Grand-Prix-Casting: Weißer Rap

Lena Meyer-Landrut gewinnt das Grand-Prix-Casting, hat aber beim Eurovision Song Contest nur Außenseiterchancen. Trümpfe könnten ihr Sprechgesang und ihre Authentizität sein.

Lena, die strahlende Siegerin. Bild: apn

BERLIN taz | Dass sie das Finale der deutschen Grand-Prix-Vorentscheidung gewinnen würde, war keine Überraschung: Lena Meyer-Landrut, 18 Jahre und mitten im Abiturprüfungsstress, setzte sich Freitagabend in Köln gegen die Konkurrentin Jennifer Braun durch.

Meyer-Landrut, die von der ersten Vorrunde des Castingformats "Unser Star für Oslo" als Extremfavoritin auf den Sieg galt - vor allem seitens aller JurorInnen, aber hauptsächlich durch den öffentlichen Zuspruch Stefan Raabs -, gewann allerdings nicht mit dem Lied, das ihr am liebsten für das Finale in Oslo am 29. Mai gewesen wäre. "Satellite" favorisierten die SMS- und Televotingabstimmenden, ein Sprechgesang im Stile weißen Raps, der inhaltlich davon berichtet, dass eine junge Frau einen Mann begehrt, sie ihn toll findet, er sie aber nicht über das Dasein eines Satelliten in seinem Leben weiter haben möchte - und sie ihn deshalb für ein Miststück hält.

Meyer-Landrut, so Stefan Raab und die JurorInnen Stefanie Kloß ("Silbermond") und Xavier Naidoo, attestierten ihr die famose Kunst, aus jedem Lied eine eigene Geschichte zu stricken - sie also keine Lieddarstellerin sei, sondern selbst, in der Rolle der echten Erzählerin, zum Act wird.

Der Act durch Lena Meyer-Landrut ist ein Bruch mit so gut wie allem, was bislang aus Deutschland zum Eurovision Song Contest geschickt wurde. Eine junge Frau aus bildungsbürgerlichem Hause, die nicht Pop oder Schlager spielt, sondern, zeitgenössisch am Puls der Zeit, die Künstlerin in eigener, in authentischer Sache gibt. Sie tut performativ nicht so, als spiele sie eine Rolle, sondern ist die Rolle überhaupt. Die kleine Enttäuschung, dass das von ihr und Raab komponierte Lied "Love Me" nicht zum Publikumsfavoriten wurde, steckte sie weg: "Ich werde mich an 'Satellite' gewöhnen, ich habe ja bis Oslo noch viel Zeit."

Die Ergebnisse des Finales, als Lena Meyer-Landrut mit "Satellite" (aus der Feder des US-amerikanisch-dänischen Produzentenduo Julie Frost und John Gordon) gegen Jennifer Braun und ihr "I Care For You" im Bonnie-Tyler-Style kämpfte, wurden nicht von der ARD veröffentlicht; Gerüchten zufolge soll Außenseiterin Jennifer Braun sehr nah an Lena Meyer-Landrut herangekommen sein. Die Siegerin selbst weinte während ihres Siegesvortrags heftig, warf in ihr Lied sprachliche Bröckchen wie "Scheiße", "Dass mir dieses Scheiß-Casting so nah geht" und "Derbe". Auf der Pressekonferenz teilte sie mit: "Das ist wahnsinnig, ich bin überwältigt und ich habe gar keine Worte für das Gefühl, weil ich das noch nie hatte. Ich bin dankbar und ich bedanke mich bei so vielen Menschen."

Stefan Raab war begeistert vom Finale. "Wir haben zwei sehr unterschiedliche und fantastische Künstlerinnen gesehen. Sowohl Lena als auch als Jennifer Braun haben Wahnsinniges geleistet." Seine Favoritin aber, Lena Meyer-Landrut, mochte er besonders. Es sei ihm eine Freude, dass sie in Oslo ein neues Frauenbild aus Deutschland repräsentiere - das einer irgendwie durchreflektierten, wachen und unverschüchterten Frau, die weder die Schlagermieze verkörpert noch die Rockröhre.

Die Chancen für "Satellite" im Finale wird in den europäischen Fanforen unterschiedlich beurteilt. Als Außenseiterin habe sie alles auf ihrer Seite - gerade weil ihr Lied ungewöhnlich sei, hieß es auf www.esctoday.com

Nach dem Finale von "Unser Star für Oslo" werden beide Sender, Pro7 wie ARD, Bilanz ziehen: Hat sich diese Allianz gelohnt? "Aus meiner Sicht war das der Traum einer Zusammenarbeit. Das sage ich nicht, um zu übertreiben", sagte der ARD-Koordinator für Unterhaltung, Thomas Schreiber. "Dank an Raab, Andreas Bartl und die öffentlich-rechtlichen Radiosender. Das war vom ersten Moment an der Sache orientiert. Von mir aus könnte es so weitergehen."

Stefan Raab stimmte in das Lob mit ein und sprach von einer "Liebesheirat" und nannte die ARD "unseren Schwestersender". Das klang alles in allem nach einer gelungenen Zusammenarbeit und auch Andreas Bartl aus dem Vorstand von ProSiebenSat.1 zeigte sich sehr zufrieden mit dem Verlauf von "Unser Star für Oslo": "Ein schöner Erfolg, wir sind sehr stolz darauf. Wir wollten einen Kandidaten finden, der die Nation in Spannung versetzt und das haben wir geschafft."

Allerdings betrug der Marktanteil für die ARD am Freitag Abend lediglich 14,6 Prozent - 4,5 Millionen Zuschauer guckten zu. Während der von Pro7 übertragenen Vorrunden erreichte der Privatsender durchschnittlich gut zwei Millionen Zuschauer, was erheblich mehr sind als gewöhnlich dieser Sender an Aufmerksamkeit organisieren kann. Auf die Frage, ob man mit der Quote zufrieden sei, antwortete Raab: "Glauben Sie nicht, wir wüssten nicht, wie man diese verdoppeln könnte. Das wissen wir sehr wohl. Aber dieses Format wollte ich genau so machen und würde es kein bisschen anders machen." Eine negierende Anspielung auf die entblößenden Formate, etwa Deutschland-sucht-den-Superstar bei RTL, bei dem es darauf ankommt, dass die KandidatInnen geschunden und künstlerisch entwertet werden.

Alle Bekundungen zur Show seitens der ARD wie Pro7 waren sprachlich in der Gegenwartsform gehalten - und das sind heftige Indizien, dass dieses Castingformat im kommenden Jahr fortgesetzt wird.

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