Gorki Theater in Berlin ausgezeichnet: Der Utopie schon ziemlich nahe

Der Ruf der Theaterstadt Berlin ist mal wieder gerettet. Das Maxim Gorki Theater ist zum Theater des Jahres gewählt worden.

Ausgezeichnet als bestes deutschsprachiges Stück: „Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen“ in der Inszenierung von Sebastian Nübling. Bild: Thomas Aurin

Den 29. August 2014 kann das Maxim Gorki Theater feiern. Es ist zum Theater des Jahres gewählt worden, mit 15 von 44 Stimmen, in einer Kritikerumfrage der Zeitschrift Theater heute. Der Titel gilt viel in der Theaterwelt. Am Freitag beginnt am Gorki auch wieder der Betrieb – ein früher Start nach der Sommerpause. In dem Stück „Der Russe ist einer, der Birken liebt“, inszeniert von Yael Ronen, spielt Dimitrij Schad mit, der in der gleichen Umfrage zum besten Nachwuchsschauspieler gekürt wurde.

Das ist schon ziemlich viel Ehre und Anerkennung für ein Haus, das erst eine Spielzeit lang mit neuem Ensemble und unter neuer Leitung, der Ko-Intendanten Shermin Langhoff und Jens Hillje, agiert. Aber aller guten Dinge sind drei: So hat in der Kategorie „Stück des Jahres“ ein Text von Sibylle Berg gewonnen, „Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen“.

Vier junge Frauen, die sich in sackartigen Klamotten eher verstecken, teilen sich in der Inszenierung von Sebastian Nübling am Gorki einen Text, der tief in die Befindlichkeiten und Unsicherheiten junger Leute heute blickt. Sie wollen verliebt sein, und verspotten die Liebe als Sinnstiftungsquelle und romantisches Gepose.

Sie sind spröde bis zur Kontaktverweigerung, soziale Problemfälle, aber zugleich auch gewieft in neuen Geschäftsbereichen. Sie waren mal eine Gang, die Jungs verprügelt hat; aber vielleicht ist das auch nur eine Fiktion. Denn irgendwie lässt der Text von Sibylle Berg keine sichere Erkenntnis zu, wie wirklich die vier sind, und wie viel Virtualität schon in ihrer Existenz steckt. Vieles verschwimmt, woran man das Reale noch messen kann.

Dialekt der Großstadt

Nübling geht mit dem Text wie mit einer Partitur um, der Sprachrhythmus bringt die Figuren zum Tanzen und den Text zum Glänzen. Das Stück ist mit vier Schauspielerinnen besetzt (Nora Abdel-Maksoud, Rahel Jankowski, Suna Gürler und Cynthia Micas), deren Namen möglicherweise vermuten lassen, dass Migration eine Rolle in der Geschichte ihrer Familien gespielt hat. Für die Aufführung aber ist ihre Herkunft so bedeutend wie die Farbe ihrer Strumpfhosen. „Bedeutsam ist nur: Ihr Heimatdialekt ist großstädtisch, ihr Heimatgefühl ist ihnen abhanden gekommen“, schreibt Stephan Reuter im Jahrbuch von Theater heute.

Das ist ein wichtiges Detail im Blick auf das Gorki, das zwar einerseits die Forderungen nach mehr postmigrantischen Stoffen und Akteuren im Stadttheater bedient und für diese programmatische Haltung sicher auch mit der Auszeichnung Theater des Jahres belohnt wird. Dieses Theater hat gemacht, was viele andere bisher versäumt haben – in der Auszeichnung spiegelt sich auch eine gewisse Erleichterung.

Andererseits aber will sich das Haus darauf nicht reduzieren lassen. „Wir wollen auch Shakespeare“, sagt Shermin Langhoff im Gespräch mit Theater heute. Und sie wollen, wie Hillje ausführt, zu einer anderen Form von Selbstverständlichkeit im Umgang mit Vielfalt und Heterogenität kommen, ohne Pädagogik und Ausrufezeichen. Ob es ihnen gelingen wird, dieser theoretisch erkannten Gefahr einer Engführung langfristig zu entkommen, muss sich noch zeigen.

Kritiker mit eingeschränkten Reisemöglichkeiten

Von den 44 Theaterkritikern, die abgestimmt haben und das Gorki an die Spitze der deutschen Häuser wählten, kommen viele aus Berlin, das verleiht den Theatern in der Hauptstadt sicher einen Vorteil. Ich selbst bin unter den Abstimmenden und kenne von Theatern aus Zürich, München oder Hamburg oft nur, was zum Theatertreffen eingeladen war. Weil das vielen Kritikern mit eingeschränkten Reisemöglichkeiten so geht, ist Abgabeschluss für die Umfrage nach dem Theatertreffen.

Fast immer findet sich die beste Inszenierung unter den zum Treffen nach Berlin eingeladenen: Diesmal ist es Karin Henkels fulminante Kleistinterpretation „Amphitryon und sein Doppelgänger“ vom Schauspielhaus Zürich. Doch dieser Relativierung zum Trotz ist die Auszeichnung ein Pfund, mit dem zu wuchern dem Gorki Theater, das auf die Einwerbung von Drittmitteln weiterhin angewiesen ist, auf jeden Fall zu gönnen ist.

Das Jahrbuch von Theater heute beinhaltet auch 24 Antworten auf die Frage: Wie müsste das ideale Theater aussehen? Eine Antwort kommt von dem Schauspieler Aleksandar Radenkovic: „Ich will, dass mein Theater eine Haltung hat, eine Position einnimmt, auch wenn sie unangenehm, vielleicht zu laut, für manchen zu eindimensional scheint. Ich will mich zugehörig fühlen, mich breit machen in der Gesellschaft, ich will mich ärgern, streiten und auseinandersetzen.“ Aleksandar Radenkovic, Jahrgang 1979, hat in den letzten Jahren an vier festen Häusern gespielt. Seit der letzten Spielzeit gehört er zum Gorki. Und ist dort seiner Utopie schon ziemlich nahe gekommen.

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