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Grand Ethiopian Renaissance DamEin Monument für Afrikas Neuordnung

Äthiopiens Regierung eröffnet am 9. September den GERD. Jahrelang war der Nil-Staudamm ein Konfliktthema mit Ägypten, das um sein Wasser fürchtete.

Mitglied der „Republikanischen Blaskapelle“ Äthiopiens vor dem GERD-Staudamm, 2022 Foto: Amanuel Sileshi/afp

Wenn am 9. September Äthiopiens Ministerpräsident Abiy Ahmed das größte Wasserkraftwerk Afrikas einweiht, ist das ein historisches Ereignis. Man habe einen „tausendjährigen Kampf“ gewonnen, jubelte der Regierungschef schon Anfang des Monats in einer TV-Ansprache.

Es geht um den Grand Ethio­pian Renaissance Dam, kurz GERD, am Blauen Nil, der nach 14 Jahren Bauzeit jetzt endlich vollständig in Betrieb genommen wird. 145 Meter in die Höhe ragt die 1.820 Meter lange Talsperre. Der Stausee dahinter, genannt Nigat, Morgenröte, kann bei voller Befüllung bis zu 140 Meter tief und 246 Kilometer lang sein und hält dann anderthalbmal soviel Wasser wie der Bodensee. Es wird durch 13 Turbinen geleitet, die mit einer Gesamtkapazität von 5.150 Megawatt mehr Strom produzieren können, als ganz Äthiopien mit seinen über 120 Millionen Einwohnern bislang zur Verfügung hatte.

Kein anderes Wasserkraftwerk auf dem afrikanischen Kontinent kommt an diese Dimensionen heran; im weltweiten Vergleich liegt GERD jedoch am unteren Ende der Megastaudämme in China, den USA, Russland und Brasilien. Äthiopien sieht sich nun trotzdem in einer Liga mit diesen Mächten und lädt zur feierlichen Eröffnung zu einem Gipfel mit dem Titel „Globale Klimalösungen beschleunigen, Afrikas nachhaltige und grüne Entwicklung finanzieren“.

Ein langer Fluss mit langer Geschichte

Der Nil ist ein Kuriosum. Er ist der längste Fluss der Welt, mit 6.850 Kilometern von seinem südlichsten Zubringer in Burundi bis zum Mittelmeer. Aber er führt wenig Wasser – der mittlere Abfluss liegt bei gut 3.000 Kubikmetern pro Sekunde, kaum mehr als der Rhein.

Von seinem Wasser enthält der auf den Landkarten als Hauptstrom ausgewiesene „Weiße Nil“, der aus Uganda nach Norden fließt, nur ein Sechstel und ein Großteil davon verdampft im Sudd, dem gigantischen sumpfigen Binnendelta im Herzen des heutigen Südsudan. Rund 85 Prozent des Nilwassers kommen aus dem „Blauen Nil“, der im Hochland Äthiopiens entspringt und dort Abay heißt, der Große.

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Dort, wo der Weiße Nil auf den Blauen Nil trifft, liegt heute Sudans Hauptstadt Khartum, und ab dort wälzt er sich als breites blaues oder braunes Band durch die Weiten der Sahara. Der Pegel des Weißen Nils bleibt über das ganze Jahr einigermaßen konstant, während der Blaue Nil in der Regenzeit von Mai bis September stark anschwellt. Dann drängt er den Weißen Nil flussaufwärts zurück, was regelmäßig für Überschwemmungen in Sudan sorgt.

Kein anderes Flussbecken der Welt, sagen Experten, vereint so viele Regionen und Länder mit mehrtausendjähriger Geschichte. Das altägyptische Reich der Pharaonen entstand entlang des Nils, mit dem Nildelta als Kornkammer und dem Fluss als Handelsweg in die fruchtbaren Tiefen Afrikas, wo es Gold und Elfenbein gab. Das ebenso alte Kaiserreich Äthiopien, dessen Wasserquellen das heiße Ostafrika bewohnbar machen, bewahrte als einziger Staat Afrikas seine Unabhängigkeit gegen europäische Eroberungsgelüste im 19. Jahrhundert.

Äthiopien strebt nach einer „afrikanischen Renaissance“

Die Suche nach den Nilquellen faszinierte europäische Forscher jahrhundertelang, und am Ende gewann das britische Empire das Rennen. Ägypten wurde im 19. Jahrhundert britisches Protektorat. Flussaufwärts wurde Sudan, das „Land der Schwarzen“ und der arabischen Sklavenhändler, von den Briten erobert und erweitert, über den Sudd hinaus bis hinunter zum britischen Protektorat Uganda.

Die britische Imperialmacht sah im Nil den Schlüssel zur Kontrolle der Region, Äthiopien blieb außen vor. Nach dem Rückzug des Empire übernahm Ägypten seine Haltung. Im Jahr 1959 gewährten sich Ägypten und Sudan in einem Abkommen exklusiv 88 Prozent des Nilwassers, mit dem Löwenanteil für Ägypten. Weder Äthiopien noch irgendein anderer Anrainerstaat war an diesem Vertrag beteiligt, sie erkennen ihn bis heute auch nicht an. Sie haben inzwischen einen eigenen Vertrag geschlossen, von dem wiederum Ägypten und Sudan nichts wissen wollen.

Aus äthiopischer Sicht ist der GERD-Staudamm eine Revanche des antikolonialen Afrika gegen die imperiale Weltordnung. Noch in den 1960er Jahren hatte Ägypten mit dem Assuan-Staudamm am Nil, mit sowjetischer Hilfe gebaut und 1971 eröffnet, seine Vormachtstellung unterstrichen, während Äthiopien in der Endphase seines Kaiserreichs vor sich hindämmerte. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts dann versank Ägypten in Stagnation, während Äthiopien unter neuer Führung eine „afrikanische Renaissance“ anstrebte, mit hohen Wachstumsraten und ehrgeizigen Zielen.

Der Staudamm als Symbol einer neuen Zeit

Der Bau des GERD begann 2011. Strom für alle sollte ein Ende von Hunger und Armut bringen. Nur 15 Prozent der äthiopischen Bevölkerung hatten zuvor Zugang zu Elektrizität, die anderen nutzten Brennholz, die Entwaldung hatte katastrophale ökologische Folgen.

International wurde GERD zunächst skeptisch betrachtet. Geberländer hielten sich mit Rücksicht auf Ägypten zurück, nur China gab einen Kredit für die Turbinen, den Rest finanzierte Äthiopien selbst. Ganze Monatsgehälter von Staatsbediensteten behielt die autoritäre Regierung ein und sammelte mehr oder weniger freiwillige Spenden, bis die benötigten 4,8 Milliarden US-Dollar beisammen waren. Das verwandelte den Bau in einen nationalen Kraftakt, mit dem sich nicht nur der 2017 eingesetzte Ministerpräsident Abiy Ahmed identifiziert, sondern auch seine Gegner.

Aus äthiopischer Sicht ist der Damm eine Revanche des antikolonialen Afrika gegen die imperiale Weltordnung

Äthiopien schuf Fakten, Ägypten protestierte. Als im Juli 2020 die Staumauer fertig war und Äthiopien mit der Füllung des Stausees begann, stand immer noch kein Abkommen zur Regelung des Wasserabflusses. Für Ägypten ein Albtraum: Würde Äthiopien die Schleusen komplett dichtmachen, käme gar kein Wasser mehr durch, so die Befürchtung.

In jeder Regenzeit füllte sich der See weiter, und mit dem Pegel stieg das Kriegsrisiko. Ägypten nannte den GERD eine „existenzielle Bedrohung“, Luftangriffe auf den Damm standen im Raum. Äthiopien bezichtigte Ägypten, Instabilität zu schüren, etwa durch gezielte Aufrüstung der Regierungen in Somalia und Eritrea. Den brutalen Krieg in Äthiopiens Nordregion Tigray mit Hunderttausenden Toten zwischen 2020 und 2022 führten äthiopische Nationalisten unter anderem auf ägyptischen Einfluss zurück; umgekehrt sahen arabische Nationalisten die Hand Äthiopiens, das man zum Verbündeten Israels erklärte, hinter dem Krieg in Sudan ab 2023.

Der Klimawandel ist heute die größte Gefahr

Am Ende dauerte die komplette Füllung des Damms fünf Jahre, nicht die geplanten zwei. Äthiopien ging sehr sorgfältig vor, im ersten Jahr wurden nur 4,9 der insgesamt vorgesehenen 74 Kubikkilometer Wasser zurückgehalten. Danach ging es schneller. Nach der Regenzeit 2023 verkündete Äthiopien, der Stausee habe seine Basismenge erreicht, 2024 war er „fertig“, fünf der 13 Turbinen sind bereits in Betrieb.

Ägypten aber hat gerade andere Sorgen: den Krieg in Sudan und den Gazakrieg. Seit der Stausee voll ist, fließt der Nil außerdem wieder normal. Die Regenzeit 2025 beschert Sudan verheerende Überschwemmungen, ganz wie früher.

Die größte Gefahr am Nil ist jetzt nicht mehr Äthiopiens Staudamm, sondern der Klimawandel. Der Abfluss des Nils sinkt, er soll nach jüngsten Angaben nur noch bei gut 2.600 Kubikmeter pro Sekunde liegen, 20 Prozent weniger als früher. Wenn weniger Süßwasser aus dem Nil ins Mittelmeer abfließt, drängt mehr Salzwasser ins Nildelta hinauf. Ägyptens Äcker versalzen, die Küste verschiebt sich ins Land hinein, rund 100 Meter pro Jahr. Auch an den Quellen, im äthiopischen Hochland und in den Bergen Ostafrikas, nehmen Dürren zu. Sollte der Nil versiegen, wäre eine ganze Weltregion unbewohnbar.

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