Gleichstellung gescheitert: Emanzipation als Karrierehemmnis

Warum Feminismus nichts mit Feminisierung zutun hat. Ellen Ueberschär, Generalsekretärin des Evangelischen Kirchentages, über Gleichberechtigung und gescheiterte Quoten.

Trotz fehlender Gleichberechtigung in ihrer Kirche hat Ellen Ueberschär, Generalsekretärin des Laientreffens in Dresden, beste Laune. Bild: dpa

taz: Frau Ueberschär, schätzen Sie sich glücklich, in einer Kirche zu sein, bei der die Emanzipation der Frau durchgesetzt scheint?

Ellen Ueberschär: Ja. Aber durchgesetzt ist die Gleichberechtigung noch nicht. Gescheitert jedenfalls ist der Beschluss der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, dass in ihren Führungsgremien 40 Prozent Frauen zu finden sind. Das war 1989. Ein guter Beweis für das Nichtfunktionieren von Selbstverpflichtungen.

Hat die EKD 22 Jahre nur Wein gepredigt und Wasser geboten?

Ach, ich bin mir relativ sicher, dass wir in einer Art Zwischenzeit leben. In Hamburg kandidieren zwei Frauen um die Nachfolge von Maria Jepsen, es wird also auf jeden Fall eine Bischöfin mehr geben.

Gleichberechtigung ist in der Kirche nur noch eine Frage der Zeit?

Wir stehen kurz davor. Trotzdem habe ich das Gefühl, es gibt eine gewisse Stagnation.

Sprechen Sie sich aus …

Die älteren Feministinnen stoßen an eine Grenze, sie haben ganz viel erreicht, finden aber keine Nachfolgerinnen. Die Generation der Dreißigjährigen, die interessiert der Kampf der siebziger Jahre nicht mehr, die empfinden die feministische Theologie als Karrierehemmnis, auch in der Kirche.

wurde 1967 in Berlin-Pankow geboren. Ab 1988 studierte sie Theologie. Von 2003 bis 2009 war sie Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche. Seit 2006 ist sie Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages.

Karrierehemmnis? Wie meinen Sie das?

Sich überhaupt feministisch zu outen - nein, das geht für viele Jüngere gar nicht. An den Universitäten ist feministische Theologie zum Teil ein Prüfungsfach, aber es gibt Widerstände dagegen, von Männern wie von Frauen.

Woran liegt das?

Es gibt einen neuen Konservatismus, der jüngere Leute wieder nach Autorität suchen lässt und nach Dogmen. Nach irgendetwas, an dem man sich festhalten kann und sich nicht dauernd abarbeiten muss. Da sind natürlich kritische und erfahrungsbezogene Ansätze eher verunsichernd.

Hält man diese Prüfungen nicht aus?

Es hat jedenfalls auch mit dem Eindruck junger Frauen zu tun, es sei schon alles erreicht. Wie in dem Goethe-Wort: "Was machst du an der Welt? Die Welt ist schon gemacht!" Mehr als 50 Prozent der Studierenden sind Frauen. Aber dann kommt eben die Falle.

Welche von etlichen meinen Sie?

Die Falle, sich zwischen Beruf, Karriere und Familie entscheiden zu müssen, das ist in diesem Land immer noch so.

Hält da die Politik nicht gegen?

Es hat sich gerade durch die konservative Familienpolitik unglaublich viel geändert. Die erdrutschartigen familienpolitischen Veränderungen, die werden wir erst in ein paar Jahren so richtig spüren. Da gibt es ein schlechtes Gewissen, das den Frauen gemacht wird, was Bascha Mika in "Feigheit der Frauen" beschrieben hat.

Welches schlechte Gewissen?

Mütter machen ihren Töchtern ein schlechtes Gewissen, wenn die arbeiten und gleichzeitig Kinder haben, wenn sie das alte Rollenbild nicht ausfüllen. Das stärkste Hindernis im Westen war zu sagen: Ich hänge meinen Beruf lieber an den Nagel, oder ich suche mir einen Beruf wie etwa Lehrerin, wo ich halbtags arbeite und den Rest der Zeit für meine Kinder habe.

Ist in der evangelischen Kirche der Stand der Geschlechterdemokratie weiter als im Rest der Gesellschaft?

Das würde ich nicht sagen. Die Kirche war nie ein Ort der Emanzipation. Das Thema Frauenordination war auf dem Kirchentag erst ein Thema, als es schon längst durchgesetzt war in den Landeskirchen.

Aber auch die Kirchentage haben gelernt.

Sehr viel sogar. Es gibt keinen Bereich des Kirchentages, in dem die Gleichheit der Geschlechter kein Thema ist. In den Kirchen hat es lange gedauert, und ich glaube, es wird auch jetzt lange dauern, länger als in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Vorreiter sind die Kirchen jedenfalls nicht. Und wenn Frauen in der Kirche, Pfarrerinnen und auch andere, nicht aufpassen, dann treten wieder alte Mechanismen in Kraft.

Welche meinen Sie?

Das wären mentale Prägungen und theologisch befestigte Argumente gegen die gleichberechtigte Beteiligung von Frauen am geistlichen Amt oder überhaupt leitenden kirchlichen Tätigkeiten.

Das müssen Sie erklären.

Jede evangelische Pfarrerin muss sich klarmachen: Als Evangelische stehen wir großen christlichen Konfessionen gegenüber, die keine Frauen zur Ordination zulassen, die Orthodoxen, die Katholiken - jede Pfarrerin muss sich im Grunde in dieser Situation selbst definieren, anders als eine Juristin etwa.

Andererseits schreibt der Theologe Friedrich Wilhelm Graf sehr scharf über die "Feminisierung" der evangelischen Kirche.

Er beobachtet auch, dass die Anzahl der Studentinnen steigt, und zieht daraus den Schluss, dass das Pfarramt bald völlig von Frauen überflutet wird.

Klingt logisch.

Das mit der Feminisierung von Kirche zu verbinden ist insofern ein bisschen unscharf, weil man seit etwa 200 Jahren von dieser Feminisierung spricht. Auch auf dem Kirchentag sind 60 Prozent der Teilnehmenden Frauen. Kirche ist seit Langem eine Frauenbewegung. Selbst die berühmte Bekennende Gemeinde in Dahlem mit Martin Niemöller in den dreißiger Jahren war eine Frauenbewegung. Die Feminisierung ist schon lange da.

Das ist doch erfreulich.

Die Frage ist nur: Wer besetzt die Spitzenpositionen? Und wie kann es sein, dass trotz des EKD-Beschlusses immer noch der Frauenanteil bei unter zehn Prozent herumdümpelt? Die Probleme und Hindernisse für Frauen in unserer Gesellschaft schlagen in der Kirche genauso zu. Das sind banale soziale und mentale Ursachen, die theologischen Dinge kommen obendrauf.

Wie haben Sie das unter einen Hut gekriegt? Haben Sie einen Partner, der da mitzieht?

Ich habe einfach einen tollen Mann, der sagt: Wir teilen uns das. Anders hätte ich das gar nicht machen können. Ich hätte meine Ausbildung nicht fertig machen können, meine Promotion nicht und auch meinen jetzigen Job nicht, wenn er nicht gesagt hätte: Okay, ich nehme das zum Anlass, mich selbst beruflich darauf einzustellen.

Margot Käßmann hat ja eingeräumt, dass sich hinter ihrer glänzenden Fassade auch verbarg, dass sie sich um ihre Kinder kaum kümmern konnte. Warum fragen sich das eigentlich hohe kirchliche Funktionäre nicht?

Das ist die Von-der-Leyen-Falle: Was sagen Sie, wenn Ihre Kinder später fragen: Mama, wo warst du, als ich klein war? Das wird kein Bischof gefragt und auch kein Politiker, im Gegenteil: Bei Vorstellungen von Kandidaten können Männer immer sagen, wie viele Kinder sie haben, und das ist ein Zeichen von Seriosität. Dass man stark ist.

Dann haben im Grunde schwule und lesbische Kandidaten keine Chance, oder?

Sie haben es schwerer, schon wegen der Hochschätzung des heterosexuellen Familienideals.

Was homosexuelle Pfarrerinnen und Pfarrer angeht: Sehen Sie da im Augenblick eigentlich eher einen Rückschritt? So hat das neue, homosexuellenfreundliche Pfarrerdienstrecht zu Protesten konservativer Theologen geführt.

Es gibt theologische Kreise, die kein anderes Thema haben als Homosexualität, obwohl der Sinnzusammenhang Homosexualität gerade dreimal in der Bibel vorkommt, während der Sinnzusammenhang Gerechtigkeit über 500-mal zu finden ist. Wenn dann immer über Homosexualität geredet wird, stimmt etwas nicht.

Geht aber die Kirche nicht viel zu defensiv mit der Geschlechtergerechtigkeit um? Man könnte es doch machen wie die schwedische Kirche. Die hat keine heterosexuelle Trauungsformel mehr. Warum kann die Kirche Luthers nicht so sein?

Die Kräfteverhältnisse sind eben in Deutschland anders, und dafür Mehrheiten zu finden ist nicht so einfach. Schweden ist in dieser Hinsicht eine Vorreiterkirche, die haben auch mehr Bischöfinnen. Es hängt auch damit zusammen, dass wir hierzulande in einer Parität mit den katholischen Geschwistern leben.

Gibt es nicht auch in der evangelischen Kirche ein Ressentiment, wie es Margarete Mitscherlich-Nielsen beschrieben hat: Man mag Homosexuelle eigentlich nicht.

Es kann sein, dass es solche Affekte bei manchen Leuten gibt. Das wäre schlimm und müsste aus dem Unbewussten ins Bewusste geholt werden. Aber wenn man mal guckt - über Jahrhunderte war die katholische Kirche ein Schutzraum für Homosexualität. Weil man da, ohne gesellschaftlich aufzufallen, im Zölibat leben konnte und unbehelligt von dem Anspruch blieb, eine Familie zu gründen.

Zu dieser Geschichte steht die katholische Kirche aber nicht.

Es wäre eigentlich nötig, das nachzuvollziehen und zu sagen: Wir sind das. Das ist über Jahrhunderte etwas Gutes gewesen, es hat eine lebensbewahrende Funktion gehabt. Auch diese fraulichen Tätigkeiten, das Klappern mit dem Geschirr am Altar, das hat dazu beigetragen, dass das auch attraktiv war für Männer, die nicht auf Familiengründung aus waren und trotzdem fürsorglich für Menschen da sein wollten.

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