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Griechenlands radikaler MigrationskursRote Karte für NGOs, Fußfessel für abgelehnte Asylbewerber

Die griechische Regierung fährt eine knallharte Asylpolitik: Für NGOs, die sich widersetzen, wird jetzt der Zugang zu Flüchtlingslagern erschwert.

Vor einem Aufnahmelager auf Lesbos, September 2020: Um in ­Griechenland Geflüchteten zu helfen, ­brauchen NGOs eine Genehmigung Foto: REUTERS/Yara Nardi

Athen taz | Zuerst ging es den Geflüchteten an den Kragen, nun sind die NGOs dran: Wer sich dem sich abermals verschärfenden Migrations- und Asylkurs der konservativen Regierung in Athen zu widersetzen wagt, dem drohen harte Sanktionen. Dies sieht ein Gesetzentwurf der Regierung unter Premier Kyriakos Mitsotakis zur irregulären Einwanderung vor, die der Athener Migrationsminister Thanos Plevris in diesen Tagen im Athener Parlament vorantreibt.

Ins Visier sollen demnach in Griechenland tätige NGOs künftig in drei Fällen geraten. Erstens, falls diese „unter Geflüchteten Positionen verbreiten, die gegen die offizielle Migrationspolitik der Regierung zur freiwilligen Ausreise und Rückführung verstoßen“. Zweitens, falls NGOs „behördliche Entscheidungen anfechten, die die Aussetzung des Asyls und eine Verwaltungshaft anordnen“. Und drittens, falls NGOs „ihnen gewährte Gelder nicht für vorgesehene Zwecke verwenden“.

Bei Verstoß wird die NGO aus dem im Athener Migrationsministerium geführten offiziellen NGO-Register gestrichen. Dies führt zwar nicht zwingend zur Auflösung. Den betroffenen NGOs wird jedoch der Zugang zu den Einrichtungen wie die geschlossenen Aufnahmelager, in denen sich die Migranten befinden, strikt untersagt – was deren Flüchtlingsarbeit faktisch drastisch einschränken würde. Denn seit der Einführung des NGO-Registers im Jahr 2020 haben nur Mitarbeiter einer registrierten NGO Zugang zu diesen Einrichtungen.

Aktuell zählt das NGO-Register in Athen rund einhundert NGOs. Nötig geworden sei die Gesetzesinitiative in den Augen der Regierung Mitsotakis laut griechischen Medienberichten, nachdem zwei registrierte NGOs zuletzt behördliche Entscheidungen angefochten haben.

Dabei ging es um die Aussetzung von Asylanträgen von Geflüchteten aus Libyen. Die Regierung Mitsotakis will nun offenbar einer Klagewelle den Riegel vorschieben. Doch damit nicht genug: Plevris’ Gesetzentwurf zur irregulären Einwanderung sieht zudem die elektronische Überwachung mit einer Fußfessel für abgelehnte Asylbewerber vor. So will die Regierung Mitsotakis sicherstellen, dass abgelehnte Asylbewerber Hellas freiwillig in der vorgesehenen Frist verlassen.

Mitarbeiter im Migrationsministerium kritisieren den neuen Kurs

Erst am 11. Juli hatte die konservative Regierungspartei Nea Dimokratia Hand in Hand mit der oppositionellen Griechischen Lösung sowie Ex-Abgeordneten der nationalistischen Spartaner eine höchstumstrittene Neuregelung für das Asylwesen im Athener Parlament verabschiedet. Darin heißt es: „Die Einreichung von Asylanträgen von Personen, die mit Transportmitteln auf dem Seeweg aus Nordafrika illegal ins Land kommen, wird ausgesetzt. Diese Personen werden ohne Registrierung in das Land der Abreise oder der Herkunft zurückgeführt.“ Die Neuregelung gelte für drei Monate.

Migrationsminister Plevris’ Begründung: „An Libyens Küste gibt es drei Millionen Migranten. Falls wir zulassen, dass sie in Massen nach Europa kommen, würden wir von einem Bevölkerungsaustausch sprechen und nicht über den Schutz von Vulnerablen.“ Plevris hatte zuvor die Asylneuregelung demonstrativ unter dem Titel „Sofortige Maßnahmen zur Bekämpfung der Invasion aus Nordafrika“ angekündigt. Seine „klare Botschaft“ an potenzielle Neuankömmlinge lautet: „Bleibt da, wo ihr seid. Wir akzeptieren euch nicht.“ Wer illegal nach Hellas komme, dem drohe entweder der Knast oder die Rückkehr.

Mitarbeiter im Athener Migrationsministerium verurteilen Plevris’ Maßnahmen in scharfer Form. „Es ist heuchlerisch, im Namen einer (angeblichen) „Notlage“ Tausenden von Menschen, die durch Krieg und Armut entwurzelt worden sind, das Recht auf Asyl zu verweigern“, erklärten unisono alle drei Beamtenverbände im Ministerium. Plevris’ lapidare Antwort: „Es ist nicht die Aufgabe von Beamten, die Politik mitzugestalten, sondern sie umzusetzen.“

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