Athlet nach getaner Arbeit die Hantel fallen lässt und der Hallenboden vibriert, kann man auch vor dem Fernseher die Leistung der Athleten erahnen.

Nicht bloß seelenlose Anabolikamonster

So übersichtlich der olympische Wettbewerb ist – erst die Frauen, dann die Männer, jeden Tag eine Gewichtsklasse, beginnend mit der niedrigsten –, so leicht verständlich sind die Regeln: Jeder Sportler hat jeweils drei Versuche in beiden Disziplinen, dem Reißen und dem Stoßen. Das Gewicht bestimmt er selbst, am Ende werden die besten Werte in beiden Disziplinen addiert. (Bei Olympia zählt nur der Zweikampfwert.)

Beide Disziplinen haben ihren eigenen Reiz. Im Reißen gilt es, die Hantel in einer einzigen Bewegung in die Luft zu heben. Das Reißen ist dynamischer, schneller, spektakulärer. Und technisch anspruchsvoller.

Das Stoßen hingegen – das Gewicht wird zunächst auf die Brust oder die Schultern gelegt und erst dann gestemmt – ist epischer und dramatischer. Hier werden die höheren Gewichte gehoben, hier fallen die Entscheidungen. In beiden Disziplinen gibt es keine Zeitvorgabe, wie lange die Hantel in der Luft sein muss. Die Last muss bei ausgestreckten Armen „beherrscht“ werden.

Mit dem Schwergewicht (bis 105 Kilo) am Montag und dem Superschwergewicht (ab 105 Kilo) der Männer am Dienstagabend endet das Gewichtheben in London. Dort wieder dabei: Matthias Steiner, der 2008 Gold gewann und bei der Siegerehrung ein Foto seiner verstorbenen Frau Susann in die Kamera hielt, damit Millionen Menschen rührte und zeigte: Gewichtheben ist kein Wettkampf seelenloser Anabolikamonster. Jedenfalls nicht immer.

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