Grenze zwischen Mexiko und USA: Samariter in der Wüste

Hunderttausende versuchen von Mexiko aus in die USA zu kommen und stranden häufig in der Wüste. Dann können sie nur hoffen, auf einen wie Walter Collins zu stoßen.

Der Eindruck trügt: dies ist der am häufigsten überquerte Abschnitt der Grenze zwischen Mexiko und den USA. Bild: Dorothea Hahn

TUCSON taz | Das weite, lichtdurchflutete Land im Süden von Arizona sieht aus, als wäre es menschenleer. Säulen-Kakteen und blattlose Mesquite-Bäume wachsen aus dem Sand. Ein Geier dreht Kreise in dem strahlend blauen Himmel. Ein Kojote trottet gemessenen Schritts über den Highway.

Der Eindruck trügt. Das südliche Arizona ist der am häufigsten überquerte Abschnitt der 3.100 Kilometer langen Grenze zwischen Mexiko und den USA. Unter anderem, weil sie nicht durchgängig mit einem Zaun, oder einer Mauer befestigt ist. Wo das flache Land in zerklüftete Canyons übergeht, ist kein Zaun mehr.

"Da. Wieder ein Hundefänger", sagt Walter Collins. Sein knochiger langer Zeigefinger weist auf einen weißen Kastenwagen am Rand von Highway Nummer 286. "Border Patrol" ist - in Grün - auf die Rückseite des weißen Kastenwagen lackiert. Walter Collins geht vom Gaspedal, fährt im Schritttempo an den Wagen heran und äugt durch das kleine Gitterfenster. "Niemand drin", stellt er fest: "Sie suchen noch."

"Samaritans - Samaritanos" steht auf Englisch und auf Spanisch auf den magnetischen Schildern mit einem weißen Kreuz auf rotem Grund, die Walter Collins an der Fahrer- und der Beifahrertür seines Wagens mit Allradantrieb befestigt hat. Der "Samariter" hat seinen Wagen vor der Abfahrt aus Tucson mit mehreren Kartons beladen. Er trägt Wasser in die Wüste. Sowie Lebensmittel, Socken, Schuhe und Pomaden. "Hilfe für Grenzgänger", sagt der 72-Jährige. Er will verhindern, dass Migranten - "ohne irgendeinen guten Grund" - ums Leben kommen.

Die Border Patrols sind mit Handschellen unterwegs. Sie suchen dieselben Leute. Aber sie nennen sie "Illegale". Um sie von den USA fernzuhalten, patrouillieren sie in ihren weißen Kastenwagen entlang der Grenze, errichten Straßensperren längs der kaum befahrenen Highways die aus dem Süden kommen. Und fliegen ihre Hubschrauber ganz tief über die Wüste.

Walter Collins will verhindern, dass Migranten "ohne irgendeinen guten Grund" ums Leben kommen. Bild: Dorothea Hahn

Walter Collins kommt aus dem Norden. Leute wie er heißen in Arizona "Snowbird". Jeden Herbst kommen die "Schneevögel" zu Hunderttausenden in den trockenen, warmen Bundesstaat im Süden. Amerikaner im Rentenalter, weiß und ausnahmslos aus der Mittelschicht. In Arizona sind die "Snowbirds" gern gesehen. Sie kaufen Häuser, bringen Geld und schaffen Arbeitsplätze.

Gegen die jungen dunkelhäutigen "Illegalen" aus dem Süden denkt sich die Regierung von Arizona immer neue Erlasse und Gesetze aus. Selbst das Wasser, das die Samariter in die Wüste tragen, ist manchen Ranchern schon zu viel. Sie haben ein Schild in der Wüste verstümmelt. Jetzt ist darauf zu lesen: "Humanitäre Hilfe ist ein Verbrechen". "Wir haben dieses Land gestohlen", sagt hingegen Walter Collins. Er meint die mehr als 150 Jahre alten Verträge, mit denen die USA mehr als die Hälfte des Territoriums des Nachbarlandes Mexiko gekauft haben.

Fluchtgrund Nafta

Denselben vorwurfsvollen Ton benutzt Walter Collins auch, wenn er die Migration in sein Land erklärt. Er hält den 1994 eröffneten nordamerikanischen Binnenmarkt Nafta für den wichtigsten Grund, der Menschen aus ihren Ländern vertreibt. "Unser Agrobusiness hat die mexikanische Landwirtschaft ruiniert", sagt er, "jetzt kaufen wir das Land auf, dessen landwirtschaftliche Nutzung sich nicht mehr lohnt. Mit dem Erlös können die landlos gewordenen Bauern gerade die Schlepper bezahlen, die sie durch die Wüste in die USA bringen."

Walter Collins ist in der neuenglischen Provinz aufgewachsen. Und streng evangelisch erzogen worden. "Ich war naiv", sagt er über sich als Jugendlichen. Unerwartete Dinge erweitern seinen Horizont: der Chor, mit dem er durch die USA reist; der Vietnamkrieg, aus dem er verletzt zurück kommt; mehrere fortschrittliche Geistliche. Dem vorerst letzten Geistlichen begegnet Collins, als er als Rentner nach Tucson kommt. John Five hat seine Kirche in der Südstadt von Tucson schon in den 80er Jahren zum Zufluchtsort für Flüchtlinge aus Mittelamerika gemacht. Heute ist sie der Ausgangspunkt für die Wasserträger in der Wüste.

Drei Mal in der Woche verlässt Collins Tucson in Richtung Süden. Im Morgengrauen belädt er seinen Wagen. Nach weniger als einer Stunde Fahrt wäre er an der Grenze zu Mexiko. Doch Walter Collins biegt vorher in kleine Landstraßen ab. Macht Halt an ausgetrockneten Flussbetten. Steigt aus. Und sucht nach frischen Spuren im Sand. Persönlich trifft er nur selten Flüchtlinge. Wenn es geschieht, bedeutet es, dass wieder ein Versuch, in den Norden zu gelangen, gescheitert ist: Ein Schlepper hat Migranten im Stich gelassen. Sie haben sich verirrt. Sie sind verletzt. Sie haben nichts mehr zu trinken. Sie haben keine Kraft mehr. Oder keinen Mut.

"Die meisten ahnen nicht, wie hart das hier ist", sagt Walter Collins, "sie glauben, dass sie nach ein paar Stunden Fußweg in einer Stadt ankommen und von einem Auto abgeholt werden." Tatsächlich müssen die Migranten nächtelang gehen. Sich tagsüber verstecken. Und werden rund um die Uhr von der Border Patrol gesucht.

Bei seinem letzten Besuch in der Wüste hat Walter Collings zwei junge Männer getroffen. Sie hatten seit zwei Tagen nichts gegessen und wollten, dass er sie im Auto mit nimmt. Raus aus der Wüste. In einen bewohnten Ort.

Walter Collins lehnte ab. Samariter bekommen wegen Lappalien Ärger mit der Justiz. Eine Ermittlung wegen "Umweltverschmutzung", wegen mit Wasser gefüllten Plastikflaschen in der Wüste, wurde erst nach jahrelangen Ermittlungen eingestellt. Die "Beihilfe zur illegalen Einreise" ist ein schweres Delikt und würde unweigerlich zu einer Strafverfolgung führen. "Wir können nicht die große Frage der Migrationspolitik lösen", sagen die Samariter, "Wir können nur einzelnen Menschen in Not helfen."

Den beiden jungen Männern hat Walter Collins Wasser und Essen gegeben. Und geraten, sich tagsüber zu verstecken.

Zäune und Mauern

Die Regierung in Washington hat in den zurückliegenden Jahren hunderte Millionen Dollar in die Grenzbefestigung investiert. Sie hat immer festere und höhere Zäune und Mauern gebaut. Sie hat die Border-Patrol-Truppen verstärkt. Und sie hat Verträge an Privatunternehmen vergeben, die Abschiebegefängnisse und Gefängnisbusse betreiben. Im Jahr 2010 sind beinahe 400.000 Menschen über die Grenze nach Mexiko abgeschoben worden. Jeden Tag scheitern mehr als 1.000 Menschen bei ihrem Versuch, in die USA zu kommen. Sie verlieren ihr Hab und Gut. Und immer häufiger auch ihr Leben.

Am gefährlichsten sind die Canyons. Sie machen die Sonora-Wüste, im Pima-County, südlich von Tucson, zu dem tödlichsten Grenzstück der USA. Im vergangenen Jahr sind dort die Leichen von 230 Menschen geborgen worden. Ihre Überreste kommen in das gerichtsmedizinische Institut von Tucson. Doktor Bruce Parks und seine Kollegen suchen nach Namen, Telefonnummern und Briefen, die in Hosenbünden eingenäht oder in BHs versteckt sind. Machen Gen-Tests an Leichen. Und nehmen Fingerabdrücke von zu Leder ausgetrockneten Händen. Drei von vier Toten können sie nicht identifizieren. Wenn sie anonym eingeäschert werden, behält das Institut ein Stückchen Knochen von ihnen. Für den Fall, dass später einmal Angehörige nachfragen.

Holzkreuze für die Toten

In der Wüste erinnern kleine Steinhaufen mit Holzkreuzen an die Opfer. "Unbekannt" steht darauf. Manchmal liegt ein Bild der Jungfrau von Guadelupe dabei.

Ein solcher Steinhaufen liegt auch in der Siedlung aus schrottreifen Wohnwagen und Zelten am Ende der Straße von Jalisco, in Sichtweite der Grenze zu Mexiko. "No más muertes" - keine Toten mehr - steht auf einer Autotür am Eingang zu dem Gelände. Über einem Zelt baumelt ein handgeschriebener Zettel mit der Aufforderung an Migranten, sich an Essen und Getränken zu bedienen. "Gute Reise, compañero" endet der Zettel.

In dieser Nacht hat niemand in den Feldbetten geschlafen. Aber alle Wasserflaschen sind leer. Während Walter Collins sie mit neuen Flaschen aus seinem Allradauto ersetzt, fährt ein weißer Kastenwagen der Border Patrol im Schritttempo auf der Sandpiste vorbei. Die Border Patrol bleibt außerhalb des Geländes der Zeltstadt. Es ist Privatbesitz. Das respektiert die Border Patrol. Auch in der Wüste.

Demnächst wird Walter Collins wieder 3.800 Kilometer weiter nordöstlich wandern. Den Sommer verbringen er und seine Frau in Marthas Vineyard in Massachusetts. Wenn es in der Wüste glühend heiß ist, werden jüngere Leute ihn ablösen. Manche werden den Sommer in der Zeltstadt verbringen, um Grenzgängern zu helfen.

"Es ist falsch, dass sie ihnen zu essen und zu trinken geben", sagt der Mann, der neben dem grauen Bus auf und ab geht: "Illegale haben hier nichts zu suchen." Auf seiner schwarzen Jacke steht "Security". Darunter baumeln Handschellen und eine Pistole. Er hat den grauen Gefängnisbus der Gesellschaft "Wackenhut" im Schatten eines Mesquite-Baums geparkt und wartet, dass die Border Patrol ihm die Gefangenen dieses Morgens bringen. "Wir haben 20 Millionen Illegale in den USA", sagt er, "die schicken unser Geld nach Mexiko. Das können wir uns nicht länger leisten."

Walter Collins war früher Schulpsychologe. Er beobachtet den Gefängnisbusfahrer aus der Distanz. "Für den ist es der bestbezahlte Job seiner Karriere", empört sich der Samariter.

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